Wie England sich auf das Achtelfinale am Sonntag vorbereitet. Das Team ist sich wieder nähergekommen

Port Elizabeth. Der "Daily Star", eine Zeitung, die selbst das Niveau von "Sun" und "Mirror" verlässlich unterbietet, fasste die beiden wichtigsten Erkenntnisse des Abends kurz und griffig zusammen. "Beer we go! Job done, now for the Hun", titelte das Boulevardblatt. Frei übersetzt: Bier marsch, jetzt geht es gegen die Hunnen. Mit Letzteren ist natürlich die DFB-Elf gemeint. Dass sich Löws neues Deutschland aus vielen eher unteutonischen Einwandererkindern zusammensetzt, macht da natürlich keinen Unterschied.

Überraschender als die in den nächsten Tagen bestimmt noch beflügelte Konjunktur der Klischees auf der Insel war jedoch das vom "Daily Star" ebenfalls prägnant thematisierte Ende der Prohibition im englischen Team-Lager. Fabio Capello hatte seinen nervösen Schützlingen vor dem Schicksalsspiel gegen Slowenien ja einen Schluck genehmigt. "Ich habe etwas verändert und meine Fantasie benutzt", erzählte der 64-Jährige nach dem Schlusspfiff im Nelson-Mandela-Bay-Stadion zufrieden. So unheimlich einfallsreich war diese Maßnahme freilich nicht: Rädelsführer John Terry hatte sich bekanntlich bei Capellos Trainerstab schon nach dem 0:0 gegen Algerien erfolgreich für einen Drink eingesetzt.

Die Aktion wäre im Grunde gar nicht der Rede wert, darf allerdings unter den ganz speziellen Umständen, die im Royal Bafokeng Sports Campus herrschen, als geradezu bahnbrechend betrachtet werden. Viele Spieler hatten sich zuletzt über die strenge Kasernierung in Phokeng beklagt, wo es außer Darts, Billard, Golf und ein paar Brettspielen wenig Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung gibt und man sich nachmittags oft stundenlang auf dem Zimmer ausruhen muss.

"Mir war im Leben noch nie so langweilig", hatte Terry geklagt. Sogar vom "Stalag Capello" (die "Times") war schon die Rede. Die Alkohol-Erlaubnis darf nun als Beweis herhalten, dass Capello doch bereit ist, seine Linie den britischen Gepflogenheiten zumindest ein wenig anzupassen. Flexibilität in der Trainingsgestaltung ließ der Friauler auch erstmals erkennen. Die Aufstellung im entscheidenden Gruppenspiel gegen Slowenien hatte er zwar nicht, wie vom Team gefordert, frühzeitig verkündet, seinen Auserwählten allerdings mit gezielten Übungen im Vorfeld einen hilfreichen Wink gegeben. "Ich hatte das Gefühl, dass ich zu Beginn auflaufen würde, nachdem wir im Training am Tag zuvor an der Formation gearbeitet hatten", sagte James Milner, der für Aaron Lennon in die Startelf gerutscht war und Jermaine Defoes erlösendes 1:0 mit einer Flanke aus dem Halbfeld vorbereitete.

Plötzlich ist die Stimmung natürlich blendend. "Wir haben alle Gerüchte (um eine Rebellion, d. Red. ) und die negativen Dinge dafür benutzt, um noch enger zusammenzurücken", versicherte Innenverteidiger Matthew Upson von West Ham. Torschütze Defoe (Spurs) lobte ebenfalls den "großen Teamgeist". Und Frank Lampard lobte die taktischen Wechsel des Trainers: "Beide waren gut." Milner und Defoe boten die überzeugendsten Leistungen.

So schnell kann es gehen. Wenige Tage zuvor war man noch, um es mit Lothar Matthäus zu sagen, die klassisch "gut intrigierte Truppe" gewesen. Und nun sagt Lampard: "Jetzt geht die WM erst richtig los."

Franz Beckenbauers These, die Engländer könnten aufgrund der langen Saison in Bloemfontein "müde" oder gar "ausgebrannt" sein, wies Defoe von sich. "Die Jungs sind alle gut drauf. Niemand ist müde, alle sind frisch", sagte der 27-Jährige. Er ist einer der wenigen, die öffentlich zugeben, dass sie lieber gegen Ghana gespielt hätten. "Aber wer ein Turnier gewinnen will, muss eben die besten Teams schlagen." Deutschland sei nun mal eine "große Fußballnation" und "fantastisch in internationalen Wettbewerben", aber auch England habe ein "Super-Team".

Auch im Elfmeterschießen, der Paradedisziplin des "Fußball-Erzfeinds", wie der "Daily Telegraph" die Deutschen nannte? "Wir trainieren seit einem Monat jeden Tag Elfer", sagte Defoe. "Wenn es dazu kommen sollte, werde ich schießen. 100 Prozent."

Die Deutschen als nächste Gegner, dazu das Bier - nur eines fehlt den Engländern jetzt noch zu ihrem Glück: das lang ersehnte WM-Debüt von Wayne Rooney. Der Superstar von Manchester United hat zwar, wie die Fifa-Datenbank zeigt, nominell in allen drei Gruppenpartien mitgewirkt, aber doch nicht wirklich gespielt. "Nur seinen Geist" habe man bisher gesehen, schrieb die "Daily Mail" mit großem Bedauern. "Rooney wirkt verloren: er scheint an seine eigene Publicity zu glauben und zugleich von ihr erdrückt zu werden."

Im Trainerstab wird ebenfalls noch nach jenem Stürmer gefahndet, der das Team von Fabio Capello eigentlich zum Turniersieg schießen sollte. Der vom persönlichen Misserfolg entnervte 24-Jährige würde sich im Royal Bafokeng Sports Campus wie eine "Pitbull-Primadonna" aufführen und alles und jeden für seine Probleme verantwortlich machen, erzählte vor ein paar Tagen ein Vertrauter von Capello den englischen Reportern. Schon nach dem Auftaktspiel gegen die USA war der italienischen Führungsregie aufgefallen, dass sich der vom Boulevard als "Roo" verehrte Kicker einen eigentümlichen Witz erlaubt hatte: Zu einem Gruppenfoto im Golf-Outfit hatte er mit einem Schuh posiert, auf dem "FCUK U FLOYD" gekritzelt war. Die kryptische Botschaft bereitete der englischen Presse tagelang Kopfzerbrechen - ist dieser "Floyd" ein Kumpel oder ein Spitzname? -, ließ aber letztlich nur eine Interpretation zu: Wer so etwas schreibt, hat entweder zu viel Freizeit oder ist nicht ganz bei der Sache.

Die Greenkeeper in Sun City waren auch nicht gerade begeistert, als sich Rooney nach einer Golfrunde mitten auf dem Kurs neben ein paar Steinen erleichterte. Wenn doch nur auf dem Fußballplatz alles so schön laufen würde. Das vom Trainer am Vorabend großzügig ausgegebene "Freibier aus Südafrika" (Capello) konnte die Leistungs-Blockade jedenfalls noch nicht gänzlich wegspülen.

Rooney wirkte zwar gegen die Slowenen deutlich konzentrierter als bei den Spielen zuvor, in denen er auf der fehlgesteuerten Jagd nach dem Ball unendliche Weiten des Platzes ergründet hatte, aber immer noch elend weit weg von seiner Vereinsform.

Leider scheint es beim "Spieler des Jahres" in der Premier League nicht nur im Kopf zu zwicken, wo Capello diesen Sommer wiederholt die Probleme diagnostizierte. Der im Champions-League-Finale gegen den FC Bayern im März lädierte rechte Knöchel plagt ihn auch wieder. Rooney humpelte merklich, als ihn Capello 18 Minuten vor Spielende vom Platz nahm. Hatte der Spieler um den Wechsel gebeten? Capello reagierte völlig ungläubig auf diese Frage und feuerte dann ein steinhartes "Nein" ins Mikrofon: "Ich habe ihn ausgewechselt." Die Betonung lag auf dem ersten Wort in diesem Satz.

Am Donnerstag musste Capello nicht eingreifen; der Knöchel hielt dem lockeren Morgentraining stand. Englands Straßenkämpfer-Primadonna wird gegen Deutschland spielen. Für den "weißen Pelé" ("Sun") geht es am Sonntag auch darum, an seiner persönlichen WM-Bilanz zu arbeiten. In sieben Spielen stehen mehr Rote Karten (eine) als Tore (null) zu Buche.