Der scheidende Bürgermeister Ole von Beust spricht über neun Jahre im Rathaus, seinen Vater, Homosexualität und den Rücktritt.

Am 25. August gibt Ole von Beust sein Amt als Erster Bürgermeister auf. Den Rücktritt hatte er am 18. Juli, dem Tag des Volksentscheids über die Primarschule, angekündigt. Das Abendblatt-Interview mit dem scheidenden Senats-Chef.

Abendblatt:

Lesen Sie eigentlich Ihre eigenen Kritiken?

Ole von Beust:

Überwiegend ja.

Sie haben es mit Ihrem Rücktritt immerhin auf die Seiten des Feuilletons geschafft. Der Abgang eines beliebten Politikers ohne Skandal, ohne Not wurde als Stilfrage, aber auch als Frage der Moral diskutiert. Wie stehen Sie dazu?

Abschied und Ende gehören im Leben dazu, auch beruflich. Bislang habe ich immer den Vorwurf gehört, dass Politiker zu lange an ihrem Sessel kleben. Mich hat überrascht, dass es eine Frage der Moral sein soll, wenn ich nach 17 Jahren Berufspolitik, davon neun Jahre als Bürgermeister, aufhöre.

Hat ein Politiker jederzeit das Recht zu sagen: Leute, das war's?

Nein. In Notzeiten, etwa bei einer Sturmflut, geht das nicht. Ansonsten muss das jeder für sich entscheiden. Die Frage eines Rücktritts habe ich persönlich mir deswegen auch nicht gestellt, als es um die Sanierung der HSH Nordbank oder von Hapag-Lloyd ging.

Wir haben eine Notsituation, was den Haushalt angeht.

Die haben wir doch immer. Als Bürgermeister ist das jetzt mein drittes Sparprogramm, als Abgeordneter mein siebtes. Ich will nichts verharmlosen, aber: Jede neue Haushaltskrise ist immer die schlimmste, aber die Probleme und die Lösungen wiederholen sich.

Monatelang wurde über Ihren Rücktritt spekuliert, während Sie eifrig dementierten. Warum haben Sie sich und allen anderen dieses Schauspiel zugemutet?

Das kann ich Ihnen genau sagen. Erstens war ich mir nicht im Klaren darüber, wann ich genau zurücktrete. Zweitens: Wenn Sie öffentlich über Ihren Rücktritt nachdenken, sind Sie sofort eine "lame duck" (lahme Ente, die Red.), und es heißt, dass Sie amtsmüde sind. Alles konzentriert sich auf die Frage, wer Nachfolger wird.

Das alles ist doch ohnehin geschehen.

Aber nur sehr sporadisch. Das war dann überlagert zum Beispiel von der Diskussion über die Primarschule, die mir persönlich sehr wichtig war und für mich im Vordergrund stand.

Bereuen Sie inzwischen, dass Sie nicht früher Klartext gesprochen haben?

Nein. Ich habe frühzeitig gesagt, dass ich nicht weiß, ob ich noch einmal kandidiere. Der Zeitpunkt des Rücktritts war genau richtig, weil ich die Diskussion über die Schulreform bis zum Volksentscheid mit führen wollte.

Sie haben gesagt, nach fast neun Jahren im Amt sei man "durchgenudelt". Gibt es eine physische und psychische Grenze der Belastbarkeit?

Die ist bei jedem unterschiedlich. Ein Anhaltspunkt sind für mich zwei Legislaturperioden. Es mag Leute geben, die ein dickeres Fell haben und 15 Jahre durchhalten.

1. Die Rücktrittserklärung von Ole von Beust

2. Die Rücktrittserklärung von Kultursenatorin Karin von Welck

3. Porträt: Ole von Beust – Hanseat durch und durch

4. Porträt: Christoph Ahlhaus - der designierte Nachfolger

Sind Sie sich selbst treu geblieben?

Ja. Was die eigene Haltung angeht, ist mir wichtig: Distanz zu sich selbst, Demut, keine Allüren, nicht größenwahnsinnig werden und den politischen Gegner nicht verunglimpfen. Das sind Punkte, die mir immer wichtig waren. Was die Inhalte angeht, bin ich immer für größtmögliche Toleranz und Liberalität eingetreten. Außerdem liegt mir das Thema Integration sehr am Herzen.

Erst die Koalition mit dem Rechtsausleger Ronald Schill, jetzt mit der GAL. Politisch passt da nicht viel zusammen. Sind Sie einfach ein Machtpolitiker?

Auch, aber nicht nur. Die Bereitschaft 2001, mit der Schill-Partei zu koalieren, folgte dem Ziel, die SPD-Herrschaft zu beenden. Das war eine machtpolitische Entscheidung. Inhaltlich hatten wir damals eine fast hysterische Diskussion über die innere Sicherheit. Heute geht es in der gesellschaftlichen Debatte darum, die fast rituell gepflegten Widersprüche zwischen Ökonomie und Ökologie sowie individueller Freiheit und klarer Kante in Sachen Rechtsstaat zu überwinden. Deswegen halte ich Schwarz-Grün für eine kluge Sache.

Welche Rolle liegt Ihnen mehr: die des Hardliners bei der inneren Sicherheit und Marktliberalen oder die des Umweltpolitikers und Elitenkritikers, der den Kapitalismus für gescheitert erklärt?

Ich schreibe mir ja keine Rollen, sondern ziehe persönliche Lehren aus gewissen Ereignissen. Ich war früher marktliberal und hatte die Hoffnung, dass das freie Spiel der Kräfte alles regelt. Heute ist meine Überzeugung, dass das zu ungerechten Verhältnissen führen kann. Vermutlich bin ich im Laufe der Jahre ein wenig linker geworden, um mal ein Etikett zu nehmen.

Woran liegt das?

Erstens: Wenn man immer wieder hört, dass viele Menschen die teilweise sehr hohen Managergehälter für ungerecht halten, dann kann die Politik das nicht ignorieren. Zweitens haben wir gesehen, dass die Privatisierungs-Politik früherer Jahre nicht immer zu dem gewünschten Erfolg geführt hat. Statt günstiger Preise und mehr Effizienz etwa auf dem Energiesektor gibt es eine neue Tendenz zu Oligopolen.

Im Jahr 2003 hing Ihr politisches Schicksal am seidenen Faden. Schill machte Ihre Homosexualität öffentlich, Sie warfen ihn raus. Ein Vierteljahr später regierten Sie mit absoluter Mehrheit. Wie verkraftet man, dass das Private plötzlich so öffentlich wird?

Im Nachhinein war es gut, weil es mich freier gemacht hat. Obwohl ich unkompliziert mit meiner Homosexualität umgegangen bin, war ich immer ein bisschen unsicher, ob das in der Politik nicht doch als Makel empfunden wird. Am schmerzhaftesten waren damals die unglaublichen Recherchen von Journalisten weit in den privaten Bereich hinein. Zwei, drei Monate fühlte ich mich privat regelrecht belagert.

Inwiefern hat die ganze Sache Sie als Politiker verändert?

Ich glaube, sowohl der Rauswurf von Schill selbst und die extrem positive öffentliche Reaktion darauf als auch die Entscheidung, die Koalition zu beenden, haben mich mutiger gemacht.

Woran kann man diesen Mut ablesen?

Zum Beispiel auch an unpopulären Entscheidungen wie dem Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser, gegen den die Mehrheit in der Stadt war. Vielleicht hätte ich mich auch in der Schulreform nicht so engagiert, weil ich ja wusste, wie schwer das der eigenen Klientel zu vermitteln ist.

Welche Rolle hat Ihr Vater in dieser Zeit gespielt?

Gerade in den persönlich schwierigen Zeiten hatte ich die unbedingte Rückendeckung und Liebe meines Vaters und meiner Geschwister. Die Diskussionen mit meinem Vater haben einen großen Einfluss gehabt, auch wenn ich nicht allen seinen Ratschlägen gefolgt bin.

Hat der Tod Ihres Vaters Ihre Rücktrittsentscheidung beeinflusst?

Mein Vater war zwar stolz wie Bolle, als ich Bürgermeister wurde, aber er hat mir nie zugeraten. Als ich in die Junge Union ging, hat er gesagt: Mach bloß keine Politik, konzentriere dich auf deinen Beruf. Als ich Bürgermeister war, hieß es: Mach's nicht zu lange. Lange steht man das nicht durch. Vermutlich hätte mein Vater mir geraten, früher aufzuhören.

Im ersten Interview nach der Wahl 2001 haben Sie angesichts der öffentlichen Beanspruchung gesagt: "Es gibt die Gefahr, sich einzumauern." Stimmt dieser Satz auch 2010?

Ja und nein. Ich habe drei, vier gute Freunde, die mit Politik nur am Rande zu tun haben und mit denen das Gespräch sehr eng ist. Ich bin nur bedingt gesellig, das ist mein Naturell. Ich hatte früher den Ruf, immer der Erste zu sein, der sich auf Feiern verabschiedete. Heute gehe ich noch früher, aber ein Einmauern hat es nicht gegeben: Ich habe mich immer in der Öffentlichkeit bewegt und versucht, mein normales Leben weiterzuführen.

Was zeichnet einen guten Hamburger Bürgermeister aus?

Erstens, dass er weiß, wo er politisch hinwill. Das war für mich die Idee der wachsenden Stadt und später das Motto "Wachsen mit Weitsicht". Zweitens nicht nur Bürgermeister der Partei zu sein, sondern für alle da zu sein. Drittens eine starke Liebe zur eigenen Stadt. Man kann Hamburg nicht regieren wie eine Firma, man muss ein Gefühl dafür entwickeln, wie diese Stadt tickt, wie die Menschen fühlen.

Was war Ihr größter Erfolg?

Persönlich: die absolute Mehrheit im Februar 2004. Politisch: dass die Hamburger Wirtschaft auch in der Krise gut lief. Dass die HSH Nordbank auf einem guten Sanierungskurs ist, dass Hapag-Lloyd gerettet ist, dass der Hafen wieder zweistellig wächst - und das alles verbunden damit, dass Hamburg trotz aller Schwierigkeiten zum Beispiel bei der Integration und der Armutsbekämpfung noch relativ gut dasteht.

Was war Ihr größter Misserfolg?

Die Niederlage bei der Volksabstimmung über die Schulreform war persönlich und politisch der größte Misserfolg.

War es richtig, sich persönlich so stark dafür zu engagieren?

Ich könnte jetzt mit John Wayne antworten: Manchmal muss ein Mann tun, was ein Mann tun muss (lacht), aber das wäre zu martialisch. Im Ernst: Die Primarschule wäre ein wichtiger Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit gewesen, davon bin ich zutiefst überzeugt. Daher war es richtig, sich so reinzuhängen.

Was haben Sie nicht erreicht?

Der Geist von Schwarz-Grün ist in der Tiefe nicht ausreichend angekommen, vielleicht habe ich ihn auch persönlich nicht ausreichend transportiert. Wir sind ja angetreten, Gegensätze zu überwinden: Ökonomie und Ökologie, keine rechtsfreien Räume und großstädtische Gelassenheit, wirtschaftlicher Erfolg und soziale Verantwortung. Und das läuft eigentlich gut. Ich kreide mir selbst an, dass wir uns etwas im Alltagsgestrüpp - von der Wirtschaftskrise über die HSH-Nordbank-Krise bis hin zum Eis im Winter - verfangen haben.

Bereuen Sie eine Entscheidung?

Ja, die Verkürzung der Gymnasialzeit von 13 auf zwölf Jahre hätte man anders machen sollen. Entweder hätte man es den Schulen freistellen oder die Eltern stärker mit einbeziehen sollen. Auf jeden Fall hätte man die Lehrpläne entrümpeln müssen.

Was hat Sie am meisten überrascht?

Der persönlich und in Briefen geäußerte sehr starke Zuspruch, übrigens überwiegend von älteren Frauen. Auch nach dem Schill-Rauswurf und dem Outing habe ich die nettesten Briefe von älteren Damen bekommen. Obwohl die sogar teilweise erkennbar sehr konservativ waren, haben sie mir geschrieben, ich solle mich nicht beirren lassen, im Leben zähle nur, wie man sich verhält, nicht, woher man kommt, jeder müsse ungestört sein Privatleben führen können. Auch jetzt, nach dem Rücktritt, waren die Briefe zu 90 Prozent freundlich. Nur einige unterstellen mir, ich habe es ja nur auf die Pension abgesehen und wolle auf Sylt ein schönes Leben führen.

Und was haben Sie wirklich vor?

Ich bleibe in Hamburg und werde arbeiten. Ich gehe davon aus, dass ich meine Pension nicht vor 65 in Anspruch nehmen werde.

Um was geht es und wann geht es los?

Ich bin noch in Gesprächen, auf jeden Fall nichts im staatlichen oder halbstaatlichen Bereich. Los geht es wohl im Oktober, spätestens im November.

Was soll aus Ihrer Amtszeit mit Ihrem Namen verbunden bleiben?

Er hat seine Arbeit ordentlich gemacht. Kein Bauwerk, keine Tat.

Spüren Sie Erleichterung, dass es jetzt vorbei ist?

Ich habe ja nichts auszustehen. Aber ich hasse Schwebezustände und kann schlecht warten. Insofern bin ich froh, wenn der nächste Mittwoch vorbei ist.

Und grundsätzlich?

Der öffentliche Druck wird natürlich geringer. Es ist unglaublich anstrengend, dass sich überall, wo man hingeht, alle Aufmerksamkeit auf einen konzentriert. Man kann sich nicht in einer Ausstellung in Ruhe ein Bild anschauen oder in China die Pandabären beobachten, wie sie auf ihrem Bambus kauen. Ich habe auch meine Eitelkeiten und extrovertierten Seiten. Aber im Grunde bin ich ein eher introvertierter Mensch, der lieber in Ruhe gelassen wird. Und dieser Wesenszug kommt im Beruf Bürgermeister etwas zu kurz.

Unter welchen Bedingungen wären Sie bereit, in die Politik zurückzukehren?

Nun mal langsam. Ich habe ja gerade erst erklärt, dass ich aufhöre!

Was war und ist Ihr Antrieb, Politik zu machen?

Nicht derjenige zu sein, mit dem etwas gemacht wird, sondern selber zu machen. Bei mir war es wie mit so vielen in der Politik, die mal Klassensprecher waren, Schulsprecher, Schülerzeitung gemacht haben. Das ist so ein Typus, der will mit entscheiden.

Werden Sie eher das klassische Politikgeschäft mit Senats- und Bürgerschaftssitzungen vermissen oder eher die "weichen" Termine wie Neujahrsempfang oder Spargelessen bei der Harburger Schützengilde?

Beides nicht. Vermissen werde ich eher, morgens eine Geschichte in der Zeitung zu lesen und sofort zum Hörer zu greifen und zu fragen, was da dran ist und was man machen kann, um das Problem zu lösen. Das ist so ein Reflex. Ja, steuernd eingreifen zu können - das werde ich möglicherweise vermissen.