Hamburg. Täglich sterben Menschen, weil sie sich keine Medikamente leisten können. Viele Länder sind auf Pandemien nicht vorbereitet. G20 soll helfen

Jede Stunde Abwarten kostet Tote. Niemand kennt bisher das neue Virus, das den ohnehin schwachen Staat im Süden erfasst hat. Die ersten Menschen erkrankten in einem Dorf, jetzt aber breitet sich der Erreger über die Atemwege aus, schnell greift er auf Nachbarländer über. Das Virus kennt keine Grenzen. Krankenhäuser und Ärzte vor Ort sind überfordert – und sie erreichen die Menschen in den ländlichen Regionen mit Medikamenten kaum.

Es ist nur ein Szenario. Als sich die Gesundheitsminister der G20-Staaten im Mai in Deutschland treffen, spielen sie diese Notlage gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durch. Fiktive Nachrichtensendungen und Beiträge im Internet sollen die Krisensituation realer machen. Es ist eine Übung, die das Krisenmanagement beim Ausbruch von Pandemien verbessern soll. Und es ist eine Übung, die an das Ebola-Virus erinnert, das 2014 im Westen Afrikas ausgebrochen war. Erst in Guinea, später auch in Sierra Leone und Liberia – Staaten, deren Gesundheitssystem lange nicht alle Menschen versorgen kann. Mehr als 10.000 Menschen starben.

Ebola habe der Welt auf bittere Weise gezeigt, dass sie besser auf Pandemien vorbereitet sein müsse, sagte damals der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Auch der Ebola-Beauftragte der Bundesregierung, Walter Lindner, fand 2015 harte, aber realistische Worte: „Wir haben versagt.“ Wir, damit meinte Lindner, die Staatengemeinschaft. Europa, Amerika, Asien, Afrika.

Wenn jetzt die Staatschefs genau aus diesen Regionen in Hamburg tagen, soll es in der Diskussion auch darum gehen: Wie können die Länder im Kampf gegen Epidemien besser bestehen, die sich schnell und über Staatsgrenzen ausbreiten? Die Bundesregierung strebt den Aufbau eines Notfallplans an. Dieser Plan soll genau festlegen, welche Regierung und Organisation welche Medikamente, Ausrüstungen und Ärzte bereitstellen. Und vor allem: Wie viel Geld. Auch andere Fragen werden debattiert: Hat es in einer solchen Notsituation Sinn, den Handel zu beschränken? Oder den Tourismus?

Beim G7-Gipfel 2015 in Deutschland verpflichteten sich die mächtigsten Staaten unter deutscher Präsidentschaft, 60 anderen Ländern vor allem in Afrika dabei zu helfen, ein funktionierendes Gesundheitssystem aufzubauen. Während der japanischen Präsidentschaft in 2016 wurde die Liste auf 76 Staaten aufgestockt. „Deutschland stellt mehr als 850 Millionen Euro pro Jahr für globale Gesundheit zur Verfügung“, sagte Minister Hermann Gröhe (CDU). Der Großteil des Geldes diene der Hilfe für Gesundheitssysteme. Beim Gipfel in Hamburg soll nun auch eine erste Bilanz gezogen werden: Was konnte die G7-Initiative bisher erreichen?

Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation vom Mai 2016 sind nur 65 von 193 Staaten einigermaßen in der Lage, Seuchen überhaupt medizinisch zu registrieren und dann auch wirksam zu bekämpfen. Beim Ausbruch der Ebola-Seuche hatte es mehrere Monate gedauert, bis die Regierung in Guinea die WHO informiert hatte. Die Studie zeigt auch: Pandemien treffen vor allem die Menschen, die ohnehin von Armut betroffen sind. Vielen afrikanischen Staaten fehlt die Wirtschaftskraft, um Medikamente zu entwickeln oder in ländliche Gebiete teure Medizintechnik zu liefern.

Organisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ fordern als Lehre aus dem Ebola-Fieber 2014 eine Stärkung der WHO – sowohl politisch als auch finanziell. Rund 7000 Mitarbeiter hat die Behörde der Vereinten Nationen, 150 Büros weltweit. Und doch war sie in der Ebola-Krise zu schwach, um die Staaten zu einer schnellen Hilfe zu bewegen.

Mit dem Ausbruch einer Seuche in einer instabilen und armen Region beginnt ein Teufelskreis, warnen Experten. Pandemien verschärfen die Armut. Die Weltbank schätzt, dass diese Krankheiten bis 2050 weitere 28,3 Millionen Menschen in Armut stürzen. Und jede Krankheit kostet: bis 2050 laut Weltbank 1,2 Billionen Dollar zusätzlich. Für Medikamente, Ärzte, Technik, Impfstoffe. Und so bleibt der wirksamste Impfstoff gegen Seuchen aus Sicht von Experten: der Kampf gegen Armut.

Das Engagement der wirtschaftsstarken G20-Staaten gegen Pandemien dürfe nach Ansicht von „Ärzte ohne Grenzen“ dementsprechend nicht nur Selbstschutz sein – aus Angst vor einem Ausbruch auch in Europa oder Amerika. „Wir dürfen nicht danach gehen, wen die Pandemien irgendwann betreffen könnten, sondern müssen den Menschen vor Ort helfen, die vor Krankheiten geschützt und behandelt werden müssen“, sagt Marco Alves, der Koordinator der Medikamentenkampagne der Hilfsorganisation.

Die Verbindung von Armut und Krankheiten zeigt sich bei der Arbeit von „Ärzte ohne Grenzen“ immer wieder: Kriegsverletzte in Jordanien, Neugeborene in Pakistan, Verbrennungsopfer in Haiti oder Patienten mit Tuberkulose im südlichen Afrika und in Ost-Europa. „Menschen, die dringend Hilfe brauchen, können die Mitarbeiter oft nicht adäquat behandeln, weil es keine geeigneten Medikamente gibt“, kritisiert Alves. Ein wichtiges Thema des G20-Gipfels ist auf Bestreben der deutschen Präsidentschaft daher auch der bessere Einsatz gegen Antibiotika-Resistenzen.

2015 starben weltweit 700.000 Menschen, weil Antibiotika nicht mehr wirken. Schon einfache Entzündungen können tödliche Folgen haben, wenn die Medizin nicht anschlägt. Die Resistenzen entstehen laut Experten vor allem durch die falsche und übermäßige Anwendung von Antibiotika, veraltete Wirkstoffe, aber auch durch den Fleischkonsum. Denn häufig wird Tierfutter Antibiotika beigemischt, um das Vieh im engen Stall gesund zu halten.

Dieses Risiko werde „massiv unterschätzt“, warnte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unlängst. Minister Gröhe spricht von einer „schleichenden Katastrophe“. Schon auf dem G20-Gipfel im vergangenen Jahr in China stellten die Staaten bessere Forschung und besseren Zugang auch für arme Menschen zu Medikamenten in Aussicht. Im Abschlussbericht fand sich das Thema allerdings erst als Punkt 46 von 48. Die Sicht auf die Antibiotika-Resistenz war zudem eher ökonomisch: „Weitere bedeutende globale Herausforderungen mit Einfluss auf die Weltwirtschaft“, lautete die Überschrift. Denn die Kosten für infizierte Patienten steigen stark an, wenn multiresistente Keime mehrere Wochen in Krankenhäusern mit teuren Antibiotika behandelt werden müssen.

Vor allem die Investition in Forschung ist sowohl der Bundesregierung als auch den Hilfsorganisationen ein Anliegen. Die G20-Chefs wollen einen Fonds einrichten. Firmen, die neue Mittel entwickeln, sollen Prämien in Milliardenhöhe erhalten. Doch unklar ist, ob sich die Regierungsvertreter in Hamburg darauf einigen können. Das Forum der G20 hat keine rechtlich bindende Kraft, vieles bleibt vorerst eine Absichtserklärung. Vieles blieb bisher vage.

Und Kritiker dieser Pläne sehen die Gefahr, dass mit dem Fonds genau die Unternehmen belohnt werden, die zur Krise beigetragen haben. Seit 1987 sei keine größere neue antibiotische Wirkstoffklasse entwickelt worden, sagt Alves von „Ärzte ohne Grenzen“. Der Grund: Die Forschung der Pharmaunternehmen sei profitorientiert. „Antibiotika versprechen jedoch keinen großen Profit“, sagt Alves. Er hält den Eingriff der Behörden in den Markt daher für dringend notwendig. Regierungen müssten Wissenschaft fördern. „Dabei müssen die Forschungskosten vom finalen Produktpreis und den Verkaufsmengen entkoppelt werden.“ Das heißt, es muss sich für Pharmakonzerne und Institute lohnen, günstige Medikamente massenhaft zu produzieren. Die Subventionen sichern den Firmen ihr Geschäftsmodell. Und Menschen mit wenig Einkommen könnten sich diese neuen Antibiotika dann auch leisten.