Morddrohungen, Lärm, Drogen: Edeltraut Schwarzkopf und ihre Mitstreiter eroberten ihre Heimat am Hafen mit Mut und Initiative zurück.

"Nee", sagt Edeltraut Schwarzkopf, 66, "unseren Humor, den haben wir auch nach all den Jahren nicht verloren." Die vier Frauen und der ältere Herr von der Mieterinitiative Hexenberg stehen auf dem Balkon ihrer Wohnung im 4. Stock an der Trommelstraße und haben richtig Spaß. Kein Wunder, denkt man, bei der Aussicht. Gelb geklinkerte Häuser, ein großer grüner Innenhof, ein gepflegter Spielplatz, Tausende Blumen in Vorgärten und auf Balkonen. Und zur Krönung des Panoramas schießen am Horizont die Hafenkräne in den Himmel.

Die Aussicht beim Blick auf diese Saga/GWG-Siedlung in Altona-Altstadt am Rande der Reeperbahn war mal ganz anders. Das ist lange her, aber es muss erzählt werden, weil man sonst die Geschichte dieser Menschen, die hier zusammenleben, nicht versteht. Edeltraut Schwarzkopf ist 1973 in die Hexenberg-Siedlung eingezogen. "Ich kenne jeden Stein." Sie kennt auch nahezu jeden Bewohner mit Namen. "Die Probleme fingen 1995 an, als unter mir ein ausländisches Pärchen eingezogen ist", sagt sie. Sie 17, er 18 Jahre alt, das Paar hatte zwei Kinder. "Die machten die Nacht zum Tag, und wir mussten am nächsten Morgen früh raus." Der Streit eskalierte, es gab Morddrohungen, die Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet.

Nahezu zeitgleich wurde der Spielplatz im Innenhof zum Drogenumschlagsplatz für schwarzafrikanische Dealer. "Die sind irgendwann mit dem Baseballschläger auf mich los und wollten mich killen", sagt Edeltraut Schwarzkopf. Da hat sie sich auch einen Baseballschläger besorgt und geschrien: "I kill you also." Hinzu kamen die Fischmarkt-Besucher, die an jedem Wochenende krakeelten und in die Vorgärten urinierten. "Es war die Hölle", sagt Edeltraut Schwarzkopf.

Kapitulieren und die Heimat verlassen? Von wegen. Die Nachbarn taten sich zusammen. "Wir waren die erste Mieterinteressengemeinschaft in Hamburg", sagt Edeltraut Schwarzkopf.

+++Die Serie: Die lieben Nachbarn+++

MIG Hexenberg! Eine Kampfansage. Ein Weckruf und ein Versprechen, sich mit den Zuständen nicht mehr länger abzufinden. Sie haben einen Sieben-Punkte-Katalog aufgestellt. Es ging um die Grünanlagen, die Kiez-Bummler, die Sozialverträglichkeit der Neumieter, die Höhe der Betriebskosten. Edeltraut Schwarzkopf ist jeden einzelnen Posten der Müllabfuhr durchgegangen, hat über Wochen penibel Protokoll geführt und am Ende nachgewiesen, dass die Firmen viel zu viel abgerechnet hatten.

Heute kann man das Ergebnis ihres mutigen Kampfes in nackten Zahlen ausdrücken. Kerstin Matzen von der Saga/GWG spricht von einer "stabilen Mieterstruktur". In den 577 Wohnungen mit rund 2000 Menschen wohnen Alte und Junge, Deutsche und Ausländer, Alleinstehende und Familien. Man habe die Probleme zusammen mit der MIG und der Polizei in den Griff bekommen. "Die Siedlung am Hexenberg ist heute wieder ein sehr nachgefragtes Gebiet, der Leerstand liegt unter einem Prozent", sagt sie. Die Lage sei zentral, die Nettokaltmiete mit 4,82 Euro pro Quadratmeter in den 446 öffentlich geförderten Wohnungen günstig.

Ein Blick hinter die Türen bestätigt ihre Worte. Edeltraut Schwarzkopf führt durch ihre geräumigen Zimmer, die vom Flur abgehen. "Die Wohnungen sind optimal geschnitten." Auf dem Balkon scheint die Sonne den ganzen Tag.

Ayse Bulut zahlt für ihre Zweieinhalbzimmerwohnung mit 67 Quadratmetern 560 Euro warm. "Als wir 2000 eingezogen sind, haben wir 800 Mark bezahlt", sagt die Deutsch-Türkin. Sie wohnt mit ihrem Mann und ihrem Sohn Yusuf, 9, sehr gerne am Hexenberg. "Ich fühle mich hier pudelwohl." Auch abends müsse man keine Angst haben, wenn man spät nach Hause kommt.

Seit einem Jahr arbeitet Ayse Bulut auch in der Mieterinitiative mit. Natürlich gibt es immer was zu verbessern. Die älteren Mieter klagen über den Wegfall der kleinen Läden. "Um frisches Fleisch zu bekommen, muss man weit fahren", sagt Inga Maroske. Früher gab es einen Schlachter, einen Milchmann, einen Grünhöker. Heute sind nur noch Penny und Lidl um die Ecke.

Ayse Bulut sagt, dass manchmal frei laufende Hunde den Kindern Angst machen. Auch die Drogenproblematik scheint nicht ganz vorbei. Die Nachbarn haben engen Kontakt zur Polizei.

Dagegen stehen die vielen gemeinsamen Aktivitäten. Ein großes Fest ist jedes Jahr der Adventskaffee für die Senioren in der nahe gelegenen St.-Trinitatis-Kirche. "Manche freuen sich schon das ganze Jahr auf diesen Nachmittag." Die Mieterinitiative packt dann für jeden der rund 80 Besucher, darunter auch türkische Mitbewohner, eine kleine Tüte mit einem Piccolo, einem Klöben, einer Kerze.

Im Sommer gibt es ein großes Hoffest. Das diente früher dazu, die Jugendwohnung zu finanzieren, die die Initiative eingerichtet hatte, um die Jungen von der Straße zu holen. Edeltraut Schwarzkopf hat mit ihnen stundenlang Deutsch gelernt und Diktate geübt. "Einige kommen heute noch und schwärmen von den alten Zeiten."

Am Hexenberg hat der Begriff "gelebte Nachbarschaft" seine Berechtigung, auch wenn oft noch die deutschen und die ausländischen Familien lieber unter sich bleiben. Dann sind Menschen wie Ayse Bulut gefragt, die auf beide Seiten zugehen. In vielen Häusern ist es so wie bei Edeltraut Schwarzkopf, die gerade wieder einmal "drei Wohnungen bewohnt". Die Nachbarn sind im Urlaub, also werden die Briefkästen geleert und die Blumen gegossen. Bei einem Rohrbruch neulich haben alle Wasser geschippt. "Der Hexenberg ist heute wieder meine Heimat", sagt Edeltraut Schwarzkopf.

Hat sie je daran gedacht, hier wegzuziehen? "Nee, nie." Warum nicht? "Ich habe einen großen Gerechtigkeitssinn." Und keine Angst. Wo sich andere nicht reinwagen, klingelt sie an den Türen. "Und meistens lassen sich die Probleme durch Gespräche auch ganz schnell aus der Welt schaffen."