Alle Welt ist bei Facebook, aber die Leute schreiben trotzdem noch Urlaubspostkarten. Steht nix drauf, schmückt aber den Kühlschrank

„Bild“ lehrt: Wer etwas Wichtiges zu sagen hat, macht keine langen Sätze. Urlauber haben dafür auch gar keine Zeit. Viele sind schließlich vollauf mit Sonne, Sex und Saufen beschäftigt. Was machen sie, damit das auch jeder ihrer 147 „Gefällt mir“-Freunde sieht? Posten sie einfach alle drei, vier Tage ein topless Selfie mit einem Eimer Sangria vor erst rot verbranntem, später wurstbraunem Gesicht?

Unbedingt, natürlich. Aber damit ist das Mitteilungsbedürfnis noch nicht gestillt. Auch in Zeiten des Daumenhoch-Terrors auf sozialen Plattformen will der deutsche Urlauber, dieses im Kern seiner Seele zutiefst konservative Wesen, nicht vom Urlaubsgruß auf der guten, alten Postkarte lassen.

Er geht also vorm Sangria schnell noch ein paar Strandansichten kaufen, Porto dazu, malt da ein Kreuz, wo er denkt, dass sein Hotel stehen müsste, schreibt hinten „Hier alles prall“ oder so drauf, sucht im Netz nach den Postleitzahlen der Freunde, Kollegen und Verwandten, auf deren Kühlschränken noch ein Fleckchen Platz ist, und wirft die Karten – tja, wo hinein?

In den Briefkasten? Noch gibt es sie. Schließlich teilt die Deutsche Post mit, sie habe im Jahr 2013 etwa 151 Millionen Postkarten befördert. Allerdings 19 Millionen weniger als noch zwei Jahre zuvor. Weil jetzt alles immer schneller den Bach runtergeht, ist der Briefkasten wohl im Jahr 2022 Geschichte wie viele Telefonzellen heute schon.

Dabei hat ausgerechnet das Postkartenschreiben gegenüber aller digitalen Kommunikation inzwischen den unschätzbaren Vorteil weitestgehender Wahrung des Briefgeheimnisses. Außer dem Postboten und der neugierigen Nachbarin liest kein Schwein, was draufsteht. Jetzt, wo Mails und Handygespräche pausenlos überwacht werden, könnte die Postkarte ihr langes Leben unverhofft als Leitmedium der Konspiration beenden. Danach kehren wir in Sachen verlässliche Geheimhaltung zum reitenden Boten zurück.