Was ist und wie entsteht eigentlich eine Redensart? Das kann man gut beschreiben am Beispiel der Verbreitung des Spruches “Am Ende des Tages“.

Was ist und wie entsteht eigentlich eine Redensart? Das kann man gut beschreiben am Beispiel der Verbreitung des Spruches "Am Ende des Tages". Der wird sowohl vom aktuellen Politsprech als auch von den Medien gern genommen, obwohl er mit dem Tag, den er zitiert, überhaupt nichts zu tun hat. "Am Ende" würde völlig genügen, am Ende einer in Gang gekommenen Entwicklung nämlich, am Ende des waghalsigen Versuchs, ein Wahlversprechen einzulösen - oder einfach dann, wenn alle Tatsachen offenbar geworden sind, um die man bloß herumgeredet hat. Bisher war dafür das Wort "schlussendlich" im Schwange, ein dummer Pleonasmus. "Am Ende des Tages" klingt eben besser.

Und wie kommt so ein Spruch zustande? Ganz einfach: Einer "erfindet" ihn, ganz zufällig, und die anderen plappern ihn nach. Martin Walser hat das in seinem Roman "Halbzeit" 1960 am Beispiel des Modeworts "Pattern" sehr schön beschrieben: "Pattern war um Weihnachten herum aufgetaucht. Edmund brachte immer Wörter, um die man ihn beneidete, weil diese Wörter einem sofort als unersetzlich erschienen. Man glaubte, es habe immer schon ein Bedürfnis gerade nach diesen Wörtern bestanden. Wenn Edmund auf einen Teppich zeigte und fragte: wie gefällt dir dieses Pattern? dann wagte man kaum mehr an Muster zu denken ..."

Redensarten, auch Wörter, die auf einmal in Mode kommen und ebenso plötzlich wieder weg sind, verbreiten sich wie eine Infektion; man wird damit angesteckt und ist sie irgendwann wieder los.

Oder warum sagen so viele Menschen, wenn sie öffentlich ihre Meinung oder eine Entscheidung begründen, sie hätten sich "von daher" so entschieden, obwohl ein schlichtes "deshalb" oder auch nur ein "also" genügt hätte? "Von daher" stellt die getroffene Entscheidung sozusagen räumlich dar, suggeriert einen langen, schweren Weg, den der Entscheider hat zurücklegen müssen - so weit, dass man das Woher kaum noch erkennen kann.

Das erinnert mich an die Epidemie von "ein Stück weit" (der Spruch steht meistens für: annähernd, teilweise, partiell), wird aber inzwischen völlig unbegrenzt verwendet: Man ist "ein Stück weit überzeugt" etwa. In der Beschreibung einer sogenannten Zielgruppe habe ich neulich gelesen, diese sei "ein Stück weit gegroundet". Da kommt man doch ins Grübeln. "Grounded" ist englisch und bezeichnet Flugzeuge, die am Boden sind und da auch bleiben müssen - zum Beispiel weil ihre Fluggesellschaft am Ende des Tages insolvent ist.