Hamburg gilt als anglophile Hochburg auf dem europäischen Kontinent. Nur beim Fußball könnten die guten Beziehungen kurzzeitig abkühlen.

Wenn am kommenden späten Sonntagnachmittag der - zugegeben unwahrscheinliche, denn am Ende gewinnen bekanntlich ja immer die Deutschen - Fall eintreten sollte, dass unsere Fußballnationalmannschaft im Achtelfinale gegen das Mutterland des Fußballs (England) ausscheidet, dann würde ganz Deutschland Trauer tragen.

Ganz Deutschland? - Nein! Eine vom Stamm der Hanseaten bewohnte Stadt im Norden der Republik würde dem verdienten Sieger applaudieren, gratulieren und geschätzte 500 000 schwarz-rot-goldene Autofähnchen flugs gegen Union Jacks oder St.-Georges-Crosses austauschen.

Sorry, aber dies ist natürlich nur eine Vision. Besser: Es ist Bullshit. Denn sogar in Hamburg, der "allerenglischsten Stadt des europäischen Kontinents" wird der "Fußballklassiker" inzwischen als Krieg behandelt. Allerdings ist es ein Krieg, den wir Deutschen - und erst recht wir Hamburger - ausnahmsweise mal nicht angefangen haben, sondern der von den Schlagzeilenkönigen der Boulevardzeitungen in der Londoner Fleetstreet angezettelt wurde: "Let's Blitz, Fritz!"

Oh yes, die Engländer kennen unsere Empfindlichkeiten ganz genau. Nur deshalb nennen ihre Kommentatoren stets Worldcup und Weltkrieg hingebungsvoll in einem Atemzug, wenn die "Three Lions" gegen die deutsche Nationalelf antreten müssen, die "gründlich, organisiert, ja panzergleich" stürmen und verteidigen. 90 Minuten, eventuell 120 und vielleicht sogar noch ein Elfmeterschießen lang werden daher wohl auch die anglophilsten Hamburger ihre gelebte Affinität zu England tapfer zu unterdrücken wissen. Sogar dann, wenn sie das Spiel im elitären Anglo-German Club, der im Jahre 1948 von englischen Besatzungsoffizieren gegründet wurde, verfolgen sollten.

Hamburg hat tatsächlich eine außergewöhnlich enge Beziehung zur Insel in der Nordsee. Eine Beziehung, die fester ist als der wasserabweisende Stoff der legendären "Barbour"-Jacke und die Spötter auch schon mal als "Anglomanie" bezeichnen.

Die ersten Anknüpfungspunkte wurden im Jahre 1266 geknüpft, als König Heinrich III., der 22-fache Urgroßvater Ihrer jetzigen Majestät, Königin Elizabeth II., den Hansestädten das Recht gewährte, mit England Handel zu treiben. Als Hamburg der Hanse beitrat, waren Tücher die wichtigste Ware, und der Tuchhandel der Hansestadt mit den Merchant Adventures of England begann zu blühen. 1350 wurde die Englandfahrer-Bruderschaft in Hamburg gegründet, in London entstand mit dem Stalhof ein bedeutendes Hamburger Handelskontor. In seinem Gästehaus an der Gröninger Straße bot der Senat britischen Kaufleuten Unterkunft, an der Londoner Börse gab es für Hamburger Kaufleute reservierte Plätze.

Das britische Generalkonsulat bestand seit 1632 und wurde 2006, nach einem Aufschrei der Hamburger, durch ein Honorarkonsulat ersetzt. 1689 wurde der Brite Sir Paul Rycaut als erster britischer Diplomat in der Hansestadt akkreditiert. Ab dem 17. Jahrhundert, als Hamburg der Hansestadt Lübeck durch den zunehmenden, nach Westen hin orientierten Handelsverkehr mit der aufstrebenden Seemacht England endgültig den Rang abzulaufen begann, wurden die Beziehungen zu England noch enger: 1838 entstand am Zeughausmarkt mit der English Church of St. Thomas à Becket die älteste anglikanische Kirche auf dem Kontinent (Prinz Charles und Prinzessin Diana beteten dort gemeinsam während ihres Hamburg-Besuchs im Jahre 1987). Im Jahre 1842 war etwa der Ingenieur William Lindley maßgeblich am Wiederaufbau Hamburgs nach dem Großen Brand beteiligt. Er führte die Kanalisation ein. 1851 wurde der eingewanderte Brite Robert M. Sloman sogar Präsident der ersten gewählten Hamburger Bürgerschaft, nachdem er bereits 1793 die älteste, heute noch existierende Reederei Deutschlands gegründet hatte.

Auch entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche familiäre Verbindungen zwischen Hamburg und England. Ab dem 19. Jahrhundert war es eine Selbstverständlichkeit, dass Hamburger Kaufmannssöhne heraus in die englische Welt geschickt wurden, die dann bei ihrer Rückkehr nicht unwesentliche Teile englischer Lebensart in die Heimat importierten. Dazu gehörte ab Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem der Sport. Denn es waren die Engländer die den "Sportsman" erfanden und mit ihm die anfangs als skurril belächelte Leidenschaft, sich im sportlichen Wettkampf zu messen - "by fair means" selbstverständlich, auch wenn es in erster Linie natürlich darum ging zu gewinnen; besser zu sein als der bezwungene Gegner, ihm dennoch nach einem "Match" die Hand zu schütteln und sich für die Fairness zu bedanken. Fußball, Rugby, Hockey, Rudern, Golf oder Polo: Sportarten und -disziplinen waren Englands Exportschlager zu jener Zeit.

Darüber hinaus importierten die englischen Kaufleute das Klubwesen in die Hansestadt und festigten auf diese Weise die "English Community", die sich allerdings vornehmlich aus den gebildeten, wohlhabenden und dementsprechend elitären Kreisen rekrutierte. Denn der primäre Anknüpfungspunkt der Hansestadt und ihrer Bewohner zu England und den Engländern lag immer auf der Ebene der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Diese gewachsenen Handelsbeziehungen blieben auch während und nach den Bombennächten des Zweiten Weltkrieges die unerschütterliche Basis für die gute Beziehung der "English Community" und zum anglophilen Hamburg. Deutlich wird dies durch die in Hamburg besonders aktive "Swing-Jugend", die allein schon durch die britische Mode, die sie provozierend zur Schau trug, den Nazis ein Dorn im Auge war. Auch an der Kapitulation der Stadt vor den anrückenden britischen Truppen am 3. Mai 1945 lässt sich das besondere Verhältnis festmachen: Auf der englischen Seite stand die Sorge um britische Verletzte in Hamburger Lazaretten, auf der anderen das Interesse der Hamburger Kaufleute an der Zukunft ihrer Unternehmen, was den Gauleiter Karl Kaufmann dazu veranlasste, den Engländern Hamburg als "offene Stadt" zu übergeben. Auf beiden Seiten existierte der Wille für den Neuanfang.

Wenn dann aber am kommenden Sonntag tatsächlich der - zugegeben unwahrscheinliche, denn am Ende gewinnen bekanntlich ja immer die Deutschen - Fall der Niederlage eintreten sollte, wird dies weder einen negativen Einfluss auf die traditionellen "British Days" im Hamburger Polo Club haben, noch auf die Tea Time mit Gurken-Sandwiches im Hotel Vier Jahreszeiten. Auch nicht auf die Hamburger Tee-Exporte nach England. Und auf den marginal blasierten Lebensstil des feinen Hanseaten von der Elbchaussee schon gar nicht. Bei all dieser Anglophilie ist es bloß verwunderlich, dass ausgerechnet Hamburg bis heute keine Partnerschaft mit einer englischen Stadt pflegt.