Das Abendblatt lud große und kleine Brauer zum Gipfel. Ein Gespräch über die Hamburger Bierkultur, Rivalitäten in der Branche und über die Frage, welches Bier am besten zum Fußball passt

Matthias Iken

Hamburg galt im Mittelalter als das „Brauhaus der Hanse“, doch in den vergangenen Jahrzehnten blieb von einstmals vielen Brauereien nur Holsten übrig. Doch seit einiger Zeit bewegt sich wieder etwas in der Stadt. Ratsherrn hat sich angesiedelt, spezielle Bierkneipen haben eröffnet und verschiedene Craft-Bier-Brauer, die sich als Handwerker verstehen, haben sich an Alster, Elbe und Bille niedergelassen. Zum Bier-Gipfel beim Abendblatt trafen sich Lars Großkurth, Gründer von Hopper Bräu, Volker Schnocks von Ratsherrn, Sebastian Holtz, CEO bei Carlsberg/Holsten und Michael Scherer, Geschäftsführer des Brauereiverbands Nord.

Es ist schon erstaunlich, dass wir die kleinen, unabhängigen Brauer und den Chef eines großen Bierkonzerns an einen Tisch bekommen haben. Eigentlich sind Sie sich doch spinnefeind und bekämpfen einander ...

Sebastian Holtz: Nein, so schlimm ist das nicht. Uns vereint alle ein schönes Produkt.

Lars Großkurth: Bier verbindet.

Mal Hand aufs Herz, Herr Großkurth, trinken Sie Holsten oder Astra? Das widerspricht doch komplett Ihrer Philosophie des handwerklichen Bierbrauens.

Großkurth: Wenn ich zum HSV gehe, dann ärgere ich mich immer, dass ich da kein Holsten bekomme, weil ich beim Fußballgucken gern ein Bier aus Hamburg trinken würde. Unser Hopper Bräu wäre aber auch nicht schlecht.

Volker Schnocks: Bei einem St.-Pauli-Heimspiel greife ich natürlich zu einem Astra. Das gehört einfach dazu, auch als Vertreter von Ratsherrn. Ich bin ein Fan von Biervielfalt – das verbindet uns alle hier.

Michael Scherer: Deshalb haben wir auch keine Berührungsängste – wir stehen ja gemeinsam für Regionalität, Geschmacks- und Biervielfalt.

Und Sie, Herr Holtz, gehen Sie auch mal fremd und probieren die kleineren Biermarken aus?

Holtz: Klar, auch ich probiere gerne andere Biere aus. Es ist ja ohnehin die Frage, wo die Grenze zum Craft-Bier beginnt. In der Carlsberg Gruppe vertreiben wir viele Bierspezialitäten, wie etwa die der Brooklyn-Brewery. Das ist die Nummer 1 unter den amerikanischen Craft-Bier-Brauern.

Großkurth: Letztlich bedienen wir unterschiedliche Marktsegmente. Bei Hopper Bräu experimentieren wir viel mit neuen, aromatischen Hopfensorten, die dem Bier einen besonderen Duft und Geschmack verleihen. Da stecken die Leute erst mal ihre Nase ins Glas, bevor sie trinken. Das ist wie bei einer Weinverkostung.

Holtz: Beim St.-Pauli-Spiel will keiner an seinem Bier riechen. Da will ich die Mannschaft sehen und nebenbei etwas trinken.

Abendblatt: Schon zur Beruhigung der Nerven ...

Holtz: Das haben Sie jetzt gesagt.

Insgesamt geht der Bierkonsum in Deutschland zurück. Im vergangenen Jahr ist es der Branche mit Ach und Krach gelungen, den Absatz des Vorjahres zu erreichen. Können die neuen, kleinen Brauereien diesen Trend umkehren?

Michael Scherer: Ich finde es großartig, dass in Hamburg so viele neue Brauereien in den vergangenen Jahren hinzugekommen sind. Die Hansestadt verträgt noch deutlich mehr, zwei bis drei stehen gerade in den Startlöchern, die noch ein Grundstück finden müssen. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Insgesamt erreicht Craft-Bier in Deutschland gerade mal einen Marktanteil von einem Prozent. Das ist ein medialer Scheinriese.

Großkurth: In den USA ist es aber sehr wohl gelungen, den Markt mit Hilfe der Craft-Bier-Brauer zu stabilisieren. Dort liegt deren Anteil bei rund 20 Prozent.

Schnocks: Es geschieht etwas im Markt. In unserem Brauhaus „Altes Mädchen“ gelingt es uns beispielsweise, deutlich mehr Frauen mit unseren Spezialitäten anzusprechen. Bier ist sexy, das müssen wir mehr herausstellen, Bier ist ein Genussprodukt. Wir stehen am Anfang einer Entwicklung, die wir beim Wein gesehen haben. In der deutschen Bierkultur gibt es aber noch erheblichen Nachholbedarf im Vergleich zu anderen Ländern. Was wir brauchen, ist mehr Vielfalt.

Großkurth: Wir müssen weg von der Bier-Monokultur, das gilt insbesondere für die Gastronomie. Es ist doch ein völlig veraltetes Konzept, dass in einer Kneipe nur ein einziges Bier gezapft wird.

Holtz: Für größere Betriebe mag das richtig sein. Es macht aber keinen Sinn, in einer kleinen Kiezkneipe bis zu zehn Biere auszuschenken. Das muss auch passen.

Ist der Onlinehandel ein Weg für kleine Brauereien, um sich zusätzliche Absatzwege zu erschließen?

Großkurth: Für uns ist das Internet ein wichtiges Standbein. Wenn etwa Touristen eine Führung durch unsere Brauerei machen, bestellen sie im Nachhinein gern noch mal das eine oder andere Bier.

Schnocks: Uns bietet der Onlinehandel die Möglichkeit, Ratsherrn in ganz Deutschland zu verkaufen, auch wenn wir etwa in Bayern kein Vertriebsnetz haben.

Scherer: Die Brauereien haben das Thema Online bislang weitgehend verschlafen, das muss man schon zugeben. Die Winzer sind da beispielsweise viel weiter.

Holtz: Die Zurückhaltung hat aber auch mit gewissen praktischen Pro­blemen zu tun. Wenn ich ein Bier bei einem großen Onlinekonzern ordere, wie bekomme ich dann beispielsweise mein Pfand zurück? Kann ich Mehrwegflaschen bei der Lieferung durch Amazon auch wieder zurückgeben? Was ist mit Einwegpfand auf Dosen …?

Zurück nach Hamburg. Die Stadt hat eine große Biervergangenheit, galt mal als „Brauhaus der Hanse“. Warum macht Hamburg eigentlich nicht mehr aus diesem Erbe?

Scherer: Ich würde es begrüßen, wenn die Stadt mehr für die eigenen Brauer tun würde. Immerhin fließen durch die Biersteuer jährlich rund zehn Millionen Euro in den Hamburger Haushalt. Da könnte man die in der Stadt ansässigen Unternehmen und Marken besser unterstützen – insbesondere im touristischen Bereich. Warum nicht im Rathaus oder auf den Schiffen der Alsterflotte ein Bier aus der Hansestadt anbieten? Wenn das Segelfrachtschiff „Peking“ als Museumsschiff an die Elbe zurückkehrt, sollte es an Bord ebenfalls ein Hamburger Bier geben. Die große Hamburger Biergeschichte müssen wir mit Leben füllen.

Schnocks: Es würde schon helfen, wenn man wenigstens informiert würde, wenn entsprechende Aufträge ausgeschrieben werden.

Großkurth: Ein guter Teil des Reichtums dieser Stadt fußt auf Bier. Dessen sollte sich die Stadt bewusst sein. Ich fände es gut, wenn Gewerbeflächen speziell für Brauereien zur Verfügung gestellt würden. Es ist schon sehr schwierig, die passende Fläche für einen neuen Betrieb zu finden.

Herr Großkurth, Sie haben im vergangenen Jahr eine eigene Brauerei in Bahrenfeld aufgebaut. Sind Ihnen dabei vonseiten der Verwaltung Steine in den Weg gelegt worden?

Großkurth: Nein, wir sind gut begleitet worden. Natürlich müssen wir uns bei der Produktion an Emissionsrichtlinien und andere Vorschriften halten. Das ist aber ganz normal.

Holtz: Im Zuge der geplanten Verlagerung der Holsten-Brauerei von Altona nach Hausbruch haben wir uns sehr viele Standorte angesehen. Dabei sind wir ebenfalls gut unterstützt worden. Wir hatten in jedem Moment das Gefühl, dass im Rathaus Leute sitzen, denen wirklich etwas daran liegt, dass Holsten und Astra in Hamburg bleiben.

Der Umzug von Altona nach Hausbruch ist nun aber nicht unbedingt ein Zeichen für Ihr Vertrauen in die Zukunft des deutschen Bierkonsums. Immerhin werden die Kapazitäten in der neuen Holsten-Brauerei deutlich geringer ausfallen als am alten Standort.

Holtz: Die Verringerung unserer Kapazitäten hat vor allem damit zu tun, dass wir uns in Hamburg von der Abfüllung in PET-Flaschen verabschieden. An dem jährlichen Bierausstoß wird sich kaum etwas ändern.

Wird denn überhaupt noch etwas von Holsten in Altona bleiben?

Holtz: Unsere Micro-Brauerei, die Holsten Brauwelt, wird voraussichtlich auf dem Gelände bleiben und in den Holsten-Turm ziehen. Wir wollen das Bierbrauen anfassbar machen und auch mit einem Gastronomie-Angebot kombinieren.

Das wäre doch eigentlich auch ein idealer Standort für ein Hamburger Biermuseum.

Holtz: Grundsätzlich sind wir für Gespräche offen.

Schnocks:Bei Ratsherrn haben wir bereits eine kleine Ausstellung zur Hamburger Braugeschichte, die auf großes Interesse stößt. Gerade die jungen Leute sind immer baff, wenn sie sehen, wie groß die Bedeutung der Stadt in dieser Hinsicht war. Aus meiner Sicht ist Hamburgs Biererbe ein Gemeinschaftsprojekt – ein faszinierendes, museales Thema für die Stadt.