Warum die Gazelle keinen Menschen zum Freund mehr hat. Und warum wir vor der politischen Korrektheit verzagen

Es gibt Sätze, Zeilen, Zitate, die vergisst man ein Leben lang nicht. Dazu gehört für mich der Satz: "Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie." Im Regen nie! Ein Neger mit Gazelle! Stammt der aus einer besonders schönen Erzählung, als die Welt noch Abenteuer, noch Wildnis war, in Afrika etwa? Dagegen spricht das Präsens, in dem das Verb "zagt" steht und das den Satz beschließende "nie". Es klingt doch eher nach einer Bauernregel oder nach einem Sprichwort. Einer Erfahrung aus "Robinson Crusoe" oder einer Geschichte in "Brehms Tierleben", wo eine Gazelle und ein Schwarzafrikaner einander begegneten, und es regnete furchtbar, und beide wollten schon verzagen, da sahen sie einander und trotzten fröhlich dem Regen, obwohl sie keinen Schirm hatten.

Ich habe an dieser schönen Geschichte einer Freundschaft zwischen Mensch und Tier zum Trotzen gegen die Naturgewalten das Wort "zagen" gelernt, das ich früher nur in Verbindung mit "zittern" kannte, nämlich mit "Zittern und Zagen". Anfangs hielt ich das für zwei Musikinstrumente, da ich aber nie einer Zage begegnet bin, wusste ich eines Tages, es muss das Verb sein. Zittern und zagen. Bei Mozart bin ich dem Verb noch einmal begegnet, wo der Held Belmonte singt: "Nur ein feiger Tropf verzagt." Seit der Zeit weiß ich, was ein Tropf ist und warum man daran hängt.

Inzwischen weiß ich, dass der Neger mit Gazelle ein Palindrom ist, was Griechisch ist und heißt: "das Zurücklaufende". Palindrome wie der "Sarg", der von hinten auch "Gras" ist, der "Reliefpfeiler" oder gar die schöne bittersüße Hoffnung: "Die Liebe ist Sieger: Rege ist sie bei Leid." Einfacher für olle Römer: Roma - Amor!

Man kann von Palindromen lernen. Zum Beispiel die Warnung: "Leg in eine so helle Hose nie'n Igel!" Ich beherzige das auch für dunkle Hosen. Und ich habe Gourmet-Vorlieben kennengelernt: "Hermine, sie mag Ameisen im Reh." Das ist Geschmackssache.

Nun aber droht meinem Neger mit der Gazelle das endgültige Aus, der Todesstoß durch die politische Korrektheit, jetzt, da es dem "Neger" und "Mohren" im Struwwelpeter, bei Astrid Lindgren und bei Wilhelm Busch sprachlich an den Kragen geht. Hermine darf weiter Ameisen im Reh mögen, aber die Freundschaft zwischen Neger und Gazelle, ähnlich innig wie die zwischen Hase und Igel und Kind und Kegel, ist dahin. Das anmutige Tier muss alleine dem Regen trotzen, denn der Afroamerikaner oder Afroeuropäer, der Schwarze oder Farbige könnte sie zwar begleiten, aber alle ehemaligen Kolonialbevölkerungen passen in kein Palindrom mehr. Ist das auch gut so?