Wie funktioniert erfolgreiche Jugendhilfe? Zwei die es wissen müssen, berichten über ihren Umgang mit schweren Jungs und Mädchen.

Hamburg. Der eine ging mit 17 in den Staatsdienst und war 15 Jahre lang Jugendbeauftragter der Hamburger Polizei, der andere blickt auf eine kriminelle Jugend zurück und saß mehr als zehn Jahre lang in Hamburg und Panama im Gefängnis: Zwei Leben, die unterschiedlicher kaum hätten verlaufen können. Gemeinsam gründeten Derk Langkamp, 62, und Volkert Ruhe, 55, vor zehn Jahren den Verein Gefangene helfen Jugendlichen (GhJ), der Jungkriminelle mit Mördern, Räubern und anderen schweren Jungs zusammenbringt.

Jugend und Gewalt, das ist seit mehr als zwei Jahrzehnten das Thema der beiden streitbaren Charaktere. Jugend und Gewalt, das ist auch ein Thema, das verlässlich und in kurzen Abständen in den Fokus von Öffentlichkeit und Politik gerät. Nämlich immer dann, wenn wieder eine Tat geschieht, betroffen macht und die Menschen im Umfeld geschockt und ratlos zurücklässt. Im Abendblatt-Gespräch schildern Langkamp und Ruhe ihre Vorstellung einer Erfolg versprechenden Jugendhilfe und erklären, aus welchen Gründen immer mehr Jungen und inzwischen auch Mädchen beginnen, zu schlagen, zu treten und zuzustechen - und warum Jungdelinquenten wie Elias A., der am S-Bahnhof Jungfernstieg einen 19-Jährigen tötete , in der Lage sind, weitgehend hemmungsfrei mit Messern auf Menschen loszugehen.

Fünf Prozent, so betont Volkert Ruhe. Es sind nur fünf Prozent der Jugendlichen, über die wir hier reden. "Damit gar nicht erst der Eindruck entsteht, die Jugend an sich sei das Problem. Doch diese fünf Prozent, so ergänzt Derk Langkamp, die würden eben immer aggressiver, hemmungs- und skrupelloser. Sie sind es, um die und über die wir uns ernsthafte Sorgen machen müssen. Zwei Worte sind es nach Ansicht der Jugendgewaltexperten, die den Schlüssel zum delinquenten Jugendlichen beschreiben: Mitgefühl und Konsequenz. Langkamp: "Wir reden immer über Resozialisation, wo erst mal eine Sozialisation nötig wäre. Viele der Jugendlichen, denen wir in unserer Arbeit begegnen, haben in ihrem Leben nichts anderes erfahren als Ablehnung, Ignoranz und Gewalt. Wo sollte da der Boden herkommen, auf dem man mit Erziehungsgedanken ackern kann?" Mitgefühl ist eine Regung, die man bei derart emotional vernachlässigten Jugendlichen tief im Verborgenen suchen muss.

Volkert Ruhe hat dies selbst erlebt. Er wuchs mit einem prügelnden Vater auf, wurde schon in seiner Jugend zum Einbrecher und Schläger. Der 55-Jährige sagt: "Ich bin auf den falschen Weg geraten und habe damals kein rechtzeitiges Stopp-Signal bekommen. Das ist ein Problem, das heute noch immer - eher sogar noch viel ausgeprägter - existiert."

Wenn er höre, so der Jugendhelfer, dass Gerichte immer wieder Verfahren gegen junge Prügler zusammenlegen und Staatsanwaltschaften reihenweise Verfahren einstellen, dann könne er nur noch mit dem Kopf schütteln. Und wenn dann eingegriffen werde, so Ruhe weiter, "dann steckt man die Jungs in Jugendwohnungen zusammen, wo sie gemeinsam die verrücktesten Ideen entwickeln". Wenn Straftaten im Erleben der Täter ungesühnt bleiben, sei das wie Wasser auf die Mühlen der kriminell gewordenen Kids. Langkamp: "An eine Tat, die ein 16-jähriger Gewohnheitsprügler vor einem halben Jahr begangen hat, wird er sich in der Regel nicht mehr erinnern. Weil er zwischenzeitlich einige andere Leute verdroschen hat. Da hilft es kaum etwas, wenn der Richter einen Zeigefinger hebt." Konsequenz, also. Ruhe: "Ich sage nicht, dass diese Jungs im Knast bessere Menschen werden. Knast allein bringt nichts. Wir müssen uns schon mit ihnen beschäftigen und ihnen sowohl die Folgen ihrer Aggressivität als auch Perspektiven aufzeigen."

Die Idee zu "Gefangene halfen Jugendlichen" hatte Ruhe, als er selbst in Santa Fu einsaß - und eingehend über sein Leben und wie es bisher verlaufen war, nachgedacht hatte. 3500 junge Menschen sind seitdem hinter den Mauern der Haftanstalt mit deren Insassen zusammengekommen. Sie haben nicht selten eine Art böses Erwachen erlebt, das ein weiteres Abrutschen verhinderte.

Die Jugendexperten erleben im Alltag, was Statistiken in Zahlen ausdrücken: Die Zahl der schwer kriminellen Jugendlichen steigt, der Grad der Bewaffnung hat besorgniserregende Ausmaße angenommen. Respekt sei dabei eine Tugend, die die harten Jungs einforderten, aber für Lehrer oder Eltern nicht mehr empfänden. Langkamp: "Es gibt Lehrerinnen, die sich gar nicht mehr wehren, wenn sie im Unterricht laufend mit übelsten Schimpfworten beleidigt werden. Sie sagen, dass sei halt der normale Sprachgebrauch." In dem behördlichen Programm "Cool in School", Bestandteil des Senatskonzeptes "Handeln gegen Jugendgewalt", werden Lehrer im Umgang mit aggressiven Jugendlichen fortgebildet. 24 Schulen nehmen bislang daran teil, zwölf weitere kommen ab Sommer 2010 dazu. "Unterschätzen wir nicht, dass ein Großteil der Jugendlichen, über die wir hier reden, sich quasi selbst erzieht", sagt Volkert Ruhe. Die Clique ersetzt die Familie. "Wenn ich dann feststelle, dass ich Anerkennung - endlich einmal Anerkennung - erhalte, weil ich einen anderen umhaue, dann werde ich es wieder tun."

Das Messer sitze ohnehin locker, gerade bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Tatsächlich sagen laut einer Studie des unabhängigen Sachverständigenrates für Integration und Migration (SVR) 80 Prozent der deutschen Zuwanderer, es sei ihnen wichtig, dass die Ausländerkriminalität stärker bekämpft werde. "Opfer - das ist mittlerweile ein weit verbreitetes Schimpfwort", weiß Derk Langkamp. Weshalb "Gefangene helfen Jugendlichen" und der Weiße Ring zukünftig noch stärker kooperieren wollen. "Die Täter machen sich kein Bild davon, was sie den Menschen antun, die sie überfallen, berauben oder abziehen." Die Tatsache, dass oft ganze Familien im wahren Wortsinn in Mitleidenschaft gezogen werden, ist in ihrem Horizont nicht vorhanden.

Wie also Jugendlichen begegnen, die hauen und stechen? Derk Langkamp und Volkert Ruhe wissen wie alle, die sich intensiver mit dem Thema befassen, dass es keinen Königsweg gibt, dass jeder Jugendliche bei aller Uniformität anders tickt. Empathie wecken und Konsequenz spürbar machen, das ist es, was aus der Sicht der Jugendhelfer unerlässlich ist. Und: Verbindlichkeit. Ruhe: "Wir sollten wegkommen von der Angebotskultur. Wenn ein Schüler Mitschüler verprügelt, sollte ihm ein Anti-Aggressionstraining nicht angeboten, sondern verordnet werden."

In Hamburg, das betonen beide, gäbe es ein großes Angebot an Hilfseinrichtungen und Trägervereinen, von denen fast alle tolle Arbeit leisteten. Ein Forum, in dem diese Experten sich regelmäßig mit Behörden und Senat austauschen, gibt es bislang nicht.