Ohne schmucke Kopfbedeckung geht auf der Horner Rennbahn nichts. Helga Rabe fertigte Hüte für die Damen der Gesellschaft.

Hamburg. Sie verkörpert ein Stück Hutgeschichte. Ohne ihre Kunst hätte so manch hanseatischer Kopf nicht Farbe bekennen können. Denn Helga Rabe fertigte besonders gerne solche Hüte, die auffällig waren, pink, grün oder marineblau, für das Hamburger Derby im Juli immer opulent, wagenradgroß.

Helga Rabe,79, ist Putzmachermeisterin, heute Hamburgs bekannteste Hutmacherin außer Dienst. Doch jahrzehntelang stattete sie die Damen der Gesellschaft oben herum aus. Alljährlich hatte sie einen Verkaufsstand auf der Rennbahn in Horn, fertigte nach Wünschen und Intuition kleine Kunstwerke.

Angefangen hatte Rabes Hamburger Hutgeschichte 1989, da hatte sie ihre Meisterprüfung längst in der Tasche, das Letzte ihrer vier Kinder war aus dem Haus. Doch eigentlich war es keine besonders hutfreundliche Zeit, erinnert sich Rabe. Ein Geschäft nach dem anderen musste schließen. "Gott sei Dank haben wir keinen Hutladen mehr!", dachte sie, die in einem solchen in Magdeburg aufgewachsen war. Immer nur Hüte. Doch nach den Jahren der Abstinenz in Hamburg regte sich in Rabe wieder die Lust am Kreativsein. "Mami, jetzt hol doch mal wieder deinen Meisterbrief aus der Schublade", insistierte ihre Tochter immer wieder. "Da bekam ich dann Mut, wissen Sie, in einem leer geräumten Kinderzimmer habe ich angefangen zu nähen."

Ihre Hüte finden Abnehmer, dann die Anfrage, ob sie nicht beim Derby im VIP-Zelt den Hutstand machen wolle. "Zitternde Knie hatte ich bei der Zusage. Aber dann habe ich losgelegt, um genug Hüte zu haben", so Rabe. Und der Erfolg kam. Edda Darboven, Ehefrau des Kaffeekönigs Albert Darboven, betrachtete ihren Kopfputz aufmerksam, wählte sogleich zwei Modelle aus. ",Mein Chauffeur holt diese beiden Hüte nachher bei Ihnen ab', das hat sie gesagt", so Rabe. "Von da an lief es."

Die 79-Jährige spricht schneller, wenn sie sich an die Anfänge erinnert. An die ersten Damen mit Namen, die immer mehr wurden, treue Kundinnen. "Irgendwann kennt man den Geschmack der einzelnen Frauen. Frau Darboven, ihr können Sie wirklich alles auf den Kopf setzen, sie kann das tragen und hat die richtige Garderobe dazu."

Die Damen damals hätten einfach gekauft, sie hatten Hosen, Röcke, Roben - aber keine passenden Hüte dazu. Und so nähte Rabe Strohhüte, Wagenräder, kleine freche Hüte, Borsalinos, Filzhüte mit Federn, Strass, mehrfarbig. Für jeden Anlass. "Meine Kundinnen waren gesellschaftlich sehr eingebunden", sagt Rabe ernst, "sie brauchten Hüte für Hochzeiten, Beerdigungen und das Derby." Voraussetzung bei den ausladenden Hüten für die Rennbahn war immer: "Wagenradgroß ja, doch bloß nicht zu riesig, damit noch bequem und elegant geküsst werden kann."

Rabes Motto "Ein Hut soll vor allem eins: einer Frau schmeicheln" gefiel auch Edda Darboven. Hüte gehören für die gebürtige Prinzessin von Anhalt seit ihrer Kindheit in Garmisch-Partenkirchen zum Leben. Bei der Jagd beispielsweise. Oder später, als sie in München ihre Ausbildung im Kunsthandel machte. "Wenn ich traurig war, habe ich mir manchmal einen Hut gekauft", sagt Darboven, "dann wurde alles schlagartig besser." Heute trägt sie Hut auf der Rennbahn in Ascot, Iffezheim und Hamburg. Auf der Rennbahn ist es am schönsten, denn dann tragen ihn alle.

Derby und Hüte - das hat eben Tradition in der Hansestadt. Schon 1882, als Horn ein besonders heißes Rennen um die Favoriten "Trachenberg" und "Taurus" erlebte, tanzten in der Sommerluft "Hunderte von Hüten und Zylindern, welche die steifen Hamburger vor Begeisterung in die Luft geworfen hatten und zum größten Teil nicht wiederbekamen, da sie in der Hitze des Freudengefechts zertrampelt" wurden, berichtete das Abendblatt 1946.

Von solcher Verschwendungslust kann Anika Meyer-Rochow nur träumen. Mit 28 Jahren ist die Inhaberin des Hamburger Hutsalons in der Bleichenhof-Passage Hamburgs jüngste Modistin. Die Brünette im Bustierkleid mit Perlohrhängern und einem Zahnbrilli geht selbst leidenschaftlich gern zum Derby. "In letzter Zeit sehe ich leider immer mehr industriell gefertigte Hüte. Seitdem die Kaufhäuser eine große Auswahl anbieten, verzichten viele auf eine Maßanfertigung."

Zumal die auch nicht billig ist: Rund 500 Euro kostet ein Standardmodell à la Rochow. Die Zeiten, in denen Damen für jeden Renntag einen anderen Hut parat hatten, sind vorbei. "Heute sind es neben dem Derby Taufen oder Hochzeiten, für die wir anfertigen."

Sehr selbstbewusst. So könnte man nicht nur die Hutmodelle in Magenta und Meerblau, mit stilisierten Callas oder riesigen Federn bezeichnen. Sondern auch die Frau, die dahintersteckt: "Außer dass wir alle sehr gern und oft Hüte tragen, hat meine Familie sonst nichts mit der Branche zu tun." Sie sei die erste Modistin. "Als ich mich 2004 selbstständig machte, fragte mein Vater, wie ich damit jemals Geld verdienen wolle", sagt sie. "Aber das war mir damals ganz egal. Ich hatte Spaß daran, Hüte herzustellen. Ums Geldverdienen habe ich mir keine Gedanken gemacht."

Nach der Ausbildung bei Irmer und Schnatmann in Blankenese kaufte Anika Meyer-Rochow den alteingesessenen Hutladen Monika Fleck an den Colonnaden und zog kurze Zeit später in die Passage um. Mit dieser Vorgeschichte ist der Hamburger Hutsalon nun genauso alt wie seine neue Besitzerin - oder eben genauso jung. "Ich stehe nicht auf diese englischen Formen mit schweren Kanten, so wie die Queen sie trägt", sagt sie. "Auch Torten und Obstsalat auf dem Kopf geht gar nicht." Ihr Stil sei mal verspielt, mal romantisch, mal mondän - aber immer sehr weiblich. Hut, Tasche und Schuhe sollten aufeinander abgestimmt sein. "In die feine Gesellschaft hineinzukommen, das war schon sehr speziell." Mittlerweile ist sie auch dort angekommen. Bei Meyer-Rochow kaufen Gräfinnen ebenso wie Girlies, die das erste Mal Rennbahnluft schnuppern wollen. "Meine jüngste Kundin war 21, und die wollte ein richtig großes Wagenrad."

Längst hat ein Generationswechsel in den Logen und auf den Tribünen stattgefunden, fiebern junge Mädchen bei Rennen mit - die Hand elegant an die Hutkrempe getippt. Aber es könnten noch mehr sein. "Da sind wir Jüngeren gefragt. Es reicht schon, dass ich als junge Frau im Hutladen stehe und die Modelle präsentiere. Das zieht moderne Kundinnen an", sagt Meyer-Rochow.

Bei den Hamburgerinnen sei der klassische Schwinger in Rundkopfform sehr beliebt. Damit es nicht langweilig wird, bietet sie dieses Modell etwa in einer gewagten Fuchsia-lindgrün-Kombination an. Ohnehin gehe der Trend in diesem Jahr zu klareren, ausdrucksstarken Farben und größeren Formen. "Aus dem Spiel mit Materialien entsteht die jeweilige Hutform. Bei mir fließt das aus der Hand heraus", sagt die 28-Jährige. Eine kunstvolle Schleife gelinge ihr in drei Minuten, während andere dafür zwei Stunden bräuchten. "Diese Arbeit entspricht mir einfach."

Fragt man sie nach ihrem Vorbild, kommt nicht Hamburgs Altmeisterin Helga Rabe als Antwort (gleichwohl sie ihr natürlich ein Begriff ist), sondern: "Coco Chanel! Die war ja ursprünglich Modistin!" Und sehr selbstbewusst.