Manchmal wirft der SPD-Landesvorsitzende Olaf Scholz seinen alten Sprechautomaten wieder an. Um lästige Journalistenfragen abzuwehren. Er antwortet dann so lange das Gleiche, bis der Frager aufgibt.

Kostprobe: Wie denn jetzt ein Schlussstrich unter die SPD-Krise rund um den Stimmzettelklau im Februar 2007 gezogen werden könne, wollte ein Kollege der "Morgenpost" wissen, wo doch die damals an Intrigen und Ränkespielen Beteiligten immer noch in ihren Ämtern seien? Antwort Scholz: "Der Schlussstrich ist gezogen worden, und wir schauen jetzt gemeinsam nach vorn." Äh, wie war doch gleich die Frage?

Scholz, der erst seit wenigen Wochen Landeschef ist, hat seiner in persönliche Fehden verstrickten, von gegenseitigem Misstrauen gezeichneten und wenig selbstbewussten Partei eine Schocktherapie verordnet. Er beauftragte den früheren Harburger SPD-Chef Harald Muras, ungeschminkt aufzuschreiben, was zur schwersten Nachkriegskrise der Partei geführt hat - und wer die Verantwortung trägt.

Am Montag wurde die Messe gelesen. Besser gesagt: Alle konnten im Internet nachlesen, was Muras auf zehn Seiten zusammengetragen hat. In Kurzform: Dem damaligen Parteichef Mathias Petersen ist Unrecht geschehen. Seine Bürgermeisterkandidatur wurde "in unzulässiger Weise verhindert". Verantwortlich ist eine Mehrheit im damaligen Landesvorstand, die nicht anerkannte, dass Petersen bei der Mitgliederbefragung um die Spitzenkandidatur uneinholbar führte, obwohl rund 1000 Stimmen gestohlen worden waren.

Aber auch Petersen wird kritisiert. Er habe als Parteichef Fehler gemacht, sich falsch beraten lassen und politische Alleingänge unternommen. Muras hat aufgeschrieben, was sich niemand in der SPD bislang traute, öffentlich zu sagen, und niemand widerspricht ihm. Im Gegenteil: Die Kombattanten von einst geben sich geläutert. "Im Nachhinein betrachtet, würde ich das eine oder andere anders machen", sagte SPD-Mitte-Chef Johannes Kahrs, der früh von einer Spitzenkandidatur Petersens abgerückt war. Doch auch Petersen räumte Fehler ein.

Scholz hat es eilig. Er will das finsterste Kapitel der Parteigeschichte so schnell wie möglich abhaken. Nur wenn sich die SPD aus ihren selbst angelegten Fesseln befreit, so das Kalkül, kann es wieder eine reale Machtperspektive für die einstige Hamburg-Partei geben.

Die Zeit für die brutalstmögliche Aufklärung im eigenen Hause ist günstig: Die SPD ist wegen des historisch schlechten Abschneidens bei der Bundestagswahl immer noch paralysiert. Scholz weiß aber auch, dass nichts schädlicher wäre als eine breite Debatte, die doch nur wieder in wechselseitigen Schuldzuweisungen enden würde. Deswegen wies er in dieser Woche zunehmend angestrengter darauf hin, dass die Aufarbeitung des Stimmzettelklaus nun endgültig abgeschlossen sei. Er kennt seine Pappenheimer eben.

Der Parteichef hat einen Pakt gezimmert, von dem er hofft, dass er hält. Petersen widerfährt mit dem Bericht endlich öffentlich Gerechtigkeit von seiner Partei. Im Gegenzug musste sich der Arzt aus Altona verpflichten, ab sofort alle Störmanöver zu unterlassen und konstruktiv mitzuarbeiten. Die Gegner Petersens tun Buße, können aber darauf verweisen, dass auch der Ex-Parteichef nicht ungeschoren davongekommen ist. So etwas nennt man einen gesichtswahrenden Burgfrieden.

Die Sozialdemokraten können froh sein, in dem Ex-Bundesarbeitsminister einen Berliner Politik-Profi zu haben, der sich seiner Heimatbastion annimmt. Scholz' Stil ist durchaus autoritär, aber keiner traut sich derzeit, ihm in die Parade zu fahren. Dennoch wirkt manches Bekenntnis der Reue in diesen Tagen sehr rituell.

Scholz handelt nicht uneigennützig. Er will die SPD, seit acht Jahren im Rathaus in der Opposition, auf die politische Bühne zurückbringen. Gelingt ihm das, dann ist der Erfolg auch eine Empfehlung für ihn in Berlin. Bei seiner Aufräumaktion hat der Altonaer, der auch stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender ist, längst das nächste Ziel ins Visier genommen: die Schulpolitik, der größte Zankapfel seiner Partei.

Für manche überraschend hatte Scholz Anfang November erklärt, die SPD sei zum parteiübergreifenden Konsens im Streit über die Schulreform bereit. Die SPD ist in der Frage der sechsjährigen Primarschule tief zerstritten. Wäre es nicht am bequemsten, wenn die größte Oppositionspartei einfach nur zusähe, wie das schwarz-grüne Bündnis an der Reform scheitert?

Was aber, wenn sich CDU und GAL durchsetzen und die Reform, wenn auch mit Abschwächungen, doch kommt? Dann könnte die SPD nur noch hinterherkleckern. Scholz will die Partei jetzt zu einer Entscheidung zwingen, was nicht ohne Risiko ist wegen des innerparteilichen Streits. Andererseits besteht bei einer Einigung mit breiter Mehrheit in der Bürgerschaft die Chance, das Thema der Schulstrukturreform, bei dem die SPD nur verlieren kann, aus dem nächsten Wahlkampf herauszuhalten.

Scholz' Nachteil: Er steht nicht am Ruder, sondern muss warten, ob die SPD zu Verhandlungen eingeladen wird. Und derzeit überschlägt sich die schwarz-grüne Koalition nicht mit Angeboten. Sie konzentriert sich auf die Initiative "Wir wollen lernen", die 184 500 Unterschriften gegen die Primarschule gesammelt hat.

Scholz lässt derzeit offen, wie er selbst zur Primarschule steht. Auf den, der das nicht wahrhaben will, wartet, na klar, der Sprechautomat.