Das Rathaus steht, aber die Rathauspolitik ist erschüttert angesichts der Welle ungezügelter Gewalt auf den Straßen der Stadt während des G20-Gipfels. Das gilt vor allem für die beiden Koalitionspartner von SPD und Grünen, die nun mit den gravierenden Folgen der Ereignisse umgehen müssen. Es spricht viel dafür, dass der Gipfel auch eine Zäsur im Verhältnis der beiden Senatsparteien zueinander markiert, die in den ersten zweieinhalb Jahren weitgehend harmonisch regiert haben, sieht man von wenigen Eskapaden ab. In Zukunft dürfte es deutlich ungemütlicher werden.

Dass Hamburg das Treffen der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer ausrichtet, noch dazu mitten in der Stadt in den Messehallen, war eine ziemlich einsame Entscheidung von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Die Grünen haben sich, leise murrend, gefügt.

Die Grünen halten den Gipfel für zu groß für Hamburg

Am Freitagnachmittag – nachdem marodierende Gruppen von Autonomen eine wohl beispiellose Spur der Zerstörung durch die Stadt gelegt hatten – meldete sich die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) mit einem Facebook-Eintrag zu Wort, der politisch weitreichende Folgen haben dürfte. „Meine Kollegen Jens Kerstan, Till Steffen und ich meinen: Der G20-Gipfel ist so groß, dass er selbst in eine Großstadt wie Hamburg nicht mehr passt. Das bewahrheitet sich jetzt, und wir verstehen, wie viele Hamburgerinnen und Hamburger genervt, wütend und auch erschrocken von den Ereignissen sind“, schreibt Fegebank.

Die Sätze der Zweiten Bürgermeisterin, des Justizsenators Steffen und des Umweltsenators Kerstan sind nicht weniger als die Abkehr von der offiziellen G20-Politik des rot-grünen Senats. Denn Olaf Scholz betonte im Vorfeld des Gipfels ein ums andere Mal, dass Hamburg, das weltoffene, liberale Hamburg, genau der richtige Standort für die Zusammenkunft der Mächtigen der Welt sei. Und wo, wenn nicht im Zentrum der Stadt, lautete die rhetorische Frage, sollte dieses Treffen stattfinden? Ein Gipfel der kurzen Wege sollte es sein.

Selbstverständlich kann man den grünen Senatsmitgliedern den Vorwurf machen, ihr Verhalten sei Heldentum nach Ladenschluss, auch wenn sie intern, aber eben im Wesentlichen nur intern, auf die Risiken immer wieder hingewiesen haben. Wer Scholz kennt, der weiß, wie die öffentlichen Absetzbewegungen des Regierungspartners bei ihm ankommen. Es ist aus seiner Sicht die Aufkündigung der Solidarität unter Partnern in einer fraglos schwierigen Situation. Eines seiner Regierungsprinzipien ist, interne Streitigkeiten nie nach außen dringen zu lassen. Jedes Senatsmitglied, das hart in der Kritik stand, konnte sich darauf bislang stets verlassen. Auch wenn Scholz nicht mit allem einverstanden war, was zum Beispiel Kerstan umweltpolitisch forderte – ihm kam vor Kameras und Mikrofonen nie ein Wort der Kritik über die Lippen.

Es knirscht also kräftig im rot-grünen Koalitionsgebälk. Wie kräftig, das zeigte auch die gemeinsame Stellungnahme des Grünen-Bürgerschafts-Fraktionschefs Anjes Tjarks und der Parteichefin Anna Gallina, die im Ton noch deutlicher als die Senatoren waren: „Wir Grüne haben die Messehallen von vornherein als ungeeignet kritisiert.“ Und dann: „Laut eigener Aussage hat die Polizei bei der Welcome-to-Hell-Demonstration ihre Einsatzziele nicht erreicht, ihre Taktik hat gemessen am Ergebnis nicht funktioniert.“

Das betreffe den Versuch, die gewaltbereiten von den friedlichen Demonstrierenden zu trennen, wobei auch Unbeteiligte und Journalisten in Mitleidenschaft gezogen worden seien. „Wir halten es deshalb schlicht für folgerichtig, dass der Einsatz detailliert aufgearbeitet werden muss. Dazu muss auch die Frage der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes gehören“, schreiben Gallina und Tjarks. Politisch verantwortlich für den Polizeieinsatz ist zunächst Innensenator Andy Grote, SPD. Man kann Tjarks’ und Gallinas Sätze auch als Drohung verstehen.

Diejenigen Grünen, die in der politischen Verantwortung stehen, sind zweifellos in einer verzwickten Lage. Ihrer G20-skeptischen Basis war Ort und Aufwand der Veranstaltung von Anfang an nicht zu vermitteln. Lange sorgte daher besonders Gallina gelegentlich für etwas kritischere Töne, während vor allem Katharina Fegebank die Koalitionsdisziplin hochhielt. Das hat den Grünen den Vorwurf eines doppelten Spiels eingetragen.

Doch schon zu Beginn der Woche hatte es in diesem Punkt einen bemerkenswerten Wandel gegeben. In der Senatsvorbesprechung am Dienstag gab es eine intensive Diskussion über den Polizeieinsatz vor und bei der Räumung des Protestcamps auf der Halbinsel Entenwerder. Fegebank, Steffen und Kerstan kritisierten das Vorgehen der Beamten als unverhältnismäßig. Und sie drängten auf eine Änderung der harten Linie der Polizei, keine Übernachtungen von G20-Gegnern in den Camps zu dulden.

Letztlich spielte die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, 300 Zelte zum Übernachten doch noch zu erlauben, den Grünen in die Hände. Zwar wollten die Camper nicht zurück nach Entenwerder, aber es gelang dem Senatorentrio, den Innensenator zu überzeugen, nunmehr im Altonaer Volkspark ein größeres Lager zu erlauben. Ein deutlich größeres, wie sich bald herausstellte, denn letztlich wuchs das Camp auf 1000 Zelte an. Die Polizeistrategie, keine großen Übernachtungslager zuzulassen, war aufgegeben worden. Die Grünen feierten das als Beitrag zur Deeskalation. Am Freitag musste Grote darauf hinweisen, dass der Verdacht bestehe, der Gewaltexzess auf der Straße sei auch vom Camp im Volkspark ausgegangen.

Am konsequentesten verteidigte der Bürgermeister, der kurzzeitig selbst einmal Innensenator war, die harte Linie der Polizei. Scholz scheint darauf vertraut zu haben, dass die Polizei nicht zuletzt wegen des enormen Einsatzes von zuletzt bis zu 21.000 Beamten die Lage jederzeit im Griff haben würde. Noch am Freitag nach der Eskalation vom Morgen hatte die Polizei um weitere Unterstützung von Beamten und Gerät aus den anderen Bundesländern gebeten.

Nicht nur Grote, auch Scholz selbst wird sich vielen Fragen stellen müssen, wenn die Staats- und Regierungschefs abgereist sind. Der Bürgermeister hatte vor dem Treffen eine Sicherheitsgarantie für alle Hamburger und die Gäste ausgesprochen. Dieses Versprechen hat er erkennbar nicht halten können.

Und ein Satz von vor 14 Tagen wird dem Regierungschef nun immer wieder vorgehalten werden. „Wir richten ja auch jährlich den Hafengeburtstag aus. Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist“, hatte Scholz beim dpa-Talk gesagt. Das war zwar in erster Linie auf die Verkehrssituation gemünzt – aber auch da stimmt es nicht –, trotzdem blieb bei vielen die Botschaft hängen: „Macht Euch keine Sorgen, es wird nicht so schlimm!“ Weit gefehlt.

Hat Olaf Scholz die Bedrohung durch Gewalttäter unterschätzt?

Schon damals, das gehört zur Wahrheit, haben die Grünen allerdings klar gesagt, dass sie diesen Vergleich für völlig unangemessen halten. „G20 ist kein Volksfest, Putin ist nicht die Zitronenjette. Und Erdogan ist nicht der Hummel“, sagte Fegebank, was nicht sehr freundlich gegenüber Scholz war. Jetzt stellt sich die Frage, ob der Bürgermeister die Dimension der Bedrohung, die ja durch vielfache Aufrufe und Ankündigungen im Netz gewissermaßen aktenkundig war, völlig unterschätzt hat? Oder ob er die Gefahren nicht sehen wollte, weil er seinen Blick ganz auf das Weltereignis des G20-Gipfels gerichtet hat?

Zweimal musste der Erfolgsmensch Scholz in seiner Amtszeit eine schwere, wenn auch knappe Niederlage einstecken: bei den Volksentscheiden über den Rückkauf der Energienetze und über Olympia. Der G20-Gipfel könnte sich als seine schwerste Niederlage entpuppen, weil die furchtbaren Bilder brennender Autos und durch die Straßen ziehender vermummter Straftäter haften bleiben. In der Welt, aber vor allem bei den Hamburgern selbst, den Wählern also.