Alexander S. wurde zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. “Gerechte Strafe“, sagen die Angehörigen der Opfer des Unfalls von Eppendorf.

Hamburg. Es war so still im Saal, dass sogar noch das Kratzen eines Bleistifts auf Papier ein paar Sitzreihen weiter gut zu hören war. "Wir ziehen uns noch mal kurz zurück", sagt die Richterin und geht hinaus. Ein lang gezogenes, fast schon seufzendes Ausatmen geht durch die Bänke, auf denen Verwandte, Freunde und Beobachter sitzen. Die Anspannung ist ihnen deutlich anzumerken. Nach etwa einer Minute kommt die Richterin zurück. "Drei Jahre und sechs Monate", sind die Worte, die zwischen all den juristischen Formulierungen hängen bleiben.

Fast 15 Monate nach dem schweren Unfall von Eppendorf, bei dem vier Menschen starben, ist mit dem Schuldspruch zumindest in juristischer Hinsicht ein trauriges Kapitel abgeschlossen - vorausgesetzt, das Urteil wird rechtskräftig. Denn der Verteidiger des Unfallfahrers kündigte gestern schon an: "Ich gehe davon aus, dass es ein Revisionsverfahren geben wird."

Rückblick: Am 12. März 2011 schoss Alexander S.s Wagen mit mehr als 100 Kilometern pro Stunde trotz Rotlichts über eine Kreuzung in Eppendorf, stieß mit einem Cabrio zusammen und wurde in eine an der Fußgängerampel wartende Menschengruppe geschleudert. Der Sozialforscher Günter Amendt, der Schauspieler Dietmar Mues, dessen Frau Sibylle und die Künstlerin Angela Kurrer starben bei dem Unglück. Gestern hat das Landgericht den Unfallfahrer unter anderem wegen vierfacher fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt. Das maximal mögliche Strafmaß liegt bei dieser Tat bei fünf Jahren.

+++ Unfallfahrer bittet "um ein gerechtes Urteil" +++

Richterin Birgit Woitas sprach in der Begründung davon, dass der Angeklagte seine Sorgfaltspflicht verletzt habe. "Sie sind gefahren, obwohl Sie hätten erkennen können, dass Sie nicht in der Lage waren, ein Fahrzeug sicher zu führen", sagte sie zu Alexander S. Er leide an Epilepsie, habe deshalb regelmäßig Anfälle und dies auch gewusst. Mehr als ein Dutzend Fälle zählte Woitas auf, in denen ein Anfall erwiesen sei. "Und ich gehe davon aus, dass es noch mehr gab." Aber S. habe solche Vorfälle im Prozess und zuvor gegenüber seinen Ärzten verschwiegen.

Mehrere behandelnde Ärzte hätten allerdings bei ihm Epilepsie diagnostiziert, zudem habe er das Antiepileptikum Valproat eingenommen. Der Unfall sei daher für Alexander S. subjektiv vorhersehbar und vermeidbar gewesen. "Aber der Angeklagte hat seine Krankheit nie akzeptiert", sagte Woitas. Besonders strafschärfend habe sich die Schwere der Folgen seiner Tat - sich überhaupt erst ans Steuer zu setzen - ausgewirkt. Vier Tote, drei Verletzte, zahlreiche Traumatisierte. "Ich bin froh, dass der juristische, äußere Prozess nun abgeschlossen ist", sagte Roman Raacke, der seine Mutter Angela Kurrer bei dem Unfall verloren hat. "Der innere Prozess der Bewältigung ist natürlich lange noch nicht vorbei."

Die Brüder Wanja, Jona und Woody Mues, deren Eltern ebenfalls bei der Tragödie starben, waren als Nebenkläger im Prozess aufgetreten. "Wir wollten Gerechtigkeit. Und die haben wir bekommen", sagte Wanja Mues gestern. Das Strafmaß sei dabei gar nicht entscheidend gewesen, sondern viel mehr die Aufarbeitung der Geschehnisse. "Für die faire und akribische Weise, mit der das Gericht gearbeitet hat, sind wir sehr dankbar."

Vor dem Urteil plädierte gestern Morgen Ralph-Dieter Briel. Es war ein ruhiger Vortrag des Anwalts, der an vielen anderen Verhandlungstagen mit sich wiederholenden Fragen, unklaren Formulierungen und lautem Widerspruch gegenüber der Richterin aufgetreten war. Zunächst zitierte er aus den am Donnerstag von Staatsanwaltschaft und Nebenklage gehaltenen Plädoyers. Immer wieder griff Briel den Vorwurf der Staatsanwältin an, sein Mandant habe sich "verantwortungslos und rücksichtslos" verhalten. Ein Vorwurf, den Briel entkräften wollte. Insgesamt sieben Anfälle seines Mandanten räumte der Verteidiger aber ein.

"Der Angeklagte hat erkennen müssen - leider erst durch den schweren Unfall -, dass es gegen einen epileptischen Anfall letztlich keine sichere Vermeidungsstrategie gibt", sagte Briel. Sein Mandant habe aber daraus bereits Konsequenzen gezogen, indem er seinen Führerschein abgab. Auch zuvor habe Alexander S. nach jedem einzelnen Anfall sehr wohl verantwortungsvoll gehandelt, indem er von sich aus Ärzte aufgesucht habe, um die Vorfälle aufzuklären, und sich an zeitweise ausgesprochene Fahrverbote gehalten habe. Es habe aber immer einen Auslöser wie Schlafentzug oder Probleme mit dem Antiepileptikum Valproat gegeben, das S. seit 2005 "vorsorglich und nicht, weil er Epileptiker ist" einnehme. Keiner dieser Faktoren habe jedoch am 12. März vorgelegen - sein Mandant sei freizusprechen. "Der Anfall kam für ihn also tatsächlich aus heiterem Himmel."