Hamburger Prominente haben interessante Ideen. In einem sind sie sich alle einig: Mit der Gewalt muss endgültig Schluss sein

Seit den schweren Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels vor zwei Wochen ist eine Debatte um die Zukunft des linksautonomen Kulturzentrums Rote Flora entbrannt. Das Abendblatt hat Anwohner und prominente Vertreter aus Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik gefragt, wie es weitergehen sollte.

Corny Littmann, Theaterchef:

Die Rote Flora ist ein etabliertes und von vielen Anwohnern im Schanzenviertel geschätztes Zentrum. Nach den Vorfällen muss der soziale Frieden im Viertel wiederhergestellt werden. Das erfordert uneingeschränkte Gesprächsbereitschaft von allen Seiten. Gegenseitige Beschuldigungen helfen da nicht weiter. Kulturschaffende können da sicher gute Vermittler sein.

Cord Wöhlke, Budnikowsky-Chef:

Nach den Ausschreitungen am G20-Wochenende hat Hamburg einen starken Imageverlust erlitten. Ich habe nichts gegen die Rote Flora an sich – aber ich habe etwas gegen rechtsfreie Räume, gewalttätige Demonstrationen und kriminelle Ausschreitungen. Die Justiz muss Gesetze ausschöpfen und auch durchsetzen. Die Sicherheit für Anwohner und Geschäfte muss gewährleistet sein.

André Poitiers, Architekt:

Ich halte den Impuls, die Rote Flora als Zentrum der Autonomen zu vernichten, „Abreißen!“ zu rufen, wie der Hamburg-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft es tat, für falsch. Ein Gebäude ist nicht verantwortlich für das, was die Menschen denken oder machen, die sich darin aufhalten. Die Rote Flora ist ein architektonisch gelungenes Gebäude, das dem Schulterblatt Weite, Raum, Großzügigkeit gibt und es zu einem funktionierenden Platz macht, auf dem das Leben vibriert. Natürlich kann man auch ein modernes, einzigartiges Gebäude an dieser Stelle bauen – aber wäre es dann noch die Schanze? Denn so absurd es auch scheint: Es ist gerade die Rote Flora, die die Gentrifizierung des Schanzenviertels beschleunigt hat. In der Roten Flora ist nicht das Zentrum der Autonomen entstanden, weil es sich um einen Jugendstilbau handelt, sondern weil der Bau seit Jahren Symbol für Widerstand ist. Ihn abzureißen würde bedeuten, mit Gewalt auf Gewalt zu antworten.

Joachim Lux, Intendant Thalia Theater:

Aus dem Abstand einer ferneren Zukunft betrachtet wird man wahrscheinlich feststellen, dass der G20-Gipfel ein Wendepunkt in der Entwicklung der Roten Flora war. Allerdings anders, als manche derzeit denken. Ich glaube, dass die Hauptszenarien „Jetzt reicht’s – räumen und dichtmachen“ beziehungsweise „Sorry, liebe Mitbürger, wir haben uns ein bisschen vergaloppiert und schlagen künftig geschickter zu“ beide keine sind. Die wahre Chance für die Rote Flora ist, sich ähnlich wie Gängeviertel oder Hafenstraße als politisch kritischer Lebensraum und zivil-friedlicher Gegenort zu entwickeln. Dazu müsste von der autonomen Szene allerdings akzeptiert werden, dass ein rein taktisches Verhältnis zur Militanz politisch schwächt und Gewalt von der Gesellschaft als ganzer abgelehnt wird, ohne Wenn und Aber, sowohl gegen Personen wie auch gegen Sachen. Politisch radikal-autonomes Engagement geht auch ohne Gewalt. Oder nicht?

Sieghard Wilm, Pastor St. Pauli Kirche:

„Flora schließen“ oder „Flora bleibt“? Es muss einen dritten Weg geben. Dazu müssen sich alle bewegen. Die Rote Flora ist verblüht, aber sie kann neue Knospen blühen lassen. Dazu brauchen wir ein Moratorium. Zeit, damit das linke Motto „Alles allen“ zu seinem Recht kommt. Eine Denkwerkstatt. Einen angstfreien Diskurs. Das Ziel ist: eine Rote Flora für alle. Ein Jahr wird vielleicht für ein Moratorium reichen. In dieser Zeit kann die Rote Flora bespielt werden: Wenn nichts mehr geht, dann kommt die Kunst. Kirchen und Theater haben viel gemeinsam. Beide sind Spielstätten, beide sind Ausnahmewelten mit hohem utopischen Potenzial. Theater, das wäre wahre Größe und Mut zu einem Perspektivenwechsel, wenn die Bühne frei wird für junges Schauspiel, ein „Theater der Welt“, eine Brutstätte der Improvisation. Ich erlaube mir diese fromme Frechheit: die Rote Flora als „Tor der Welt“, wo es um Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung geht.

Meik Mewes, Anwohner:

Man sollte die Rote Flora dichtmachen, da die Besetzer zu den Krawallen aufgerufen haben und nur bedauern, dass es in ihrem Stadtteil geschehen ist. Die scheinen die Schanze für einen rechtsfreien Raum zu halten. Das hat nichts mit dem Ausleben einer Demokratie zu tun. Es ist aber nicht nur die Schuld der Roten Flora, auch Polizei und Bürgermeister Scholz haben vollkommen versagt und Menschenleben gefährdet. Die Idee, daraus eine Kita zu machen, finde ich sehr gut. Ich könnte mir auch vorstellen, das Haus weiter als Kulturzen­trum zu nutzen – nur die Leute müssen ausgewechselt werden.

Anjes Tjarks, Grünen-Fraktionschef:

Die Frage nach der Zukunft der Roten Flora sollte vor allem auch im Dialog mit den Anwohnerinnen und Anwohnern des Schanzenviertels geklärt werden. Die Schanze ist ein buntes Quartier und soll es auch bleiben.

Joseph Tehn, Café-Betreiber

in der Nähe der Roten Flora:

Die Flora sollte nicht geschlossen werden, die Krawallbrüder kommen so oder so. Die politisch Aktiven sind vielleicht Impulsgeber, aber nur bedingt verantwortlich. Eine Schließung trägt nicht zur Befriedung bei, sondern würde zu Krieg führen. Das kann nicht das Ziel sein für die Anwohner und ist höchstens vorteilhafte Symbolpolitik für den Senat. Im Alltag lebt man meist gut mit denen, und es passiert nichts.

Katja Suding, FDP-Fraktionschefin:

Der rot-grüne Senat muss endlich aufhören, linksextremistische Gefahren zu verharmlosen und bei Straftaten und Gesetzesverstößen einfach wegzuschauen. Mit allen zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln muss der Senat sicherstellen, dass die Flora kein rechtsfreier Raum ist. Die Auseinandersetzung mit dem Linksradikalismus darf sich aber nicht auf die Rote Flora beschränken. Die Schließung oder Räumung des Gebäudes alleine wird nicht ausreichen, um die gewalttätigen linksextremistischen Strukturen auszutrocknen.

Gunther Bonz, Präsident Unternehmensverband Hafen Hamburg:

Es muss sichergestellt werden, dass keine weiteren Straftaten aus der Roten Flora heraus geplant und oder verübt werden. Beim nächsten Verstoß muss das Haus nach Polizeirecht geschlossen werden.

Joachim Reinig, Stadtplaner:

Eine Stadtgesellschaft ist ausgesprochen heterogen. Hamburg zeichnet sich dadurch aus, dass hier jeder seinen Platz hat oder seinen Platz bekommt, auch wenn er nicht mehrheitskonform leben will. Für mich ist die Hafenstraße ein Vorbild für die Zukunft der Roten Flora. Dort ist es gelungen, dass eine Gruppe der Gesellschaft – im Übrigen mithilfe anderer Hamburger Bürger – ihren Platz in der Stadt gefunden hat und integriert wurde. Entscheidend muss sein, dass von der Roten Flora keine Gewalt für die Allgemeinheit ausgeht. Dass sie ein Platz mit anderen Regeln des Zusammenlebens ist, scheint mir für den inneren Frieden unserer Stadtgesellschaft wichtig zu sein.

Dirk Luckow, Chef der Deichtorhallen:

Die Rote Flora gehört zur DNA des Schanzenviertels und steht als Symbol für eine kritische Öffentlichkeit, die heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Viele Kreative und viele Künstler identifizieren sich mit dem Gebäude. Es wäre ein fatales politisches Signal, würde man die Rote Flora jetzt schließen. Das Klima wäre auf Jahre vergiftet und der Boden für neue Krawalle bereitet. Stattdessen wäre es wichtig, auch in der Nachbarschaft die Debatte um die Zukunft der Roten Flora weiterzuführen.

André Trepoll, CDU-Fraktionschef:

Die Rote Flora muss geschlossen werden. Ein Biotop für gewalttätigen Linksextremismus in einem rechtsfreien Rahmen darf von Rot-Grün nicht länger geduldet werden. Bei den Krawallen um den G20-Gipfel leistete die Rote Flora logistische sowie ideologische Unterstützung und mobilisierte Militante aus ganz Europa. Wir fordern, eine neue Nutzung für die Rote Flora zu finden, die dem gesamten Stadtteil zugutekommt.

Amelie Deuflhard, Kampnagel-Intendantin:

Die Rote Flora ist ein Monument des Widerstands in Hamburg. Ein Monument für Gegenkultur, politischen Aktivismus, gegen Gentrifizierung. Ein wichtiger Akteur der Subkulturen und für die politische und kulturelle Diversität in dieser Stadt. Das kann, sollte, muss sich eine weltoffene Stadt leisten. Wir sollten in Hamburg so allmählich wieder abrüsten, G20 umsichtig aufarbeiten und einen breiten gesellschaftlichen Dialog starten.

Robert Eckelmann, Chef der Eckelmann Gruppe (Hafenunternehmen):

Man muss das Problem lösen. Man kann die Rote Flora aber nicht einfach schließen, ohne dass man weiß, was mit den Leuten dort geschieht. Ein überhastetes Vorgehen würde zu einem unkontrollierten Abwandern der Szene führen. Damit hätte man das Problem nur verlagert und wahrscheinlich viel Geld ausgegeben. Deshalb plädiere ich dafür, dass man genau überlegt, am besten sogar mit den Leuten aus der Szene, wie es weitergeht.

Sabine Boeddinghaus und Cansu Özdemir, Linken-Fraktionsvorsitzende:

Die Rote Flora ist als autonomes Stadtteilkulturzentrum, als Zentrum für Kunstaktionen und Stadtteilfeste, als Ort politischer Diskussionen und des politischen Widerstands ein wichtiger Teil des politischen und kulturellen Lebens in Hamburg. Wichtig ist: Wir müssen weiterhin darüber streiten, wem diese Stadt gehört. Natürlich erwarten wir von den Aktivistinnen und Aktivisten der Roten Flora auch, dass sie das eigene Handeln und ihre Rolle in der Stadtgesellschaft reflektieren und einen transparenten und offenen Dialog mit ihren Nachbarn pflegen.

Gerhard Kirsch, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei:

Es gilt jetzt, mögliche Verbindungen zwischen den Personen der Roten Flora und den Straftätern genau zu untersuchen. Sollten sie belegbar sein und sich die rechtliche Möglichkeit ergeben, kann es nur eine Konsequenz geben: die Schließung der Roten Flora. Der Staat darf sich nicht länger auf der Nase herumtanzen lassen. Der nächste Anlass und weitere Straftaten aus diesem Kreis kommen bestimmt. Dagegen muss entschlossen durchgegriffen werden.

Schorsch Kamerun, Musiker,

Theatermacher und Pudel-Betreiber:

Häuser können keine Steine werfen. Und dieses besondere gehört uns allen. Es wird als rares Nichtgeschäftsmodell und Freispielraum weiter dringend benötigt in Hamburg.

Bernd Baumann, AfD-Fraktionschef:

Seit Jahrzehnten fungiert die Rote Flora als Zentrum für Linksextremisten. Der Staat machte dort kriminelle Hausbesetzer zu Hausbesitzern. Ein Kernfehler: Mit Extremisten – ob von links oder rechts – verhandelt und paktiert ein Rechtsstaat niemals. Deshalb ist die Rote Flora so schnell wie möglich zu schließen. Das Gebäude gehört der Stadt und sollte je nach Bedarf zur Nutzung freigegeben werden. Ein Kindergarten oder eine Einrichtung für benachteiligte Kinder wäre eine gute Lösung.

Alexander S., Anwohner:

Ich möchte den Rotfloristen glauben, dass sie nur eine friedliche Rolle bei den Ausschreitungen hatten. Die Rolle der Flora muss aber aufgearbeitet werden. Und auch die der Polizei. Sie hätten die vorrevolutionäre Romantik sehen müssen. Die Gegend ist ein Magnet für alles, was Krawall machen möchte. Man hätte ahnen können, dass so etwas passiert. Ich kann es nachvollziehen, dass manche Anwohner die Rote Flora gerne schließen würden. Aber ich bin dafür, sie offen zu halten.

Jörg Knieling, Stadtplaner:

Die Rote Flora steht beispielhaft für die Vielfalt, die eine Großstadt wie Hamburg charakterisiert. Diese Vielfalt ist Chance wie Herausforderung zugleich. Die Rote Flora als Kulturzen­trum ist ein „kritischer Stachel“, der gesellschaftliche Ungerechtigkeiten deutlich anspricht. Eine starke städtische Demokratie kann das aushalten, ja, sie braucht diese Auseinandersetzung, um sich immer wieder neu zu hinterfragen. Politik und Verwaltung sollten immer wieder von Neuem den Dialog mit der Roten Flora suchen, sich neu kennenlernen und Gesprächskorridore ausloten. Gleichzeitig sind Gesprächsangebote nötig, bei denen sich alle Beteiligten „auf Augenhöhe“ begegnen können.

Andreas Dressel, SPD-Fraktionschef:

Die Flora und ihr Umfeld müssen sich entscheiden: Schließen sie für die Zukunft Gewalt als Mittel ihrer Politik aus – ja oder nein? Und sie müssen ihre Mitverantwortung an den Krawallen hinterfragen – und daraus Konsequenzen ziehen. Klar ist: Es muss sich dort etwas ändern, es kann nicht alles bleiben, wie es ist. Jenseits dessen findet die Ermittlungsarbeit der Soko „Schwarzer Block“ statt – und die werden sicher keinen Bogen um die Flora und ihr Umfeld machen, sondern prüfen, ob und welche strafrechtlich relevanten Verbindungen es da gegeben hat.