Während Berlins Friedrich auftrumpft, steckt Bremens Mertesacker im Formtief - und jetzt kommt Wayne Rooney

Erasmia. Mit 75 denkt man in der Regel an die Gesundheit, ans Rosenzüchten oder an den Sparvertrag für die lieben Enkel. Und auch bei Arne Friedrich dachten wohl viele eher an eine Zwangsverrentung von der Nationalelf als daran, dass der 31-Jährige bei dieser WM zu einer zentralen Stütze der Mannschaft werden könnte. Nicht nur in der Innenverteidigung, sondern auch als Führungsspieler. Schließlich galt der Berliner als der personifizierte Misserfolg in einer Horrorsaison von Hertha BSC, die bekanntlich in den Abstieg in die Zweitklassigkeit mündete. Als vor einigen Wochen bei der Mitgliederversammlung davon die Rede war, den mit gut drei Millionen Euro üppig bezahlten Spitzenverdiener zu halten, regte sich massiver Unmut im Saal.

Bekanntlich funktioniert Fußball aber nicht nach den Gesetzen der Logik. Friedrichs Jubiläumspartie gegen Ghana, es war sein 75. Einsatz für die deutsche Nationalmannschaft, entpuppte sich als eine der besten im Trikot der DFB-Elf. Ohne ein einziges Foul bekämpfte er die gegnerischen Stürmer mit einer von ihm selten so aufgeführten Effektivität und Raffinesse. Dass der Verteidiger nach dem Abpfiff zur Dopingkontrolle gebeten wurde, war natürlich die Folge eines Losverfahrens. Aber so konnten gleich alle Zweifel beseitigt werden, ob bei dieser Leistung alles mit rechten Dingen zugegangen war. Während Mesut Özil von der Fifa zum "Man of the match" gewählt wurde, galt Friedrich der inoffizielle Titel des besten Akteurs auf dem Feld.

Bemerkenswert waren aber nicht nur seine Leistungen auf dem Spielfeld. Als der gebürtige Westfale am Tag nach dem Einzug ins Achtelfinale Rede und Antwort stand, sprach er so offensiv und offen die offensichtlichen Probleme des deutschen Spiels an, wie es nur ein Führungsspieler tun kann: "Mit dieser Leistung wird es gegen England sicher nicht reichen. In der Defensive haben wir zu viele Chancen zugelassen und uns vorne zu wenige Tormöglichkeiten herausgearbeitet", monierte Friedrich und gab freimütig zu, dass in der Mannschaft die "Angst vor dem worst case", dem Gruppenaus, regiert habe. "Das müssen wir ablegen."

Vor allem einer profitierte vom steilen Formanstieg Friedrichs: Per Mertesacker. Beim Bremer verlief die Entwicklung genau umgekehrt zu Friedrich. Nachdem der 25-Jährige mit Werder die Qualifikation für die Champions League geschafft und durchweg brauchbare Leistungen abgeliefert hatte, galt der 1,98-Meter-Mann vor Turnierbeginn als verlässlicher, unerschütterlicher Turm in der deutschen Abwehr - der gegen Ghana jedoch nicht mehr als ein morsches Gemäuer mit Einsturzgefahr darstellte. Es spricht für Mertesacker, dass er nach dem Ghana-Spiel den unangenehmen Fragen nicht auswich, sondern selbstkritisch anmerkte: "Wir wissen, dass wir nicht alles im Griff hatten. Auch bei mir fehlt noch einiges, es wird viel zu sprechen sein."

Mertesacker ließ sich von der taktischen Vorgabe, möglichst schnell das erste Tor zu erzielen und deshalb den Gegner früh zu stören und unter Druck zu setzen, selbst zu sehr unter Druck setzen. "Er hätte lieber mehr sichern müssen anstatt zu viel Risiko zu spielen", erkannte Co-Trainer Hansi Flick.

Nach den ersten Fehlern schwand das Selbstvertrauen wie Eiscreme in der Mittagssonne, zudem wirkte Mertesacker körperlich nicht fit. Eine Folge der langen Saison mit inklusive des Ghana-Spiels nun schon 57 b Pflichteinsätzen für Werder Bremen und die Nationalmannschaft?

"Wir hatten nicht den frischesten Tag und waren mental nicht ganz auf der Höhe, haben uns mit gewissen Abspielen gegenseitig verunsichert", analysierte Mertesacker und machte zugleich Friedrich als wichtige Stütze in seiner Mini-Krise aus: "Ich kann mich zu hundert Prozent auf ihn verlassen, Arne strahlt schon das ganze Turnier über Sicherheit aus, das ist wichtig für mich. Ich hoffe, dass sich das in den kommenden Spielen wieder einpendeln wird." Die uneingeschränkte Rückendeckung der Trainer hat Mertesacker jedenfalls: "Es ist normal, dass man nicht immer seine optimale Leistung bringen kann, wir gestehen ihm bei 65 Länderspielen auch einmal so ein Spiel zu", sagte Flick.

Mit Englands Wayne Rooney wartet am Sonntag aber nun die nächste Herkulesaufgabe auf die Innenverteidigung. Zwar konnte der Profi von Manchester United in den ersten drei Spielen seine Klasse noch nicht abrufen, doch Friedrich ist gewarnt: "Das ist diese spezielle Sorte von Spielern, die für die Entscheidung sorgen können. Sollten wir beim ihm genauso viele Szenen zulassen wie gegen Ghana, würde das böse enden." Zumindest als kleinen Vorteil hat Mertesacker ausgemacht, dass die Deutschen die Fähigkeiten und Bewegungen Rooneys gut kennen würden. Bleibt nur zu hoffen, dass die Engländer nicht zu genau hingeschaut haben und nicht ganz gezielt versuchen, Mertesacker unter Druck setzen.