Helmut Schmidt trägt bei der Trauerfeier im Michel für seine Frau Loki zwei Eheringe. Bewegender Abschied von Hamburgs Ehrenbürgerin.

Hamburg. Ein Abschied. "Abschied ist die innigste Form menschlichen Zusammenseins", heißt es. Aber auch: "Jeder Abschied ist eine Mobilmachung für die Erinnerung." Passende Worte für den Heimgang der großen Toten.

Grau ist der Tag, wie zum Abschied gemacht. Grau sind die Gesichter im Hamburger Michel, voller Trauer, aber, wie es scheint, doch eher ungläubig, wenn sich die Augen wie hypnotisiert auf das Riesenfoto einer strahlend schönen Hannelore Schmidt auf der Empore richten.

Helmut Schmidt, der unauffällig durch einen Nebeneingang gerollt ist, Tochter Susanne und ihren Lebenspartner Brian Kennedy als Geleit, blickt starr auf den braunen Sarg, in dem seine Loki einen grauen Frieden finden wird.

Einst wollten sie gemeinsam aus dieser Welt gehen - vorbei und verweht. Über den einsamen Mann im Rollstuhl, der mit den Tränen ringt, fragen sich alle Trauergäste:

Die bewegenden Momente der Gedenkfeier zum Nachlesen

Wie wird er die kommenden Tage, Wochen, Jahre leben und erleben? In kalter Einsamkeit, verstrickt in die nie erlöschende Erinnerung an 68 Ehejahre, an Höhen und Tiefen, an Triumphe und Niederlagen? Kein allabendliches Schachspiel im tröstlichen Tabaknebel zweier Kettenraucher mehr, keine vertrauten Gespräche bis tief in die Nacht hinein. Wer kann ihm helfen, wer wird ihm helfen?

Helmut Schmidt sitzt tief versunken in seinem Stuhl. Während der eineinhalb Stunden des Staatsaktes bewegt er sich kaum. Ab und zu streicht er sich über die müde gewordenen Augen. Zum ersten Mal trägt er an diesem schwarzen Tag zwei Eheringe, Lokis Ring und seinen. Ein Mann hält Totenwache. Als nach dem Ende des Gottesdienstes der Sarg aus der Kirche getragen wird und der Altbundeskanzler die sterblichen Überreste seiner Loki als einsame Ehrenwache begleitet, wird er in sich zusammensinken und die Tränen endlich fließen lassen. "Ein Mann, der nicht weinen kann, ist kein Mann", wird einer seiner Freunde sagen.

Die Totenglocke des Michel schlägt zehn Minuten lang, scheinbar weit entfernt und gedämpft, als wolle sie Loki Schmidts Ruhe nicht stören. "Ist der Tod das Ende?", fragt Hauptpastor Alexander Röder. Wird dieser einmaligen Frau das ewige Licht leuchten? "Wenn es hoch kommt, sind es 80 Jahre", heißt es in der Bibel.

Loki Schmidt wurde 91 Jahre alt, aber für ihren Mann, ihre Tochter, die Freunde starb sie immer noch viel zu früh. Sie allerdings konnte nicht mehr, wollte nicht mehr. Der Preis eines langen, langen Lebens, eines streckenweise sehr schweren Daseins war für sie zu hoch geworden. Bevor ihr Herz stillstand, hatte ihr Geist die Welt schon längst verlassen.

Ihrem Schicksal hatte sie sich lange vorher ergeben: Die Hilflosigkeit, das eigene Leben nicht mehr steuern zu können, hatte sie überwältigt. "Mit 91 kann man nicht mehr in das Uhrwerk des Schicksals eingreifen", hatte

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Beim Trauerempfang des Senats der Freien und Hansestadt im Rathaus erkennt man im Rückblick zahllose Spotlights auf die Entschlafene: Jeder sieht die Frau, die offenbar eine wie keine andere war, anders:

"Mal eine mütterliche Freundin, mal eine verschwiegene Seelsorgerin", bleibt sie für Klaus Bölling, Helmut Schmidts ehemaligen genialischen Regierungssprecher.

Hamburgs Weihbischof Hans-Jochen Jaschke seufzt: "Niemals vergessen kann ich ihre kecke Frage: 'Herr Jaschke, wo bleibt Ihr Küsschen?'"

Friede Springer denkt zurück an den Anfang: "Es war meine schönste Woche in Israel, die uns zusammenbrachte. Seither waren wir eng befreundet." Sie denkt an die samtenen Abende auf ihrer Terrasse in Jerusalem, mit Carmel-Wein, Mondschein und dem traumhaften Blick auf die Altstadt, ein Ebenbild göttlichen Friedens, bis plötzlich die Blitze und der Donner mehrerer Terroristen-Handgrananten verkünden, was der anwesende Abendblatt-Reporter stets geglaubt hat und immer noch weiß: niemals Frieden in Nahost!

Dorothee Stapelfeldt, die SPD-Dame, hat Lokis Bild immer vor sich: "Ich habe zwei ihrer Blumen des Jahres in meinem Garten gepflanzt. Ich bin sehr traurig, aber es war so wichtig, dass wir sie gehabt haben."

Christa Goetsch, Hamburgs grüne Senatorin, bewundert die Hanseatin als "unermüdliche Kämpferin und Vorreiterin für den Umweltschutz und die Rechte der Frauen".

Eberhard Möbius, der Kapitän vom "Schiff", ist tief erschüttert: "Aber ich bin stolz darauf, dass ich beide Schmidts zum Lachen bringen durfte." Helmut Schmidt bekommt in seiner schwersten Stunde all diese Lorbeeren, die nicht verwelken können, nicht mit: Zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel, Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und anderen Vertrauten hat er sich an einen "geheimen Ort", wie sich später herausstellte: das Hotel Vier Jahreszeiten, zurückgezogen.

Im Rathaus verlassen die Trauergäste zögernd und wie benommen den Schauplatz des Abschiedsaktes. Ihre Gesichter zeigen, wie am Vormittag im Michel, ihren Unglauben: Ist Hannelore Schmidt wirklich tot? Konnte eine wie Loki Schmidt wirklich sterben? Wie werden wir mit dieser Erinnerung fertig? Was uns bleibt, ist der Trost, dass wir Hannelore Loki Schmidt erleben durften.