Hamburg. Der Naturforscher verbildlichte seine Erkenntnisse in zahlreichen Darstellungen, die wissenschaftliche Zusammenhänge sichtbar machen.

Alexander von Humboldt ist einer der herausragenden Naturforscher des 18./19. Jahrhunderts. Vor allem seine Südamerika-Expedition (1799–1804) hatte ihn bekannt gemacht. In zahlreichen Veröffentlichungen schilderte der gebürtige Berliner unter anderem die Welt der Anden. Dabei zeichnete er gekonnt nicht nur exotische Tier- und Pflanzenarten, er setzte sein Wissen auch in grafische Darstellungen um. Prof. Matthias Glaubrecht vom CEN (Centrum für Naturkunde) der Universität Hamburg bezeichnet Humboldt als „Pionier der ästhetischen Inszenierung wissenschaftlicher Erkenntnisse“ und widmet dem grafischen Werk des Naturforschers am Donnerstag einen Vortragsabend.

Oliver Lubrich, Professor für Neuere Deutsche Literatur und vergleichende Literaturwissenschaften an der Universität Bern, hat die Grafiken des Naturforschers zusammengetragen und daraus einen gewichtigen Bildband gemacht („Alexander von Humboldt – Das grafische Gesamtwerk“, Lambert Schneider Verlag). 1512 Abbildungen sind in Humboldts Veröffentlichungen enthalten, nicht alle Zeichnungen oder Kupferstiche stammen jedoch von ihm selbst. Zum Teil hat er während der Reisen nur Skizzen angefertigt und diese – oder auch mitgebrachte Pflanzen – später in Paris oder Berlin von Profis ins Reine zeichnen lassen.

Humboldt nahm Unterricht bei namenhaften Künstlern

Andere Weltentdecker dieser Zeit, etwa James Cook (1728–1779), hatten ihren eigenen Zeichner an Bord. Alexander von Humboldt hatte schon vor seiner Expedition die Pflanzenwelt gezeichnet oder Skizzen zu naturwissenschaftlichen Zusammenhängen oder Technik angefertigt. Doch erst in den südamerikanischen Tropen bekamen die Skizzen und Zeichnungen einen ebenso hohen Stellenwert wie seine Reisenotizen. Humboldt war der Meinung, dass „ein Naturforscher der diesen Namen verdient, nicht nur Kunstprosa schreiben, sondern auch zeichnen können sollte“, sagt Glaubrecht. „Darin ähnelte er sehr dem Renaissance-Genie Leonardo da Vinci, weniger allerdings dem Begründer der Evolutionstheorie Charles Darwin, der eingestandenermaßen ein eher lausiger Zeichner war.“

Ganz anders Humboldt. Er habe sich, so Glaubrecht, „in der Technik des Kupferstichs unterweisen lassen und in Paris Unterricht bei namhaften Malern genommen“. Vor allem aber konnte der forschende Entdecker die gelernten Inhalte in Grafiken umsetzen. Beispiel: Er zeichnete den 6267 Meter hohen inaktiven Vulkan Chimborazo in Ecuador. Zusammen mit seinen Begleitern Aimé Bonpland und Carlos Montúfar hatte Humboldt im Jahr 1802 den Berg bestiegen. Die Männer gelangten als erste Europäer bis in eine Höhe von rund 5800 Metern mit aus heutiger Sicht völlig unzureichender Ausrüstung. Sie erlitten Halluzinationen, Übelkeit, Erbrechen und Nasen- und Zahnfleischbluten – Symptome der ­Höhenkrankheit.

Dennoch studierte Humboldt ­eingehend die Natur an den Vulkanhängen. Später zeichnete er den Chimborazo mit einer Bergflanke im Querschnitt, in die er die Pflanzennamen der in den verschiedenen Höhenregionen vorkommenden Arten hineinschrieb. Ein ähnliches, wenn auch weniger komplexes Schaubild entstand zuvor bereits vom Vulkan Teide (3718 m) auf der kanarischen Insel Teneriffa. Diese Arbeiten „nahmen die Ökologie und Geografie der Pflanzen vorweg“, so Matthias Glaubrecht, sie seien zu ­„Ikonen der Wissenschaft im 19. Jahrhundert geworden“.

Auch die Isothermen, die Linien gleicher Temperatur, tauchten bereits auf Humboldtschen Landkarten auf – heute gehören sie, wie auch die Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks) zum Standardrepertoire von Wetterkarten, wenngleich die Temperaturverteilung meist nicht mit Linien, sondern als farbig hinterlegte Flächen dargestellt werden. „Humboldt gilt als Begründer der vergleichenden Klimatologie, da er um 1800 begann, meteorologische Messungen einzelner Orte systematisch miteinander in Beziehung zu setzen“, schreibt Dr. Birgit Schneider, Kunstwissenschaftlerin an der Universität Potsdam. Mit seinem „Denken in Bildern“ habe Humboldt das Klima als Forschungsgegenstand handhabbar gemacht und damit den „Grundstein zur Klimaforschung“ gelegt.

„Einige seiner Motive sind das, was man heute als Datenvisualisierung oder Info-Grafik bezeichnen würde“, sagt Glaubrecht. Es seien Innovationen, die bis heute wirksam sind. Dem Berner Germanist Oliver Lubrich sei es zu verdanken, dass Humboldts Zeichnungen nun auch aus kunsthistorischer Sicht betrachtet werden. Glaubrecht: „Bislang haben sich die Naturwissenschaftler nicht um die kunsthistorischen Aspekte der Zeichnungen gekümmert und Kunsthistoriker nicht um naturwissenschaftliche Darstellungen.“ Lubrich wird am Donnerstag den ersten Vortrag halten. Der zweite kommt vom Reisejournalisten und Südamerika-Kenner Peter Korneffel, der sich ebenfalls eingehend mit Humboldt befasst hat.

Diashow und Lesung „Humboldts Bilder – Die Visualisierung der Natur“, 4. Juni, 19 Uhr, Zoolog. Museum, Martin-Luther-King-Platz 3. Eintritt frei, Anmeldung erbeten unter p-r@uni-hamburg.de