Hamburg. Ein Tag mit den Turnierärzten Wolfgang Asendorf und Michael Köhler beim Deutschen Spring- und Dressurderby in Klein Flottbek.

Es ist dieser bohrende Blick, mit dem Wolfgang Asendorf die vorbeischreitenden Pferde innerhalb von Sekunden prüft, der manch einen Reiter irritiert. „Muss ich jetzt gar nicht zur Kontrolle?“, fragt Scheich Ali Bin Khalid Al-Thani aus Katar, der mit seinem Wallach First Devision gerade im Mercedes-Benz-Championat von Hamburg fehlerfrei durch den Parcours galoppiert ist. „Nein, alles in Ordnung“, sagt Asendorf und richtet seinen Scannerblick bereits auf das nächste Paar, das den Ausritt des Derbystadions passiert.

Wer das Vergnügen hat, den Veterinär aus Salzhausen in der Nordheide beim Pferdesportspektakel, das noch bis zum Sonntag auf dem Areal in Klein Flottbek ausgetragen wird, für einen Tag zu begleiten, der begegnet diesem Blick häufig. Der 57-Jährige, der beim Deutschen Spring- und Dressurderby vom Weltverband Fédération Equestre International (FEI) als Turniertierarzt eingesetzt ist, hat sich in seiner Praxis auf Kleintiere und Pferde spezialisiert. Und weil er seit mittlerweile 14 Jahren beim Hamburger Derby seinen Dienst verrichtet, weiß Asendorf längst, wo er hinschauen muss, um das zu tun, was für seine Zunft das oberste Gebot ist: das Wohl der Pferde zu gewährleisten.

Nur ein gesundes Pferd darf am Wettkampf teilnehmen

Vier Regelwerke lenken in Deutschland den Umgang mit Pferden im Leistungssport: das Tierschutzgesetz, die Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes, die Leitlinien Tierschutz im Pferdesport und die Leistungs-Prüfungs-Ordnung (LPO), in der auch die Antidoping- und Medikamenten-Kontrollregeln (ADMR) enthalten sind. Aus diesen vier Säulen lassen sich vier Grundregeln destillieren: Das Wohl des Pferdes steht über allen anderen Ansprüchen und Interessen; nur ein vollständig gesundes Pferd darf am Wettkampf teilnehmen; das Pferd ist im Wettkampf frei von verbotenen Substanzen; und die verantwortliche Person ist immer der Reiter oder Besitzer. Bei internationalen Turnieren wie in Hamburg gilt zwar das Regelwerk der FEI, aber auch die deutsche Gesetzgebung.

Die Tierärzte haben auch mobile Röntgen- und Ultraschallgeräte im Einsatz
Die Tierärzte haben auch mobile Röntgen- und Ultraschallgeräte im Einsatz © Andreas Laible | Andreas Laible

Um diesen Grundsätzen gerecht zu werden, braucht es Tierärzte. Asendorf arbeitet in Klein Flottbek seit 2006 im Team mit Michael Köhler. Der 55-Jährige, der im brandenburgischen Wusterhausen eine Pferdeklinik betreibt, ist in Hamburg in diesem Jahr der vom Veranstalter En Garde bestellte „Treating Vet“, der behandelnde Tierarzt. Während Asendorf als Regelhüter des Weltverbands eine neutrale, beobachtende Position einzunehmen hat, kommt Köhler zum Einsatz, wenn Pferde wegen Krankheiten oder Verletzungen behandelt werden müssen. Unterstützt werden beide von Katja Szunyog, die ebenfalls Tiermedizinerin ist und sich als Praktikantin einbringt. Zudem darf jeder Reiter einen eigenen Teamarzt benennen, der allerdings von der FEI zugelassen sein und jede Behandlung bei Asendorf vor der Durchführung ankündigen und genehmigen lassen muss. In Hamburg sind nur zwei davon im Einsatz.

Eine der Hauptaufgaben für die Turnierärzte ist der „Vet Check“. Jedes der knapp 500 gemeldeten Pferde muss vor seinem ersten Wettkampf zum Gesundheitstest vorgeführt werden. „Dabei kontrollieren wir vor allem das Laufbild, aber auch den Impfstatus und die Gesundheitspapiere“, sagt Asendorf. Die wichtigsten Informationen sind heute auf einem Mikrochip gespeichert, der an der linken Halsseite eingepflanzt werden muss, um gefunden werden zu können.

Zwei Minuten dauert die Gesundheitsprüfung

Besteht das Tier die rund zwei Minuten dauernde Gesundheitsprüfung, wird es als „fit to compete“ (bereit für den Wettkampf) eingestuft. „Ist das Laufbild aber nur durch ein leichtes Humpeln getrübt, kommt es in die Holding Box, wo es eingehend untersucht und behandelt wird. Schafft es dann die Re-Inspektion nicht, empfehlen wir einen Startverzicht“, sagt Asendorf. Anordnen kann ein Tierarzt diesen jedoch nicht, darüber entscheidet, sofern Reiter oder Besitzer uneinsichtig sind, der oberste Wettkampfrichter. Dessen Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Während der Hauptspringen sind die Tierärzte im Ein- und Ausrittbereich gefragt. Nicht nur, um bei akut auftretenden Verletzungen schnell eingreifen zu können, sondern auch, um Wettkampfkontrollen durchzuführen. Dabei wird zum Beispiel der korrekte Sitz der vier Bandagen geprüft, die die Beine der Pferde vor Stößen an die Stangen der Hindernisse oder durch die eigenen Hufe schützen. Während des Mercedes-Benz-Championats werden 19 zufällig ausgewählte Paare kontrolliert. „Dabei prüfen wir, ob die Bandagen das Maximalgewicht von 500 Gramm nicht überschreiten und dass nicht ein unerlaubtes Mittel aufgetragen wurde, das die Schmerzempfindlichkeit erhöht, um das Pferd zum noch höheren Springen zu zwingen“, sagt Köhler.

Unerlaubte Medikation ist etwas anderes als Doping

Womit das Gespräch bei einem Thema angelangt ist, das niemand gern anspricht, das aber spätestens seit dem Olympiaskandal von 2008, als in Hongkong Christian Ahlmann der Einsatz des unerlaubten Betäubungsmittels Capsaicin nachgewiesen worden war, in Deutschland sehr ernst genommen wird: Doping, das im Pferdesport eine Besonderheit aufweist. Da die Tiere naturgemäß ihre Beschwerden nicht artikulieren können, gilt für sie im Wettkampf die Null-Toleranz. Das heißt: Das Pferd muss zum Zeitpunkt des Wettkampfes frei von wirksamen Substanzen sein. Da jedoch die angegebenen Nachweiszeiten für im Training zur Behandlung erlaubte Mittel nicht immer zutreffen, gibt es den Tatbestand der unerlaubten Medikation, die im Vergleich zum Doping (zwei Jahre Sperre bei Erstvergehen im Regelfall) mit einem Monat bis einem Jahr Sperre milder gemaßregelt werden.

Da – siehe die eingangs erwähnte vierte Grundregel – nicht der behandelnde Arzt verantwortlich für ein Dopingvergehen ist, sondern der „Personal Res­ponsible“ genannte Reiter oder Besitzer, muss zwischen dem Veterinär und dem Athleten ein tiefes Vertrauensverhältnis herrschen. „Man muss sich aufeinander verlassen können, denn Fehlverhalten können schlimme Konsequenzen für alle Seiten, vor allem aber auch für die Pferde, haben“, sagt Köhler.

Rund 20 Pferde werden in Hamburg auf Doping geprüft

Für die Dopingkontrollen sind nicht die Turnierärzte zuständig, sondern ein vom Weltverband oder dem nationalen Verband FN beauftragter MCP-Veterinär (MCP: Medical Control Personnel). Dieser reist unangemeldet an und testet an einem Turnierwochenende wie dem in Hamburg geschätzt 20 Pferde.

Um diesen den für die Kontrolle nötigen Urin abzutrotzen, muss eine in Fachkreisen lapidar „Pipi-Aura“ genannte Atmosphäre geschaffen werden. Das nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Pferd – bei großen Championaten werden meist die ersten drei plus einige weitere Tiere getestet – wird ohne Umwege in eine der vier dafür bereitgestellten Boxen geführt. Diese sind mit Stroh ausgelegt. Das Tier wird von Sattel- und Zaumzeug befreit. Außer für den Kontrolleur und den vom Reiter oder Besitzer abgestellten Pfleger ist die Box Tabuzone. „Nur wenn sich das Tier vollkommen entspannen kann, kann es innerhalb der vorgegebenen Zeit pinkeln“, sagt Köhler.

Manchmal werden auch Urinproben ans Labor geschickt

Mindestens 30 Minuten muss der Kontrolleur warten, bevor er anstelle des Urins auch Blut entnehmen darf, in dem allerdings manche Wirkstoffe kürzer nachgewiesen werden können. Der Urin wird mittels eines an einem Stab befestigten Kelch, der schlicht Probensammler genannt wird, in einem sterilen Beutel aufgefangen und auf zwei Probenbecher verteilt, um eine A- und eine B-Probe zu ermöglichen. Diese werden versiegelt, mit einer verschlüsselten Nummer versehen und nach Beendigung der Wettkämpfe gesammelt an das Kölner Institut für Biochemie von Professor Wilhelm Schänzer verschickt.

Von den rund 1700 in 2016 im Einflussbereich der FN durchgeführten Medikationskontrollen waren weniger als ein Prozent positiv. „Die meisten davon, weil Reste von im Training erlaubten Medikamenten nachweisbar waren. Wir haben das Gefühl, dass in Deutschland viel sensibler mit dem Thema umgegangen wird als früher, und dass weniger betrogen wird“, sagt Asendorf.

Mobile Geräte, um schnell handeln zu können

Um im Notfall schnell und umfassend reagieren zu können, sind die Turnierärzte mit mobilen Röntgen- und Ul­traschallgeräten ausgestattet, die sie in ihren Privatautos lagern. Mittels eines elektronischen Detektors können die Aufnahmen binnen Sekunden auf den Rechner gefunkt werden. Ist die Blessur nicht vor Ort zu behandeln oder wird, beispielsweise wegen eines offenen Bruchs, gar ein Einschläfern nötig, wird das Tier in die Tierklinik Bargteheide gebracht – allerdings nur nach Rücksprache mit dem „Personal Responsible“. Um auf dem Derbyplatz von Blicken ungestört behandeln zu können, steht ein Anhänger mit Abdeckplanen bereit. „Die Parcourshelfer sind allesamt Pferdefachleute, die im Notfall wissen, wie sie reagieren müssen“, sagt Asendorf.

Zum Glück hat es in seiner Amtszeit einen solchen Fall noch nicht gegeben. Meist müssen die beiden Veterinäre Platzwunden versorgen, die sich die Pferde mit ihren Hufeisen oder Stollen selbst zufügen. „Die schlimmste Verletzung, die wir erlebt haben, war bei einem Pferd von Felix Hassmann, das nach dem Derby beim Aufladen auf den Hänger ins Rutschen kam und sich eine Arterie aufgerissen hat. Aber das haben wir schnell nähen können“, sagt Asendorf.

Seinen Arbeitstag, der stets eine halbe Stunde vor dem Start des ersten Wettkampfes beginnt, beschließt der leidenschaftliche Kutschensportler, der als Parcoursbauer weltweit eingesetzt wird, mit einem Rundgang durch die zwei Stallungen mit ihren 490 Boxen. Dann wird ein letztes Mal der Scannerblick eingesetzt. Zum Wohle des Pferdes – und um mit einem guten Gefühl in den Feierabend zu gehen.