Gleich zwei medizinische Sachverständige wurden vor dem Landgericht Hamburg gehört. “Er ist sich seiner Krankheit bewusst gewesen“.

Hamburg. Schädelbrüche, Beckenfrakturen, Verletzungen der inneren Organe, Rumpfzerquetschung, Rückenmarksdurchreißung - dies sind nur einige der "nicht mit dem Leben vereinbaren" Verletzungen, die Prof. Dr. Klaus Püschel, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, gestern als Todesursache der Eppendorfer Unfallopfer nannte. Im Gerichtssaal herrschte eine bedrückende Stimmung. Und zum ersten Mal zeigte der Angeklagte Alexander S., dem unter anderem fahrlässige Tötung in vier Fällen vorgeworfen wird, eine Reaktion, die über bloßes Vorsichhinstarren hinausging. Offenbar getroffen vom Vortrag bat er über seinen Verteidiger Ralph-Dieter Briel zunächst um eine Pause und verließ dann - gestützt von diesem - kurz den Saal.

Laut Anklage soll S. am 12. März 2011 unmittelbar vor einer Kreuzung in Eppendorf einen Krampfanfall erlitten haben und infolgedessen in eine Gruppe Fußgänger und Radfahrer geschleudert sein. Dabei starben vier Menschen.

Gleich zwei medizinische Sachverständige wurde gestern vor dem Landgericht Hamburg gehört. Zentral waren die Fragen, ob eine Epilepsieerkrankung vorliegt, ob S. sich dieser bewusst war und ob ein Anfall Unfallursache war. "Es besteht für mich kein Zweifel an der Diagnose Epilepsie", sagte Dr. Günther Thayssen, 55, Neurologe am Universitätsklinikum Eppendorf. Er gehe von komplex-fokalen Anfällen aus. Bei dieser Form ist nur ein Teil des Gehirns von Funktionsstörungen betroffen. S. sei konsequent mit dem Antiepileptikum Valproat behandelt worden. "Dennoch gab es keinen befriedigenden Behandlungserfolg, denn den misst man an der Anfallhäufigkeit." Für das Jahr vor dem Unfall geht Dr. Thayssen von drei Anfällen aus. "Vermutlich sogar mehr, da uns sicher nicht alle bekannt sind." Der Neurologe weiter: "Ich habe keine Zweifel, dass zum Zeitpunkt des Unfalls eine Fahrfähigkeit nicht vorgelegen hat und der Fahrer das auch wusste." Ursache des Unglücks sei ein Anfall gewesen.

Dieser Auffassung war auch Prof. Dr. Klaus Püschel von der Rechtsmedizin. "Er ist sich seiner Krankheit bewusst gewesen und ist nicht verantwortungsvoll damit umgegangen", sagte er. "Dabei gab es mehrfach Vorkommnisse, die ihm die Gefahr eindeutig gemacht haben." Kritik übte er auch an einem Attest, das S. 2008 zur Bescheinigung seiner Fahrtüchtigkeit vorlegte: "Ein Zettel, vom dem ich mich wundere, dass das eine Behörde als Attest angenommen hat." Es fehle darin ein umfassender Nachweis einer "Anfallfreiheit". Unterschwellig schwang Kritik am System mit. "Alle Ärzte, Behörden und Gerichte kannten nur Teilaspekte. Nur S. selbst hatte alle Informationen."

Für Verwirrung sorgte erneut das Thema Schweigepflichtsentbindung für S.s Ärzte. Am Freitag waren von S. signierte Entbindungen beim Gericht für viele seiner Ärzte eingegangen. Verteidiger Briel wusste davon nichts und zog die Entbindungen gleich zu Beginn des Verhandlungstages zurück.