Die Journalisten im Medienzentrum des Gipfels konzentrieren sich auf Merkel, Trump und Co. Aber natürlich bekommen sie auch von den Krawallen etwas mit

Es gibt Menschen, die können völlig ausblenden, dass die Welt um sie herum in Aufruhr ist. Andere müssen es schlicht, meist aus beruflichen Gründen. Und wieder andere bekommen ganz einfach nicht mit, was in ihrem Umfeld gerade geschieht.

Im internationalen Medienzentrum in den Messehallen sind am Freitag alle drei Typen zu beobachten. Von den 4800 Journalisten aus 65 Ländern, die sich für den G20-Gipfel angemeldet haben, sind schon morgens um 10 Uhr gefühlt alle da. In den vier riesigen Hallen herrscht ein mächtiges Gewimmel, Menschen laufen hektisch kreuz und quer durcheinander, die rund 1000 stationären Arbeitsplätze sind fast alle besetzt, Kameraleute suchen auf den Gängen die richtige Perspektive – möglichst mit einem der überdimensionalen Hamburg-Bullaugen-Fotos im Hintergrund, Nachrichtensprecher üben konzentriert ihren Text, andere verfolgen auf den vielen Bildschirmen die Ankunft der Staatschefs an den Messehallen. Mit einem Wort: Journalistenalltag.

Hallo? Hat hier jemand etwas bemerkt? Hat jemand die Rauchsäulen über Altona registriert? Die Videos von brennenden Autos und marodierenden Extremisten? Die Armada an Sicherheitskräften vor den Hallen? Die kreisenden Hubschrauber gehört? Wasserwerfer und gepanzerte Räumfahrzeuge rund um die Messe auffahren sehen?

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt: Den meisten Berichterstattern ist durchaus bewusst, was um sie herum passiert. Aber sie machen ungerührt ihren Job. So wie Dominic Waghorn, US-Korrespondent des britischen TV-Senders Sky News. „Unser Hauptthema ist das Treffen von Trump und Putin, das wird ein großes Wrestling“, sagt er mit Blick auf die ruppigen Methoden der beiden Präsidenten. Die USA hätten die Führungsrolle bei G20 aufgegeben, und die Frage sei nun, wer dieses Vakuum füllen wird. Angela Merkel traut er das zu. Und Theresa May? „Zu schwach“, glaubt Waghorn.

Über die Krawalle außerhalb der Messe ist er auf dem Laufenden, Sky hat drei TV-Teams in Hamburg im Einsatz. „Das wirft einen Schatten auf den Gipfel“, sagt Waghorn und zeigt auf seinem Handy eines der im Internet kursierenden Videos. „Aber ich glaube nicht, dass es die Inhalte völlig überlagern wird.“

Ana Carbajosa hält das sehr wohl für möglich. Die Korrespondentin der spanischen Tageszeitung „El Pais“ hat zwar bisher nicht viel von der Hansestadt gesehen, aber die finsteren Seiten der Stadt hat sie sehr wohl zur Kenntnis genommen: „Ich glaube schon, dass die Krawalle das Bild Hamburgs in der Welt negativ beeinflussen werden“, sagt die Spanierin, die aus Berlin angereist ist, wo sie seit einer Weile als Deutschland-Korrespondentin der linksliberalen spanischen Zeitung arbeitet.

Das sieht auch Eduardo Ortega so, der gerade mitten in der Gruppe der mexikanischen Journalisten an einem Artikel arbeitet. Der Mexikaner, der für „El Financiero“ schreibt, glaubt ebenfalls, dass die Filme und Bilder der Krawalle am Ende die positiven Eindrücke überwiegen werden. Das sei nicht gut für Hamburg, so der Mexikaner. Mittlerweile müsse man darüber nachdenken, ob es sinnvoll sei, den G20-Gipfel reihum in unterschiedlichen Städten abzuhalten. „So ein Gipfel verursacht ja auch ungeheure Kosten“, so Ortega. „Das mag für Deutschland oder Hamburg zu schaffen sein, für andere Länder und Städte schon weniger.“ Man werde ja sehen, wie es in Buenos Aires im nächsten Jahr laufe. Vielleicht sei es besser, den Gipfel immer am selben Ort abzuhalten.

Ein paar Schritte weiter sitzen Julia Tops und Min Yi Angela Hai vor ihren Laptops. Die beiden Studentinnen aus Kanada gehören einer Recherche-Gruppe der Universität Toronto an, die regelmäßig Berichte zu G20 anfertigt. Sie kennen sich bestens aus mit Themen wie Handel, Migration und Klimawandel. „Dass Trump und Putin die Arbeitssitzung zum Klima verlassen, um sich bilateral zu treffen, ist schon ein starkes Statement“, sagt Julia Tops. Aber natürlich haben die bestens vernetzten jungen Frauen mitbekommen, dass es mittlerweile noch ein anderes großes Thema gibt. „Ich habe noch nie solche Proteste gesehen“, sagt Angela. „Ich hoffe, der Gipfel kann fortgesetzt werden.“

Auf den Internetseiten internationaler Medien wie CNN, BBC, „El Pais“ oder der „New York Times“ geht es am Freitagnachmittag aber vor allem um das erste Treffen von US-Präsident Donald Trump mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Über die schweren Ausschreitungen wird auf den Frontpages nur am Rande berichtet. Die deutsche Seite von „Russia Today“ dagegen titelt zeitweise: „Lage in Hamburg eskaliert. Polizei fordert Verstärkung aus allen Bundesländern.“ Der französische „Le Figaro“ berichtet etwas kleiner über Blockaden der G20-Gegner. Die Seite des italienischen „Corriere della Sera“ zeigt eine Fotostrecke einer bunt gekleideten Frau, die auf ein gepanzertes Polizeifahrzeug klettert und mit Pfefferspray beschossen wird, und deklarierte das Foto zum „Symbolbild des Protestes“. Dasselbe Foto zeigt auch die Seite des österreichischen „Standard“, die am Nachmittag über die Proteste und Ausschreitungen genau gleich groß berichtet wie über das Treffen der Staatschefs.

Khalid M. Al Owayed hat dagegen seinen ganz eigenen Schwerpunkt. Der TV-Reporter vom saudi-arabischen Sender SBC räumt ein, dass er vor allem die Rolle seines Landes auf dem Gipfel im Blick habe. „Für uns ist es sehr wichtig, dass wir bei G20 dabei sind“, sagt er freundlich und zählt den Handel mit Deutschland und anderen Industrienationen, das Ölgeschäft und den Tourismus auf. Er wolle genau verfolgen, ob die Gespräche zu Fortschritten bei den Konflikten in Syrien, Jemen oder im Irak führen – also in der Nachbarschaft Saudi-Arabiens. Von den schweren Ausschreitungen an diesem Tag hat er noch nicht viel mitbekommen, aber er weiß, dass 20.000 Polizisten und 28 Helikopter im Einsatz sind und beteuert, dass er auch über die Proteste berichten wolle.

Für Hisam Güney ist das sogar ein zentrales Anliegen. „Ich mag es, wenn die Leute protestieren, wenn sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen“, sagt der Reporter des türkischen Senders TRT. Bei den Gipfeln im türkischen Antalya und im chinesischen Hangzhou sei das ja nicht möglich gewesen. Allerdings kennt Güney die Randale-Bilder aus Hamburg noch nicht. Als wir ihm ein Video von brennenden Autos und Rauchsäulen über Altona zeigen, ist er geschockt und betont mehrfach: „Solche Proteste habe ich nicht gemeint. Wer etwas zu sagen hat, zündet keine Autos an.“

Dass einige Journalisten von den Geschehnissen in der Stadt lange nichts mitbekommen, könnte auch daran liegen, dass auf den Dutzenden Leinwänden im Medienzentrum davon keine Rede ist. Dort laufen die offiziellen Bilder von den Arbeitstreffen der Politiker, schöne Hamburg-Fotos und Infos über die G20-Länder.

Lust, die Stadt näher kennenzulernen, machen die Bilder natürlich nicht. Ohnehin haben die wenigsten internationalen Journalisten Zeit, sich in Hamburg umzuschauen. „Auf so einem Gipfel sieht man den Flughafen, das Taxi, sein Hotel und den Tagungsort“, sagt Sky-News-Reporter Dominic Waghorn etwas ernüchtert. „Schön und multikulturell“, finden Julia Tops und Min Yi Angela Hai die Stadt. Die Kanadierinnen wollen nach dem Gipfel noch ein paar Tage bleiben. „Dann gucken wir uns die Stadt in Ruhe an.“