Die Kanzlerin sucht als Gastgeberin nach Gemeinsamkeiten der G20. Der Klimaschutz ist dabei das schwierigste Thema

Das Gruppenbild. Ein Klassiker. Eine Beziehungsstudie. Ein Pflichttermin. Zielstrebig steuert Donald Trump die Randlage an. Zum Gruppenbild mit der Gastgeberin erscheint er in der ersten Reihe links im Sucher der Kameras der Fotografen. Politisch ist es umgekehrt: Alle Streitfragen des Gipfels der 20 größten Industrie- und Schwellenländer drehen sich um den US-Präsidenten, beim Klimaschutz wie beim Handel. Für Trump gilt beides gleichzeitig, er ist mittendrin – und maximal auf Distanz.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) weiß das und auch allzu gut, woran sie als Gastgeberin gemessen wird: Lösungen seien möglich, „wenn wir uns aufeinander zubewegen, ohne uns auch zu sehr zu verbiegen“. Wenn es ihr bis heute gelingt, Trump einzubinden, hätte sie einen Knoten entwirrt. Aber, das sagt sie nach den ersten Beratungen: „Hier sind die Diskussionen sehr schwierig. Da will ich gar nicht drumrum reden.“ Die allermeisten Teilnehmer wollten, dass „wir einen freien, aber auch fairen Handel brauchen“. Die allermeisten hätten sich auch zum Pariser Klimaabkommen bekannt.

Merkel appelliert an die Verantwortung für die Welt

Der Klimaschutz ist das mit Abstand schwierigste Thema. Die allermeisten Teilnehmer der Gipfelrunde hätten sich zum Pariser Abkommen bekannt, sagt Merkel. Bedauerlicherweise hätten sich die USA aber von dem Vertrag verabschiedet. Das spiele in der Diskussion natürlich eine Rolle.

Merkels britische Kollegin Theresa May schließt gleichwohl nicht aus, dass der Amerikaner zum Pariser Klimapakt zurückfindet. „Ich glaube, es ist möglich.“ Vom Rand in die Mitte des Bildes?

Merkel hat schon andere Gipfel in Deutschland in Szene gesetzt, in Heiligendamm, Elmau. Aber G20 ist eine Premiere. Für das Treffen in ihrer Geburtsstadt ließ sie sich ein Logo einfallen, das so schön maritim wie symbolisch aufgeladen ist: den Kreuzknoten. Je größer die Belastung, desto fester wird er. Je stärker Trump den Klimaschutz infrage gestellt hat, umso stärker halten die anderen daran fest, die Europäer sowieso, aber auch viele asiatische Länder, dazu die sogenannten Brics-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.

Auch beim Handel stärken etliche asiatische und europäische Länder Merkel den Rücken. Für Freihandel und gegen Protektionismus. Am rauflustigsten klingt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Zur Androhung von US-Strafzöllen auf Stahlimporte eröffnet er den Journalisten: „Ich möchte Ihnen mitteilen, dass wir innerhalb von wenigen Tagen – da brauchen wir keine zwei Monate – mit Gegenmaßnahmen reagieren werden.“ Er sei in „gehobener Kampfesstimmung“. Aber auch diese Auseinandersetzung ist teils stilisiert, eine Einigung ist möglich, denn Trump will in erster Linie, dass Überkapazitäten verringert werden. Das will die EU auch.

Am Freitagmorgen empfängt Merkel die übrigen Gipfelstürmer. Einige waren wie Trump bereits am Vorabend angereist. Für die erste Sitzung von G20 hat sich Merkel ein Konsensfeld ausgesucht, den Anti-Terror-Kampf. Mittags empfängt sie die einmaligen Gäste, die nicht ständig dazugehören, aber nach Hamburg eingeladen wurden und nun dazustoßen – schwungvoll kommt ihr gerade der Niederländer Mark Rutte auf dem roten Teppich entgegen.

Die Begrüßung – das ist auch so eine Beziehungsstudie. Den Kanadier Justin Trudeau oder den Franzosen Emmanuel Macron begrüßt die Kanzlerin mit einem Küsschen, bei anderen Gästen wie dem Türken Recep Tayyip Erdogan oder dem Russen Wladimir Putin belässt die Gastgeberin im roten Blazer es bei einem nüchternen Händedruck. Trump zeigt ein Nähebedürfnis, er fasst die Kanzlerin am Arm und versucht flüchtig, sie zu umarmen.

Um 13.23 Uhr ist die Runde vollzählig, und „der Moment ist gekommen, dass wir beginnen können“, setzt Merkel im Verhandlungssaal zur Begrüßung an. Die Tische bilden ein Quadrat, in der ersten Reihe sitzen die Staats- und Regierungschefs, dahinter Minister und Mitarbeiter. Auf Merkels Bitte drehen sie sich alle in ihren cremefarbenen Bürosesseln um für ein Foto. Trump zögert einen Augenblick, er hasst es, die Medien zu bedienen. May muss ihm erst auf die Schulter tippen, dann erst dreht sich auch der US-Präsident um – und lächelt gequält.

Draußen die Krawalle und drinnen die Echokammer

Merkel ist im Wahlkampf und weiß um die Macht der Bilder. Was sich ihrem Einfluss entzieht, sind die hässlichen Fotos von den Krawallen. Sie sagt, Gewalt sei nicht zu akzeptieren, und dankt der Polizei. Die Teilnehmer wissen natürlich, was los ist, aber in die Messehalle dringt bestenfalls das ferne Echo des Sirenengeheuls.

Das heißt nun nicht, Merkel würde sie nicht an ihre Verantwortung erinnern. Sie sei sich auch ganz sicher, dass jeder sich hier anstrenge, um gute Ergebnisse zu erreichen. Am Nachmittag diskutieren sie erst über den Welthandel, später über Klimaschutz und Energiepolitik. Merkel berichtet anschließend von „sehr guten Diskussionen“, aber vor allem auch von strittigen. Über die Abkehr der USA vom Klimaschutzabkommen etwa oder über einen Kompromiss zur Handelspolitik. Damit nicht genug: Am heutigen Sonnabend steht Afrika auf der Tagesordnung, das Europa im Zuge der Flüchtlingskrise buchstäblich näher gerückt ist.

Merkel betont: „Wir wissen, dass die Zeit drängt, deshalb können Lösungen oft nur gefunden werden, wenn wir kompromissbereit sind.“ Entscheidend werde sein, „wie wir die verschiedenen Meinungen sortieren“, sagt Merkel, bevor sie zum gemeinsamen Konzertabend in der Elbphilharmonie aufbricht.

Für die Gastgeberin ist es fast eine Win-win-Situation: Gelingt ihr der Kompromiss, ist sie die Frau, die Trump eingefangen hat. Scheitert sie, ist sie die Frau, die ihn vor aller Welt isoliert hat.