Zum Kulturgeflüster treffen wir die erfolgreichen Macher der Konspirativen Küchenkonzerte aus Wilhelmsburg

Wilhelmsburg. August im Reiherstiegviertel. Es ist heiß, die Straßen sind nicht so voll wie gewöhnlich, die Menschen gehen an den See. Wo trifft man sich also zum Kulturgeflüster mit den Konspirativen Küchenkonzerten aus Wilhelmsburg? Genau: Man breitet die blaue Picknickdecke am Veringkanal aus, verscheucht ein paar Libellen um die Seerosen herum und isst selbst gebackene Kekse. Kerstin Schaefer und Inga Reimers aus der Küchenkonzert-Crew haben ihren Praktikanten Marcel Wicker, 21, Kunst-, Musik und Medienstudent aus Marburg, mitgebracht. Vor eineinhalb Jahren, als die Konspirativen Küchenkonzerte erstmals in der Fabrikwohnetage von Gastgeber Marco Antonio Reyes Loredo, 31, und seiner Freundin Kerstin Schaefer,31, in Wilhelmsburg aufgenommen wurden, wollte man einfach ein richtig gutes Kulturformat testen, das Musik und Kunst in einer schrägen Kochsendungsparodie zusammenführte. Gezeigt wurde es erstmals im Ausbildungskanal Tide TV.

Niemand hätte sich damals vorstellen können, dass dieses Liebhaberformat später mal einen Praktikanten und zwei Büroräume im Haus der jungen Produzenten auf dem Studio Hamburg-Gelände in Jenfeld besitzen würde. Eigentlich fing der fast schon märchenhafte Aufstieg der studentischen Antikochsendung mit einer unfreundlichen Email an, die eines Tages im Postfach von Moderator Marco und der damaligen Regisseurin PiaMaria Gehle eintraf.

Nach einem anderen Format wurde darin verlangt, damit "Ihr Film in der nächst höheren Jury gezeigt" werden könne. Keiner verstand so recht, worum es ging. "Nach einem Anruf beim Absender kapierten wir erst, dass wir für den Adolf-Grimme-Preis nominiert waren, eine wahnsinnige Auszeichnung.", sagt Kerstin Schaefer, die die Pressearbeit für die Küchenkonzerte macht. Beworben hatte sich die konspirative Crew wegen der interessanten Leute in der Grimme-Preis-Jury wie beispielsweise die Verfasserin von "Das geheime Tagebuch der Carla Bruni" oder "Stern"-Redakteur Helge Hopp. Gute Tipps hatte man sich von den Medienprofis erhofft, doch statt der erbetenen Kritik sei man ständig sehr gelobt worden.

"Avantgarde, documanta, so wild, so kreativ, so intelligent." Auch von Friedrich Küppersbusch gab es warme Worte, den die Nominierten auf einer eigenen Grimme-Preis-Nominierten-Party in Marl trafen, einer verstaubten 50er-Jahre Stadt, die bei Moderator Marco sogleich für Depressionen sorgte. Die Nominierung mit Mitbewerbern wie "Die Harald Schmidt Show", "Sido geht wählen" bis hin zu Käpt'n Blaubär führte schließlich nicht zum Preis. Doch auf die Frage, ob man da enttäuscht gewesen sei, kann Kerstin nur lachen. "Natürlich nicht, das wäre ja absurd."

Mit der Nominierung setzte ein richtiger Professionalisierungsschub bei dem Amateurformat ein, wie Kerstin nach und nach durchblicken lässt. Nicht nur, dass die Produktionsfirma "avanti media", die unter anderem hinter Christoph Schlingensief und dem Talkformat "Durch die Nacht mit" steht, sich bei ihnen meldete. Auch die Regisseurin Gehli Fuchs, die sonst bei Beckmann und der NDR-Talkshow Regie führt, war so ein Post-Grimme-Glücksfall. Unentgeltlich griff sie den Küchenkonzerten drei Folgen lang unter die Arme. "Bei manchen Sachen wussten wir gar nicht, was sie von uns wollte, wenn es zum Beispiel hieß, wir treffen uns morgen zu Buchbesprechung. Das ist so eine Art Besprechung aller Szenen", erzählt Kerstin.

Mittlerweile ist eine gewisse Konferenzroutine Alltag bei den Küchenkonzerten, das Team ist auf 35 Mitstreiter gewachsen, es gibt eine Kameragruppe, eine Tongruppe, das Team der Internetredaktion und natürlich seit einer Woche Praktikant Marcel Wickert, der die Küchenkonzerte im Internet entdeckte. Nach jedem Meeting im Haus der jungen Produzenten gibt es Protokolle, die fein säuberlich alle Ergebnisse zusammenfassen, erzählt Kerstin, die parallel eine Dissertation über das Thema Fliegen schreibt, privat aber aufs Fahrrad schwört.

Geli Fuchs wiederum gab dem Format den letzten Schliff: Jede Sendung beginnt nun mit einer Kamerafahrt von draußen durch das Fenster. "Ihr müsst den Ort erzählen", lernten die Nominierten. Auch trauen sich die Küchenkonzerte, die stets an einem langen Wochenende in Küche und Wohnzimmer von Kerstin und Marco mit einem Musiker und einem bildenden Künstler aufgezeichnet werden, nun auch nach draußen.

Bei Bernd Begemann wurde ein Herrenzimmer zum Zigarrerauchen aufgebaut und bei dem Künstler Jakobus Siebels ging es nach draußen zum Zielangeln, denn das sei das Hobby des Künstlers. Stets soll der Außendreh den Gast genauer beleuchten. Nach drei Tagen ist der Spuk mit der Kabellage und den Lichtern im privaten Wohnzimmer wieder vorbei, eine Staffel Küchenkonzerte ist abgedreht, die dann bei Tide TV und anderen Regionalsendern zehn Mal pro Monat ausgestrahlt wird.

Mittlerweile ist man mit verschiedenen öffentlichen Sendern im Gespräch, die Interesse an dem erfolgreichen Alternativformat anmeldeten. Denn für Kerstin steht fest: Trotz vieler Sponsoren, durch die man unterstützt wird, wie zuletzt durch die "Zeit"-Stiftung, "kann es so nicht weitergehen." Das Einwerben der Fördermittel blockiere einfach viel Zeit, in der man gute Ideen entwickeln könne. Ginge es nach ihr, würde sie an das Fernsehen appellieren, "jetzt Mut zu zeigen", nicht immer auf die Quote zu schielen.

Für Praktikant Marcel haben sich die 400 Kilometer zu seinem Praktikumsort in Wilhelmsburg wohl gelohnt. Sein Arbeitgeber hat jüngst den Sophie-Medienpreis für verantwortungsvollen Journalismus bekommen, die Urkunde hängt an der Wand im Büro und die zierliche Bronzefigur des Preises kommt gleich zum Picknick mit. Derzeit ist die aktuelle Folge der Küchenkonzerte zu sehen, in der sich die Jungs von "1000 Robota", eine Band mit dem Aufstieg eines Kometen, ein heißes Wortgefecht mit Moderator Marco leisten, der auch nicht gerade auf den Mund gefallen ist, und der Künstler Dieter Glasmacher zu Gast ist. Eine Folge, die sogar von einem Besuch der Polizei gestört wurde, wie Kerstin und Inga Reimers erzählen. Inga (27) wohnt ein paar Straßen weiter in der Nähe vom Stübenplatz und sorgt sich seit Juni als Musikredakteurin um die musikalischen Perlen im Programm.

Eine gewisse lokale Prominenz bleibt bei all dem nicht aus. Bei der Fahrradselbsthilfe in Wilhelmsburg, die sonst verhalten nett zu Marco war, hörte der. "Du bist ja jetzt ein Fernsehstar, dann kommt dein Rad sofort dran." Und der Teamleiter von Budnikowski in Wilhelmsburg stellte sich dem rasant schnell sprechenden Moderator persönlich vor.

Bleibt nur zu fragen, was Marco selbst gerne kocht? "Alle Rezeptideen von ,Meine Familie und ich', dieser Zeitung, die es günstig an der Supermarktkasse gibt", weiß Freundin Kerstin. Im August sind es Pilze, meint sie sich zu erinnern.