Berlin . Xavier Naidoo zum Eurovision Song Contest 2016? ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber begründet die Entscheidung.

Popsänger Xavier Naidoo (44) ist definitiv nicht unumstritten - und soll Deutschland beim Eurovision Song Contest 2016 in Stockholm vertreten. Die Ankündigung sorgt nicht nur im Netz für jede Menge Wirbel. Im Interview erklärt Thomas Schreiber (56), Unterhaltungskoordinator der ARD, die Entscheidung.

Haben Xavier Naidoos umstrittene Äußerungen in der Vergangenheit bei Ihrer Entscheidung eine Rolle gespielt? Es wurden ihm Homophobie, Antisemitismus und Rechtslastigkeit vorgeworfen.

Thomas Schreiber: Dass Xavier Naidoo polarisiert, wussten wir. Die Frage ist, ob alle Hassäußerungen, die es in den sozialen Netzwerken gibt, eine sachliche Grundlage haben. Zu den einzelnen Vorwürfen: Xavier Naidoo steht für Toleranz allen Lebensentwürfen gegenüber, die es in dieser Republik gibt.

Er hat vor kurzem die Resolution an die Kanzlerin unterschrieben, die die Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe fordert. In dem Interview mit uns auf eurovision.de wirbt er für die Toleranz für die Religion und die Toleranz für Lebensentwürfe. Er arbeitet mit Künstlern zusammen, die unterschiedlichste sexuelle Orientierungen leben, er hat als junger Mann als Türsteher in Schwulen-Discos gearbeitet.

Zum Thema Antisemitismus: In der vierstündigen Dokumentation bei Vox hat sich Marek Lieberberg, der wunderbare Konzertveranstalter aus Frankfurt, der seit 20 Jahren mit Xavier Naidoo arbeitet, sehr eindeutig dazu geäußert. Xavier Naidoo setzt sich seit vielen Jahren für die deutsch-israelische Freundschaft ein, unter anderem, weil er weiß, dass sein Vater nur aufgrund der Hilfe eines jüdischen Onkels nach Deutschland kommen konnte. Hat Xavier Naidoo keine Fehler in seinem Leben gemacht? Sicher hat er - wie wir alle - nicht nur in jedem Moment alles richtig gemacht.

Ist es trotz allem denn sinnvoll, einen Kandidaten zu nominieren, der die Menschen so polarisiert?

Thomas Schreiber: Zuerst einmal haben wir einen der besten Sänger Deutschlands nominiert, und ich habe im Zusammenhang mit den TV-Shows „The Voice of Germany“ oder „Sing meinen Song“ diese Frage nicht gehört. Für mich ist entscheidend, dass Xavier Naidoo sich auf die Idee einlässt, das Publikum entscheiden zu lassen, mit welchem Lied er nach Stockholm zum Eurovision Song Contest fährt.

Warum präsentieren Sie dem Publikum nur einen Kandidaten und lassen es nicht – ganz demokratisch – aus einer Schar mehrerer (Nachwuchs-)Kandidaten auswählen?

Thomas Schreiber: Für uns war es wichtig, mit jemandem anzutreten, der über eine hervorragende Bühnenpräsenz verfügt, der ein sehr guter Sänger ist und der mit uns auf die Suche nach einem Lied geht - und bei dem das Lied nicht von vornherein feststeht, weil es die neue Single ist. Außerdem wird das Publikum ja entscheiden: über den Song und auch - wir wollen mit Studenten der deutschen Film- und Kunsthochschulen einen neuen Weg gehen - über die fernsehgerechte Präsentation des deutschen Songs auf der ESC-Bühne in Stockholm. Schließlich ist der ESC zuerst einmal eine große, weltweite Fernsehshow.

Lesben- und Schwulenverband kritisiert Naidoos Teilnahme

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) sieht die Teilnahme von Sänger Xavier Naidoo am Eurovision Song Contest (ESC) „äußerst kritisch“. „Deutschland steht für eine pluralistische Gemeinschaft“, sagte LSVD-Bundesvorstand Tobias Zimmermann am Donnerstag in Berlin. „Dann jemanden dorthin zu schicken, der Deutschland als Kolonie der USA bezeichnet, ist sehr schwer nachzuvollziehen.“ Naidoo soll beim ESC im Mai 2016 für Deutschland an den Start gehen.

Der Mannheimer hatte 2014 in Berlin bei einer Demonstration der sogenannten Reichsbürger gesprochen und behauptet, es gebe geheime Vereinbarungen, wonach die USA die Bundesrepublik überwachen dürften.

Der Lesben- und Schwulenverband hatte 2012 zudem Anzeige wegen eines Liedes von Naidoo und dem Rapper Kool Savas erstattet, weil das Stück aus Sicht des Verbands schwulenfeindlich war. Über Naidoos ESC-Teilnahme sei man „mehr als unglücklich“. „Jeder hat eine zweite Chance verdient. Ich sehe aber nicht, dass er sich von dem rechten Gesinnungsgut distanziert hat“, sagte Zimmermann mit Blick auf Naidoos Auftritt vor den Reichsbürgern.