Von wegen spießig: In Niendorf leben zwei Familien seit Jahren nebeneinander in einem Reihenhaus. Sie brauchen nicht mal mehr einen Zaun.

Hamburg. Die Grenze verläuft unsichtbar, aber sie ist vorhanden. "Ohne Zaun, das ist schon sehr waghalsig in einem Reihenhaus, sagt Dirk Pahl. "Wenn es nicht klappt und man will nach ein paar Jahren einen Zaun ziehen, ich glaube, dann würde das nachbarschaftliche Verhältnis schwer leiden." Der 42 Jahre alte Rechtsanwalt führt berufsbedingt viele Auseinandersetzungen, doch privat sei er recht friedfertig, sagt er. Seit fast zwölf Jahren leben er und seine Frau Vivien nun schon in ihrem Mittelreihenhaus in Niendorf. Zu den Nachbarn rechts gibt es grüne Büsche, zu ihren Nachbarn zur Linken, Linde und Michael Kern, trennt sie nur die unsichtbare Grenze im Rasen.

Leben im Reihenhaus. Wer so wohnt, begegnet noch immer vielen Vorurteilen. Viele haben eigentlich ein Einfamilienhaus gesucht und landen nach einer Reihe von entmutigenden Besichtigungen schließlich doch beim Reihenhaus. Wegen der kleineren Grundstücke sind sie leichter erschwinglich. "Wir haben uns auch jahrelang Häuser angesehen", erzählt Vivien Pahl, 41. Die kaufmännische Angestellte, die in Niendorf aufgewachsen ist, lebte mit ihrem Mann acht Jahre lang in Hoheluft am Eppendorfer Weg - schöner Altbau mit Stuck. Aber schon lange vor der Geburt von Niclas, 10, war beiden klar, dass sie ein Kind lieber in einem Haus mit Garten großziehen wollen. Als sie schließlich im Jahr 2000 ihr Reihenhaus besichtigten, suchten sie nicht mehr weiter nach einem Einfamilienhaus. "Die Nachbarn haben wir bei der Besichtigung nicht gesehen", sagt der Anwalt. "Man kauft immer die Katze im Sack", findet Vivien Pahl. Ihr Nachbar Michael Kern stimmt zu: "Es kann sich ja auch jederzeit etwas ändern. Einer verkauft, schon hat man andere Nachbarn."

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Auch für Michael und Linde Kern war das Reihenhaus ursprünglich zweite Wahl. Linde Kern stammt aus Unterfranken und ist auf einem Bauernhof groß geworden. "Ich bin 1988 nach Hamburg gezogen, weil ich die Stadt so klasse fand", erzählt die 43-Jährige. Sie habe am Michel gewohnt, auf St. Pauli und in Altona. Die gemeinsame Tochter Hannah, 17, wurde noch in der gemeinsamen Wohnung in Altona geboren, am Holstenplatz. Der Straßenlärm toste Tag und Nacht, und sie sehnte sich nach mehr Ruhe. "Niendorf war aber anfangs ein Kulturschock. Das war schlimm", sagt die selbstständige Grafikerin und Reinzeichnerin. In die Mutterrolle reinzuwachsen und dann in eine so bürgerliche Gegend zu ziehen, das sei etwas viel auf einmal gewesen. Auch für ihren Mann Michael war Niendorf nicht wirklich der Stadtteil, in dem er leben wollte. Als er 16 war, waren seine Eltern in den Stadtteil gezogen, für ihn als Jugendlichen extrem uncool.

Und nun kam er als erwachsener Mann mit Frau und Kind hierher zurück. Anfangs wohnten sie zur Miete in einem Reihenhaus mit Garten. Aber ewig Miete bezahlen wollten sie nicht, "es war eine wirtschaftliche Überlegung, etwas zu kaufen", sagt der Marketingmitarbeiter einer Krankenkasse. Einfamilienhäuser waren teuer, das Reihenhaus in der beschaulichen Straße erschien ihnen ideal. Im Winter 1999 unterschrieben sie den Kaufvertrag. Und die anfängliche Angst vor der sozialen Kontrolle, wie sie manchmal auf dem Land üblich ist, hat sich zum Glück beim Leben im Reihenhaus nicht bewahrheitet. "Das kannst du überall haben, davon muss man sich freimachen." Im Oktober 2000 zogen die Pahls ein. "Da seid ihr vorgefahren in so einem kleinen roten Auto, wir dachten, ihr wärt die Handwerker", sagt Linde Kern und lacht. "Ihr habt gesagt, wir ziehen hier ein, wir sind die neuen Nachbarn." Das war die erste Begegnung.

Ihr Verhältnis war vom ersten Tag an freundschaftlich und entspannt. Man kümmert sich um die Post der Nachbarn, wenn sie verreist sind, gießt die Blumen im Garten, lädt sich auch zu Geburtstagen ein. "Aber es ist nicht so, dass man das Gefühl hat, man muss die Nachbarn immer einladen, wenn man feiert", sagen beide Paare. Das sei wichtig. Auch wenn alle auf ihren Terrassen sitzen und frühstücken - "man geht nicht einfach rüber und steht dann da", sagt Vivien Pahl. Das Maß an Privatsphäre, das im Reihenhaus möglich sei, müsse jeder wahren.

Als Niclas noch jünger war, hatten seine Eltern angeboten, im Garten vorübergehend einen Zaun zu errichten. Das Ehepaar Kern verzichtete. Und so steht jetzt auf der einen Seite des kleinen Gartens vor der Hängematte Niclas' Fußballtor, auf der anderen die Gartenliege, auf der Michael Kern gern liest. Und kriegt bestimmt auch mal einen Ball ans Buch. Also üben sich alle in Rücksichtnahme.

"Wenn du eine Wohnung hast, dann setzt du dich bei schönem Wetter ins Auto und stehst im Stau", sagt er. "Hier musst du nicht das Auto vollpacken und wegfahren." Man könne schon draußen frühstücken und dort den Tag verbringen. So ein eigenes kleines grünes Reich ist für die meisten Menschen der Hauptgrund, den Schritt von der Etagenwohnung in ein Haus anzustreben. "Es ist ein Stadtteil mit vielen sehr netten Leuten. Und wir haben es nicht weit in die Stadt", findet Dirk Pahl. "Uns geht es allen gut, wie wir hier leben", sagt auch Linde Kern. Trotzdem soll das Reihenhaus nicht ihre Endstation in Sachen Wohnen sein. Die temperamentvolle Süddeutsche hegt einen Traum: mit Freunden zusammen ein Wohnprojekt zu verwirklichen. "So eine Art Alten-WG." Am liebsten außerhalb von Hamburg. Vivien Pahl liebt ihr Reihenhaus mit dem kleinen Teich im Garten, in dem im Sommer die Frösche abtauchen. Einfach idyllisch. Ein Einzelhaus? Davon will keiner mehr etwas wissen.

Nach zwölf entspannten Jahren wird das gute Nachbarschaftsverhältnis bald auf eine harte Probe gestellt: "Hannah will Schlagzeug lernen", kündigt Michael Kern an. Vivien und Dirk Pahl reagieren entspannt. Wenn man sich mag, kann man ja auch klopfen, wenn es mal echt zu laut ist. Das werden die Nachbarn schon nicht übel nehmen.