Laut Marnette sollten wir Olaf Scholz dankbar sein, dass er in dieser schwierigen Zeit provoziert und auf Schwächen hinweist.

Hamburg. Olaf Scholz ist klug und weiß, dass er überzogen hat. Wir sollten ihm dankbar sein, dass er in dieser schwierigen Zeit provoziert und auf Schwächen hinweist. Dies müsste in erster Linie den Senat, aber auch die Wirtschaft wachgerüttelt haben. Olaf Scholz wollte wohl auch dem alten Spruch entgegentreten, wonach vermeintlich nur die Sozialdemokraten zu wenig von Finanzen und Wirtschaft verstehen.

Fürwahr, auch objektiv betrachtet ist die wirtschaftspolitische Bilanz des Beust-Senats alles andere als überzeugend. Die dramatische Zunahme der Verschuldung Hamburgs und die Fehlentwicklung bei der HSH Nordbank würden bereits als Beweise ausreichen. Auch sind wichtige Projekte in den wirtschaftlich guten Jahren verschleppt und verzögert worden. Heute fehlt das Geld dafür. Das Missmanagement bei den Projekten Elbvertiefung und Hafenmodernisierung, die Fehler in der Ansiedlungs- und Flächenpolitik, der lieblose Einsatz für die Lösung der brennenden Verkehrs- und Infrastrukturprobleme hängen diesem Senat inzwischen wie Menetekel an. Die zwiespältige Haltung zu Themen wie Sportstadt Hamburg oder auch gegenüber der überregional höchst bedeutsamen Fehmarnbelt-Querung runden das Bild ab.

Die jetzige Krise ist schlimm. Sie ist sicher nicht die größte aller Zeiten, aber sie ist größer und schlimmer als viele zuvor. Wichtig ist es, jetzt mit innovativen Ideen und Strategien wirtschaftspolitisch gegenzusteuern. Fehlentwicklungen und -entscheidungen könnten verheerende Folgen haben. Dem Senat fehlt allerdings eine überzeugende Strategie, wie sie in gut geführten Unternehmen üblich ist: Kostensenkung und Effizienzsteigerung auf der einen sowie Wirtschafts-/Wachstumsförderung auf der anderen Seite. Aus dem Leitbild der Wachsenden Stadt ist inzwischen eine Stadt mit Weitblick geworden. Dies ist wie Green Capital Hamburg bisher nur ein Etikett, was schnell verblassen kann.

Die Grünen sind fleißig, ideenreich und setzen ihre politischen Markierungen. Aber ihnen fehlt die Messlatte der Finanz- und Wirtschaftswelt. Hierdurch droht das Gleichgewicht zwischen Ökologie und Ökonomie in Hamburg verloren zu gehen. Ideen und Anregungen aus der Wirtschaft gibt es genug, wie den vor Jahren erarbeiteten Masterplan der Industrie oder das neue Konzept des Wirtschaftsvereins für den Hamburger Süden. Das Industriethema dürfte längst im Aktenschrank des Bürgermeisters eingestaubt sein.

Der gute und eifrige Wirtschaftssenator, der aus machtpolitischen Gründen erhebliche Kompetenzen abgeben musste, reicht als Gegenpart bei diesem Balanceakt alleine nicht aus. Er braucht die Unterstützung aller. Beispiel Energiepolitik: Die Wettbewerbsfähigkeit der Preise, die Versorgungssicherheit und die Umweltfreundlichkeit müssen gleichwertige Säulen bleiben. Zweifel sind angebracht, ob der neue städtische Energieversorger Hamburg Energie diesen Kriterien entsprechen kann. Weitere Subventionen und steigende Energiepreise können sich Hamburg und die Wirtschaft nicht mehr leisten.

Wirtschaft hat viel mit Stimmung zu tun. Das Ansehen Hamburgs als attraktiver Investitionsstandort hat durch die Diskussionen um das Kraftwerk Moorburg und andere Ansiedlungsprojekte empfindlich gelitten. Selbst wenn es faktisch nicht so sein sollte, hat Hamburg in kürzester Zeit bei Unternehmern und Investoren über die Landesgrenzen hinaus den Ruf erworben, Planungs- und Investitionssicherheit nicht ernst zu nehmen. Dies ist dringend zu korrigieren, und auch internationalen Investoren muss deutlicher gemacht werden, dass sie willkommen sind.

In den Hamburger Hafen, den Wachstumsmotor unserer Region, und dessen Infrastruktur muss schnellstmöglich investiert werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Jetzt kommt McKinsey als Heilsbringer, hoffentlich noch rechtzeitig.

Senat und Wirtschaft sind jetzt gemeinsam in der Pflicht, dass wir als hamburgische und norddeutsche Wirtschaft, als Industrie und als Mittelstand die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise überleben und möglichst wettbewerbsfähiger überwinden können - ohne die soziale Verantwortung für das Gemeinwesen zu vernachlässigen. Dafür bedarf es einer glaubhaften Strategie des Senats, die alle Bürgerinnen und Bürger mitreißen kann. Wir erinnern uns, und es ist noch nicht so lange her , als alle "Feuer und Flamme" für Hamburg waren. Olaf Scholz hat hoffentlich den Initialzünder zum Umdenken geliefert.

Der Gastbeitrag ist eine Reaktion auf ein Abendblatt-Interview des Hamburger SPD-Chefs Olaf Scholz, in dem dieser den Senat als "wirtschaftsfeindlich" bezeichnet hatte.

Werner Marnette (CDU) war Chef der Norddeutschen Affi (Aurubis) und Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein.