Von der Überlebenszeit eines Kunstwortes und der Frage: Wie lange gibt es noch das „Handy“?

Erinnern Sie sich noch an das Wort „sitt“? Nein? Die Älteren unter Ihnen haben es bis 1999 nicht gekannt. Die nach 2005 Geborenen haben es nicht mehr kennen gelernt, und alle dazwischen haben es vergessen. Dabei war das Wort mit großem Aplomb vom Dudenverlag in einem Wettbewerb gewählt worden. Dem Verlag war aufgefallen, dass wir, wenn wir genug gegessen haben, „satt“ sind. Aber was sind wir, wenn wir genug getrunken haben?, fragte sich der Duden damals.

Nun, es hängt von der Art der Betrachtung ab. Hat man zu viel oder mindestens genug Alkohol getrunken, so war man bis dahin „abgefüllt“ oder „besoffen“. Aber was, wenn das mit edlem und purem Wasser geschah? Endlich, im Oktober 1999, war das Wort gefunden. Nun hatte ich bis dato gedacht, wenn es denn auch kein Wort, keinen einsilbigen Begriff für das Ende des Dursts gibt, so zumindest einen der schönsten zusammengesetzten Begriffe, wie es eigentlich poetischer nicht geht. Es heißt ganz schlicht: Mein Durst ist gestillt. Und in „stillen“ steckt die wunderbare Erinnerung an das Nuckeln des Babys an der Mutterbrust. Nachdem es vorher nach der Nahrung gekräht und gekrächzt hatte, mit viel Bäh-Bäh, macht es gestillt sein Bäuerchen und sinkt selig in den Schlaf zurück. Dieses Stillen hat sich auf andere Begriffe übertragen, so konnte Sehnsucht gestillt oder nicht gestillt werden, und auch das Heimweh ließ sich so zur Ruhe bringen.

Komischerweise kommt mir dieser Gedanke vom „sitt“, das inzwischen im Sprachgebrauch längst verdurstet ist, im Zusammenhang mit dem neuen iPhone. „Das Volk“, hatte Tucholsky gesagt, „ist doof, aber gerissen.“ Und so machte es aus dem Mobiltelefon ein „Handy“ und scherte sich den Teufel darum, dass das überhaupt kein englisches Wort war, jedenfalls nicht in der Bedeutung für ein Telefon. Nun, wie gesagt, sind die neuen iPhones von Apple da. Und wie heißen sie? Bestimmt nicht mehr „Handy“, sondern „Smartphone“, weil sie so schlau sind, dass wir auf ihnen selbst nachgucken können, wann das Wort „sitt“ erfunden und ausgestorben ist. Und frage ich einen Menschen, der jünger als 30 ist, wie er sein Handy bzw. sein Smartphone nennt, dann schaut er mich erstaunt an und sagt: „Natürlich Telefon.“ Weil zwar der Durst nicht mit dem „sitt“ ausgestorben ist, aber das Handy als Telefon nur noch sehr sparsam in Gebrauch.

PS: Demnächst wird es auch das Wort „faxen“ erwischen. Oder es wird, da nicht mehr gefaxt wird, nur noch in der Bedeutung weiterleben: „Mach keine Faxen!“