Der Renteneintritt ist aber ein tiefer Einschnitt, der auch die Partnerschaft berührt. Geht der Mann vor der Frau in Rente, stellt das viele Paare vor eine ganz besondere Herausforderung.

Mannheim. Es gibt Momente, die schütteln die Partnerschaft gehörig durcheinander. Die Geburt eines Kindes zum Beispiel, das Zusammenziehen – und der Eintritt des Partners in die Rente. Meist geht die Frau vor dem Mann in den Ruhestand, aber nicht immer.

„Der Ruhestand krempelt im Grunde genommen alles um, was bisher funktioniert hat“, sagt Doris Wolf, Psychologin aus Mannheim. Gerade das aber unterschätzen viele Paare. Während beide berufstätig waren, gab es einen geregelten Zeitplan: Wer steht zuerst auf, wer geht zu welcher Zeit ins Büro, wann isst man zu Abend. Diese Tagesstruktur fällt dann weg – zumindest für einen von beiden.

Frauen sind in der Regel auf ihre eigene Rente besser vorbereitet, sagt Psychotherapeut Wolfgang Krüger aus Berlin: „Männer aber fallen in ein Loch, sind oft ratlos und hilflos, was sie nun mit sich anfangen sollen.“ Anfangs gibt es zwar große Pläne: endlich mehr Sport oder den Garten aufmöbeln. Doch schnell fragt man sich, ob das wirklich tagesfüllend ist.

Über die Jahre hat sich außerdem eingespielt, dass jeder Partner für bestimmte Bereiche zuständig ist, erklärt Wolf: Kochen, Putzen, Einkaufen, Verhandlungen mit Behörden führen oder den Freundeskreis pflegen. Viele Männer sind bereit, Aufgaben der Ehefrau zu übernehmen und sie so zu entlasten. Doch manch einer krempelt bei dieser Gelegenheit die bisherige Organisation komplett um.

Beide Seiten fühlen sich unverstanden

Aus Kleinigkeiten entstehen dann rasch Konflikte: „Der Partner beansprucht ein Stück des Revieres des anderen“, sagt Wolf. Die Gattin ist unzufrieden, weil er die Dinge anders angeht als sie, und korrigiert ihn. Das ist für ihn Kontrolle und Gängelei. Und dann nimmt sie sich nicht einmal mehr Zeit für ihn – wo sie doch jetzt mehr miteinander unternehmen könnten! Sie hingegen ist weiter eingespannt im Berufsleben. Beide fühlen sich unverstanden.

„Das Problem ist die unausgesprochene Erwartungshaltung beider Partner“, stellt Sigi Clarenbach fest, Sozialpädagogin an der Evangelischen Akademie Bad Boll. Beide sollten miteinander besprechen, was jeder sich wünscht, wie er sich das Miteinander vorstellt. Dabei dürfe das Gespräch nicht abdriften in eine Art Generalabrechnung à la „Du hast immer schon?“. Stattdessen sollte man nur von den eigenen Gefühlen sprechen und den Partner nach seinen Vorstellungen fragen, rät Wolf.

„Es braucht Verständnis für den anderen, von beiden Seiten“, erklärt Clarenbach. Die Frau kann nicht ihr ganzes Leben nur auf ihn ausrichten, er hingegen erlebt einen großen Umbruch und muss einiges neu lernen. Idealerweise beginnt das nicht erst ab dem Tag des Renteneintritts. Der Ruhestand kommt schließlich nicht plötzlich. Schon Monate, wenn nicht gar Jahre zuvor, kann sich das Paar vorbereiten, immer wieder darüber nachdenken und sprechen, wie das Miteinander im Ruhestand aussehen könnte.

Wie können Lücken gefüllt werden?

Der Mann sollte in sich hineinhorchen und überlegen, was er will und was ihn interessiert. „Es ist ein Prozess des Sich-Findens“, sagt Krüger. So könnten sich Männer fragen, was sie aus der Zeit der Berufstätigkeit vermissen: zum Beispiel Kontakte, Bestätigung oder Ziele. Wie kann man diese Lücken füllen?

Außerdem ist es gut, sich eine Aufgabe zu suchen. „Dabei geht es nicht nur darum, sich zu beschäftigen“, sagt Clarenbach. „Im Arbeitsleben geht es auch nicht nur darum, Geld zu verdienen, sondern Wertschätzung und Anerkennung zu erfahren, Teil von etwas zu sein.“ Daher sollte eine neue Aufgabe etwas sein, das wirklich erfüllt. Ehrenamtliche Arbeit ist für viele Pensionäre das Richtige, das Angebot ist vielfältig.

In einer Beziehung läuft es dann gut, wenn Nähe und Distanz ausgewogen sind. Während beide berufstätig sind, ist es ausgeglichen, erklärt Krüger. Geht er in Rente, gerate dieses System durcheinander.

Männer sollten den neuen Lebensabschnitt als Chance begreifen: Endlich haben sie die Möglichkeit, den eigenen Interessen nachzugehen. Kam das Hobby durch den Job zu kurz, ist jetzt Gelegenheit. Wer noch kein Hobby hat, kann sich eins suchen. „Es hilft, sich in Erinnerung zu rufen, was einem als junger Erwachsener Spaß machte und welche Pläne man damals hatte“, sagt Wolf. Auch in Sprachkursen oder neuen Sportarten finden viele ihre Bestimmung.

Zusätzlich zu einem eigenen Hobby kann sich das Paar überlegen, was beiden Spaß macht und was sie immer schon miteinander unternehmen wollten.

Stellen beide in diesem Findungsprozess fest, dass sie sich auseinandergelebt haben oder die Interessen weit auseinander gehen, kann kurzfristig die Unterstützung eines Therapeuten oder einer Selbsthilfegruppe weiterhelfen.

So sehr die Partnerschaft vielleicht durchgeschüttelt wird: Für die Beziehung bietet der Rentenbeginn die Chance, den Partner neu zu entdecken und näher zusammenzuwachsen.