Das Konsumverhalten der Hamburger verändert sich. Markthändler verzeichnen einen deutlichen Rückgang bei Blattsalaten und Gurken.

Hamburg. Kopfsalat, Gurken, Tomaten, Erdbeeren und Johannisbeeren - auch in Zeiten von EHEC kauft Isemarktbesucher Heinz Schnoor, 69, ein wie immer. "Tomaten und Früchte übergieße ich mit kochendem Wasser, bevor ich sie esse", beschreibt der Kanarienvogelzüchter aus Stellingen seine Strategie gegen den gefährlichen Darmkeim, von dem momentan niemand weiß, wo er lauert. Gurke und Salat sind für seine Vögel bestimmt. Täglich serviert er ihnen das rohe Gemüse, vor dessen Verzehr das Robert-Koch-Institut warnt. Symptome wie Durchfall oder andere Auffälligkeiten haben die kleinen Sänger trotz ihres empfindlichen Organismus bisher nicht gezeigt - Schnoor glaubt an diesen "Beweis", sodass auch er Salat und Gurke unbedenklich essen könne. Eine Einstellung, die Lebensgefährtin Menina Ellerbrock, 64, nicht teilt. "Ich verzichte seit Tagen auf rohes Gemüse", sagt sie.

+++Hier finden Sie eine Informationsseite vom Roten Kreuz über den EHEC-Erreger+++

Das tun derzeit viele Hamburger - die täglichen Hiobsbotschaften über die Erkrankung haben sie verunsichert und beeinflussen ihr Konsum- und Ernährungsverhalten. "Wir sind nicht hysterisch. Aber wir geben den Kindern keine Gurken mehr und essen nur noch gekochtes Tiefkühlgemüse", sagen die Marktbesucher Johannes Kahlke, 40, und seine Frau Birte, 37, aus Tangstedt. Auch Tomaten und Salat stehen bei dem Berufsschullehrer im Gesundheitsbereich und der stellvertretenden Kita-Leiterin auf dem Index. Valentina Masu, 44, in Hamburg lebende Italienerin, geht noch weiter. "Ich esse kein Obst und Gemüse mehr, das am Boden wächst und roh verzehrt wird", sagt die Marketingmanagerin bei Montblanc.

+++Auf der Spur des unheimlichen EHEC-Erregers+++

Stattdessen hat sie Blumenkohl, Auberginen und Nektarinen in ihre Einkaufstasche gepackt. Die Tomaten, die ganz oben liegen, will sie einkochen. Auch die Berliner Freundinnen Lala, 16, und Juliana, 17, die zu Besuch in Hamburg sind, kaufen Tomaten. "Wir machen Spätzle mit Tomatensauce", sagten die Mädchen. "Salat haben wir seit vielen Tagen nicht mehr gegessen." Nicole Brandt, 30, aus Othmarschen verzichtet wegen EHEC ebenfalls seit Langem auf grünes Gemüse. "Ich bin total verunsichert, weil niemand weiß, woher der Erreger stammt", sagt sie. Ihr Freund Fabian Behrens, 30, hat gerade Erdbeeren gekauft. "Ich lasse mich nicht verrückt machen", sagt er. "Vorsichtig bin ich nur bei Salat und Gurke."

Für die Markthändler bedeutet die Zurückhaltung ihrer Kunden hohe Umsatzeinbußen. "Salat haben wir nur noch als Deko", sagt Artur Fischer, Verkäufer am Gemüsestand vom Obsthof Mojen aus Jork. Statt wie früher 60 Salatköpfe pro Woche würden jetzt nur vier verkauft. Bei Gurken sei es ähnlich: statt 70 bis 80 wöchentlich wären es jetzt nur drei bis vier. Die Kunden würden auch die ersten Vierländer Tomaten nur zaghaft kaufen - obwohl die Bauern auf Zertifikaten die Unbedenklichkeit der Ware garantieren. Händler Fischer kann die Warnung vor Gurken, Tomaten und Salat nicht verstehen. "Seit zwei Wochen wird dieses Gemüse kaum noch verkauft. Wäre es die Infektionsquelle, müsste die Zahl der Krankheitsfälle doch zurückgehen, statt anzusteigen", sagt er. "Außerdem fassen wir unsere Ware täglich an. Trotzdem ist von uns bisher keiner krank geworden."

+++Vorsicht bei rohen Lebensmitteln+++

Nicht nur auf dem Markt, auch in den Supermärkten sind Salat, Gurken und Tomaten Ladenhüter. "Wir haben in den vergangenen drei Tagen kein frisches Gemüse mehr gegessen", sagt Jonathan Roolf, 26, der mit einer vollen Plastiktüte aus einem Penny-Markt in Eimsbüttel kommt. Gegenüber hat Elke Stehr, 69, gerade bei Aldi eingekauft. "Solange der Infektionsherd nicht herausgefunden wird, verzichte ich auf Salat, Gurken und Tomaten", sagt sie. Sie isst stattdessen Äpfel, die sie gründlich wäscht. Stefanie Fahlfeder, 35, kauft für sich und ihren Sohn, 5, nur Gemüse, das sie kochen kann. "Obst kaufe ich nur, wenn es aus Spanien kommt", sagt die Werbekauffrau. "Dort ist schließlich noch keiner krank geworden."

Die Gastronomen reagieren unterschiedlich. Während Restaurants wie das Farinelli auf der Uhlenhorst und das Season Food in der City seit Tagen weder Salat noch Gurken und frische Tomaten anbieten, steht das anderswo noch auf der Speisekarte. "Wir bieten Salat weiterhin an, auch wenn wir einen Rückgang beim Verzehr feststellen", sagt Steakhouse-Unternehmer Dirk Block. "Die Lieferanten garantieren uns eine einwandfreie Ware. Außerdem wird der Salat bei uns gründlich gewaschen." Die Kajüte an der Außenalster hat sogar noch einen Kartoffel-Gurken-Salat im Programm. "Solange unsere Gäste das essen, bieten wir es an", sagt die Bedienung. Im Vapiano, das neben Pizza und Pasta auch Salat anbietet, gibt es seit zwei Wochen keine Gurken mehr. Die Nachfrage nach Salat sei rückläufig, nicht aber der Umsatz, heißt es aus dem Unternehmen. In einer Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes wurden die veränderten Essgewohnheiten bei einem Teil der Restaurantgäste bestätigt.

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Ein Erreger und viele wirre Thesen

Die beängstigende EHEC-Welle beflügelt offenbar die Fantasie. Zahlreiche Verschwörungstheoretiker und selbst ernannte Terrorexperten äußern sich in Internetforen, in denen Pseudo-Wissenschaftler Theorien über die nach ihrer Meinung eigentliche Quelle der Infektionen verbreiten. Bioterroristen sollen es sein.

Sowohl die Hamburger als auch die Bundesbehörden nehmen den Urhebern dieser Gerüchte allerdings den Wind aus den Segeln. Belege dafür, dass es sich bei der Epidemie um ein von Menschenhand herbeigeführtes Schreckensszenario handelt, gibt es nicht.

Von einem "Fäkalien-Dschihad" fantasierte ein Journalist im Internet. Als Beleg benannte er österreichische Quellen. Dort hätten Erntehelfer und Erntehelferinnen quasi aus Hass immer wieder auf zu erntendes Gemüse uriniert, weshalb es jetzt ein "Rock-Verbot" gebe. Andernorts hätten Angehörige bestimmter Glaubenskreise Fäkalien auf Nahrungsmittel gesprüht. Humbug, wie Ermittler sagen - und schon gar keine organisierte Terrorkampagne.

Mehrfach hieß es in den vergangenen Tagen, der Bundesnachrichtendienst (BND) habe sich in die Ermittlungen zur Herkunft von EHEC eingeschaltet. Unter anderem, so war zu lesen, hätten Vertreter an einem Geheimtreffen in einem "nahe bei Paris gelegenen gemeinsamen europäisch- amerikanischen Lagezentrum" teilgenommen. Zeitweise hatten sich die Gerüchte so weit verselbstständigt, dass sogar angesehene Mediziner sich an ihrer Verbreitung beteiligten. "Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder sind die Keime zufällig in Umlauf gekommen, etwa durch Verunreinigung von Lebensmitteln. Oder sie wurden von Menschen bewusst auf den Weg gebracht", weshalb auch der BND ermittele, sagte Professor Heinzpeter Moecke, Konzernbereichsleiter Medizin und Wissenschaft der Asklepios-Kliniken, der "Welt". Auf Nachfrage gab er an, das habe er im Internet gelesen.

Beim BND heißt es, man habe keinerlei Hinweise auf Bioterrorismus. Auch ermittele die Behörde nicht. Das mache der BND im Übrigen nie, denn er sei ein Nachrichtendienst und keine Ermittlungsbehörde. Der Hintergrund entsprechender Spekulationen könnte jedoch gleichwohl beim BND zu finden sein. Offenbar ist ein Schreiben des Nachrichtendienstes zunächst in falsche Hände geraten und dann fehlinterpretiert worden. Wie bei jedem Pandemieverdacht hatten Gesundheitsbehörden nach dem Ausbruch des EHEC-Erregers die Biologen des BND um Mithilfe gebeten. In einem Antwortschreiben an mehrere Behörden teilten die Spezialisten des BND daraufhin mit, dass sie keinerlei Hinweise auf Bioterrorismus erkennen könnten. Ähnliches gilt für die Hamburger Polizei und die Staatsanwaltschaft. Auch hier gäbe es keinen Anfangsverdacht, der Ermittlungen in diese Richtung rechtfertigen würde, heißt es übereinstimmend.

Dennoch werden die Verschwörungstheorien jeden Tag aufs Neue befeuert - was möglicherweise auch an bestimmten Formulierungen im Zusammenhang mit EHEC liegt. So legt das Wort Hybrid-Klon, als das der Erreger vom Direktor des Instituts für Hygiene, Helge Karch, bezeichnet worden war, für einige Forennutzer nahe, dass es sich um eine quasi scharf gemachte Variante eines bestehenden Erregers handele. Tatsächlich erklärt das Wort Hybrid in diesem Zusammenhang, dass der Bakterienstamm Erbgutteile anderer Bakterien übernommen hat. Ein Klon ist der Erreger, weil er sich ungeschlechtlich fortpflanzt. Und: Dies geschieht in der Regel nicht unter Menscheneinfluss im Labor - sondern eher profan in Gedärmen von Wiederkäuern.