Sicherheitsbehörden und Bürgermeister nehmen Stellung zu dem umstrittenen G20-Einsatz. Eine Sonderkommission wird die Ereignisse aufarbeiten

Sie gingen am Sonntag zu viert auf das Podium, um den Schrecken irgendwie begreifbar zu machen. Polizeipräsident, Einsatzleiter, Innensenator und Bürgermeister. Wie konnte der Schwarze Block während des G20-Gipfels so ungestört wüten? Es zeichnet sich ab, dass die Polizei gleich in mehrfacher Hinsicht überfordert war – zwar die Staatsgäste umfassend schützte, aber zu wenig Kräfte für den Rest der Bevölkerung aufwendete.

Wie erklären die Spitzen von Polizei und Senat die Gewaltausbrüche?
Obwohl 20.000 Polizisten in der Stadt waren, obwohl sich die Hamburger Polizei anderthalb Jahre auf den Gipfel vorbereitet hatte, eskalierte die Situation komplett. Dabei hatte Bürgermeister Olaf Scholz eine „Sicherheitsgarantie“ für den Gipfel abgegeben – diese habe er nicht einlösen können, räumte Scholz ein. Dass die Justiz ein Protestcamp des als linksextremistisch eingestuften „Roten Aufbaus“ mit 300 Zelten am Altonaer Volkspark schlussendlich doch erlaubte, sei ein „zentraler Faktor“ der Eskalation gewesen, sagte Innensenator Andy Grote (SPD). Die Polizei habe Gefahrenprognosen erstellt, denen das Gericht nicht gefolgt sei. Vom Camp aus hätten die gut organisierten Gewalttäter ihre militanten Aktionen planen und durchführen können.

Warum griff die Polizei bei den schweren Krawallen am Freitagabend im Schanzenviertel nicht viel früher ein?

Priorität für die Polizei hatte während des gesamten Einsatzes die Sicherheit der Staatsgäste – und am Freitagabend speziell die Lage an der Elbphilharmonie. Als am Neuen Pferdemarkt erste Feuer brannten, zog die Polizei zwar Einheiten zusammen, erstickte die Krawalle aber nicht im Keim. „Wir mussten unsere Einheiten durchsortieren und wollten dann gegen 21 Uhr hineingehen“, sagt Einsatzleiter Hartmut Dudde. Zu diesem Zeitpunkt hatten aber etwa 15 militante Autonome Gerüst und Dach des Hauses an der Ecke zum Schulterblatt erklommen und hielten Gehwegplatten, Zwillen sowie Molotowcocktails bereit, falls die Polizei eingreift.

Wegen dieses „Hinterhaltes“ traute sich die Polizei nicht mehr vor, die Gefahr für das Leben der Beamten sei zu groß gewesen. Auf Nachfrage räumte Meyer ein, dass es an den anderen Ausgängen des Viertels keine Hinweise auf weitere Personen mit ähnlicher Bewaffnung gab. Innensenator Andy Grote (SPD) sagte auf die Frage, warum die Polizei nicht auf der anderen Seite des Schulterblattes eingegriffen habe, nach einem Einsatz gebe es „immer kluge taktische Ratschläge“. Polizeipräsident Meyer betonte, dass die Randalierer hochprofessionell vorgegangen seien und äußerste Vorsicht geboten war.

Vor dem Gipfel hatte die Polizei betont, Spezialkommandos könnten innerhalb einer Minute bei einer Gefahrenlage vor Ort sein – dies galt aber nur für die Protokollstrecken. Bis das Einsatzkommando im Schanzenviertel eingriff, vergingen etwa zwei Stunden. Es war in andere Aufgaben „eingegraben“, sagte Einsatzleiter Dudde. Man sei „überrascht“ gewesen, dass es überhaupt zu einer Situation gekommen sei, in der die Elitepolizisten eingreifen mussten.

Warum hat die Polizei an den Brennpunkten nicht mehr Kräfte eingesetzt?

Die Autonomen schlugen jeweils in den für sie günstigsten Momenten zu, um auf weniger massive Präsenz der Polizei zu treffen. Während der „Welcome to Hell“-Demo am Donnerstag war ein großer Teil des Gesamtaufgebotes der Polizei mit dem Transfer der Regierungschefs vom Flughafen zu den Hotels beschäftigt. Zudem heißt es in Polizeikreisen, dass schon aufgrund der räumlichen Enge an der Hafenstraße zusätzliche Beamte das Geschehen nicht besser beherrscht hätten. Am frühen Freitagmorgen zogen die brandschatzenden Randalierer genau dann durch Altona, als sich viele Hundertschaften nach dem harten Einsatz am Vortag zum Ausruhen zurückgezogen hatten. Die Polizei hatte auch schlicht nicht damit gerechnet, dass die militanten Links­extremen am frühen Morgen zuschlagen würden. Generell seien solche Aktionen sehr schwer zu verhindern. „Wir können nicht die Stadt mit Polizei vollstellen“, sagte Ralf Martin Meyer.

Durch die andauernde Randale fielen bereits ab Freitag auch viele Beamte wegen Erschöpfungssymptomen aus. Nach Abendblatt-Informationen musste etwa eine Hundertschaft vorübergehend aus dem Dienst genommen werden.

Warum wurden nur verhältnismäßig wenige Randalierer festgenommen?

Dafür ist eine Mischung aus Fehleinschätzungen und fehlenden Beamten verantwortlich. Viele Gewalttäter nahmen mutmaßlich bereits am Donnerstag an „Welcome to Hell“ teil – auf eine seitliche Einkesselung wurde jedoch aus „gutem Willen“ gegenüber den Anmeldern der Demonstration verzichtet, heißt es in Polizeikreisen. Zudem nahm die Führung an, dass die Autonomen nicht über die Flutschutzmauer entkommen könnten. Doch dies war der Fall.

Während die schweren Krawalle am Freitag am Schulterblatt tobten, wurde das Schanzenviertel nicht vollständig umstellt – nach Abendblatt-Informationen fehlten dazu genügend Beamte. Als Elitepolizisten und Wasserwerfer schließlich anrückten, flohen viele Mitglieder des Schwarzen Blocks erneut.

Nach Abendblatt-Informationen lag der Fokus nach dem Willen der Führung auf der „Lagebereinigung", dem unmittelbaren Beherrschen der akuten Situation. Fest- und Ingewahrsamnahmen hatten keine Priorität. „Das würde zu viele Kräfte binden“, hieß es dazu bereits am Donnerstag von leitenden Beamten. Jeder Festgenommene wird von mindestens einer Gruppe von Beamten abgeführt – 100 Festnahmen hätten demnach 500 Beamte unmittelbar aus dem Einsatzgeschehen genommen, die Krawallmacher im Gegenzug aber nicht einmal dramatisch geschwächt.

Als sehr großes Problem bezeichnet die Polizei auch die Praxis der Autonomen, verschiedene Kleidung bei sich zu tragen und immer wieder die Farben zu wechseln. So hätten etwa die Brandstifter von der Elbchaussee binnen Sekunden wieder aussehen können wie „der Abiturient aus der Nachbarschaft“, sagt Hartmut Dudde.

Was macht die Polizei jetzt?

Die Polizei installiert eine Sonderkommission (Soko), die sich mit der Aufarbeitung der Ereignisse rund um den G20-Gipfel befassen wird. Noch nicht klar ist, wie den Polizisten das außerordentliche Arbeitspensum vergütet wird. Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Hamburg, Gerhard Kirsch, fordert eine Anrechnung nicht nur der Einsatzzeiten: Für jeden Einsatztag ab dem 22. Juni sollten 24 Stunden gutgeschrieben werden.