In der FDP war der Schleswig-Holsteiner Wolfgang Kubicki lange mehr gelitten denn geliebt. Inzwischen ist er neben Parteichef Christian Lindner das Gesicht des liberalen Wiederaufstiegs. Und trifft im Norden auf viel Zustimmung.

Wolfgang Kubicki ist ein Medienereignis, zumindest in der kleinen Gemeinde Gettorf im Nirgendwo zwischen Kiel und Eckernförde. Auf dem Wochenmarkt hat sich der Spitzenkandidat der FDP angekündigt. Links verkauft ein Schlachter Putenwurst und Biogeflügel, daneben gibt es sechs Eier für einen Euro, gegenüber bietet Kalinka Lecker-Bäcker Brötchen feil, und auf der anderen Seite lockt der Kaffeewagen. Sie alle aber sind nicht der Grund, warum sich mehrere Zeitungsredakteure, Hörfunkjournalisten und diverse Kamerateams um einen Strandkorb scharen und murrenden Marktbesuchern den Durchgang versperren. Die FDP zieht wieder.

Hier in Schleswig-Holstein steht der erste Satz für den liberalen Dreisprung auf dem Programm. Am 7. Mai wird im Norden gewählt und kaum ein Beobachter zweifelt daran, dass es die FDP locker in den Kieler Landtag schafft. Meinungsforscher taxieren die FDP stabil auf neun Prozent, Kubickis Ziele sind noch etwas ambitionierter. „Wir wollen zweistellig werden — und die drittstärkste Partei im Landtag.“ Eine Woche später will Christian Lindner den nächsten Erfolg für die FDP in Nordrhein-Westfalen einfahren, und dann soll es auch im September bei der Bundestagswahl mit dem Sprung über die Fünfprozenthürde klappen. Für die nach dem Aus 2013 schon totgesagte Partei ist der Zeitplan 2017 perfekt: Die beiden wohl stärksten und bekanntesten liberalen Spitzenpolitiker könnten die Partei zurück in die Erfolgsspur bringen.

Wolfgang Kubicki genießt das Interesse der Medien, das Blitzlicht der Kameras. Sonnengebräunt steht er in der Kälte des nicht enden wollenden norddeutschen Winters. Er war ein paar Tage auf Mallorca, sein Umfeld betont hingegen, er sei „mandatsbedingt im Ausland“ gewesen. In der Partei, die sich „Vorankommen durch eigene Leistung“ auf die Fahnen geschrieben hat, ist Urlaub noch immer verpönt.

Kubicki ist so bekannt wie der Ministerpräsident

Dabei muss Kubicki im Norden keine Klinken mehr putzen – seine Bekanntheit ist überragend, zwischenzeitlich lag er sogar vor Landesvater Torsten Albig. 92 Prozent der Schleswig-Holsteiner kennen den FDP-Politiker, der seit 1992 im Landtag in Kiel sitzt. 2009 katapultierte er die FDP im Norden auf 14,9 Prozent und in die Regierung – selbst bei den Neuwahlen 2012, als viele schon die Totenglocken für die Liberalen läuteten und Kubicki schimpfte, die FDP habe „als Marke verschissen“, kam die Partei auf 8,2 Prozent der Zweitstimmen. Die FDP im Norden ist Wolfgang Kubicki.

Nun steht er auf dem Wochenmarkt und verteilt gelbe Rosen. „Darf ich Ihnen ein Röschen geben?“, bezirzt er Passanten und verwickelt sie in Gespräche. Eine ältere Dame wünscht ihm viel Glück; das reicht Kubicki nicht: „Nicht nur Daumen drücken, auch wählen.“ Selbst der Barista Florian Grabowski, der nicht eben wie ein klassischer FDP-Wähler aussieht, dürstet nach einem Selfie mit dem 65-Jährigen vor seinem Kaffeewagen. „Ich hoffe, dass die FDP die fünf Prozent knackt, mit Kubicki ist es einfach lustiger und bunter im Landtag.“ Dabei kokettiert Kubicki damit, nach einem Bundestagseinzug einen Platz in Berlin einzunehmen.

Die Themen der Wähler auf dem Marktplatz im beschaulichen Gettorf decken sich passgenau mit denen der Demoskopen. Es geht um Kita-Gebühren, den umstrittenen Ausbau der Windenergie und die Infrastruktur. Und auch die unfreiwillig komischen Wahlbenachrichtigungen in Leichter Sprache sind hier ein Ärgernis. Eine ältere Dame beschwert sich über den sprachlichen Unsinn der „Land-Tags-Wahl“ und bekommt Unterstützung vom Liberalen. „Es ist schon verrückt – die Benachrichtigungen sind in falschem Deutsch, aber die Aufrufe für Einwanderer in richtigem Russisch und richtigem Türkisch“, lästert Kubicki. „Solche Dinge untergraben das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit unserer Verwaltung.“ Und setzt ein ironisches Aperçu: „Schleswig-Holstein ist eben Bildungsland Nummer eins.“ Im Abendblatt-Interview rechnete er unlängst schon mit der Wirtschaftsschwäche ab: „Schleswig-Holstein ist noch das beste ostdeutsche Bundesland, wir werden aber bald von Sachsen überholt.“

Seine Rhetorik ist scharf, seine Selbstbewusstsein weit wie der norddeutsche Horizont. In jedem Interview, in jeder Landtagsdebatte schießt er Spitzen in Richtung des Ministerpräsidenten, von dem er nicht sonderlich viel hält. „Wer Albig hört, lernt Stegner schätzen“, sagt er über den Parteilinken der SPD, den er gleichwohl als Intellektuellen achtet. „Ministerpräsident Torsten Albig ist von sich selbst immer so ergriffen in seinen Beiträgen, dass ich dann denke: Der fängt gleich an zu weinen, wenn er anderen erklären will, was für ein toller Mensch er ist“, ätzte er einmal. Und einen Regierungswechsel in Kiel strebt er allein deshalb an, „weil ich die unsäglichen Reden des Ministerpräsidenten nicht mehr hören kann“. Albig nennt Kubicki deshalb gern eine „Ein-Mann-Inszenierung“.

Ganz falsch ist das nicht, aber zumindest in Gettorf mögen die Menschen die One-Man-Show. Wie bestellt läuft eine junge Mutter mit zwei Kindern auf Kubicki zu. Die beiden Jungs quaken aufgeregt, „Mama, wir kommen ins Fernsehen“, sie aber will sich bei Kubicki bedanken. Alexandra Bruns ist Sprecherin der „Bürgerinitiative zum Erhalt der Geburtshilfe und zur Wiedereröffnung der Kinderstation“.

In Eckernförde stehen die Geburtshilfe und die Kinderstation auf der Kippe – mit fadenscheinigen Korruptionsvorwürfen gegen die Hebammen und Belegärzte. „Die Vorwürfe waren Quatsch“, sagt Kubicki. Er half den Hebammen vor Ort mit einem Abgeordneten-Gutachten. „Man kann aus ökonomischen Gründen Abteilungen schließen, aber man darf doch nicht die Beteiligten kriminalisieren.“ Der Druck im Gesundheitswesen bedroht die kleineren Kliniken in einem Flächenstaat wie Schleswig-Holstein. Aber Menschen wie Bruns wollen ihre Heimat nicht weiter ausbluten lassen, sondern eine flächendeckende Versorgung erhalten. „Ich habe beim letzten Mal die SPD gewählt, das passiert mir nicht wieder“, schimpft sie.

Kubicki hört’s gerne. Eine der zen­tralen FDP-Forderungen lautet „bezahlbare und bürgernahe Spitzenmedizin“. Das Gesicht der Partei präsentiert sich deutlich sozialer als in früheren Wahlkämpfen. „Möbelhäuser betreuen Kinder kostenlos. Warum wir nicht?“ heißt es auf Plakaten. Andere Slogans sind frech bis zur Arroganz „Wollen reicht nicht. Man muss es auch können.“

Dass er sich das Können zutraut, ist unübersehbar und unüberhörbar, der erfolgreiche Rechtsanwalt atmet es ein, schwitzt es aus. Und seine Partei, die in früheren Jahren auf Bundesebene immer wieder an dem selbstbewussten wie eigensinnigen Politiker (ver)zweifelte, glaubt es heute auch. Dabei gab es Zeiten, da galten Wolfgang Kubicki und sein enger Freund Jürgen W. Möllemann als „Duo Infernale“ der FDP, der „Spiegel“ nannte die beiden „zwei liberale Skandalnudeln“, von denen „jeder für sich als Prototyp des unseriösen Politikers gilt“. Das war 1996 – zwei Jahrzehnte später ist Kubicki vom „Quartals-Irren“ zum Hoffnungsträger avanciert.

Zu greifen ist diese Hoffnung in Strande unweit von Kiel. Hier feiert die FDP ihren 20. Geburtstag mit einem großzügigen Jubiläumsempfang. Es gibt schon zum Mittag Grenache und Grauburgunder, Prosecco und Scampi, Bru­schetta und Pannacotta. Eine Speisekarte, die zu einer „Partei der Besserverdiener“ passt. Strande ist ein ganzer Ort der Besserverdiener: Malerisch schmiegt er sich auf der Halbinsel Dänischer Wohld an die Ostsee, beste Restaurants reihen sich aneinander wie an einer Perlenkette. Bei der letzten Kommunalwahl 2013 hat die FDP 27,1 Prozent abgeräumt.

Hochstimmung in der Hochburg

Gefeiert wird im Strandhotel, auch der Landesvorsitzende Heiner Garg erscheint zur Feierstunde: „Selbstverständlich erwarte ich auch am 7. Mai ein herausragendes Ergebnis in Strande. Das ist eben ein ganz besonderer Ortsverein“, flachst Garg. Geführt wird die FDP Strande von Annette Marberth-Kubicki, der dritten Ehefrau des Spitzenkandidaten. Sie gehört zu den Gründerinnen des Ortsvereins. „Wölfi“ Kubicki erzählt, er habe damals versprochen, sie zu heiraten, wenn sie einen Ortsverein gründet.

Seine rhetorisch versierte Gattin hat eine andere Version der Geschichte auf Lager, sie habe mit der Ortsvereinsgründung ein Versprechen eingelöst. Voraussetzung sei gewesen, dass er wieder Fraktionschef der FDP im Landtag werde. 1996 übernahm er das Amt. In der Ecke steht ein altes Plakat mit dem Konterfei von Marberth-Kubicki und einer Mitstreiterin aus dieser Zeit, ein Parteifreund ulkt: „Das ist nicht Modern Talking, die sehen nur so aus.“

Der Ortsverein Strande erinnert eher an einen Rotary Club als an eine Partei, man kennt sich, man versteht sich, man engagiert sich: Die FDP veranstaltet jedes Jahr ein Charity-Segeln um die Blau-Gelbe Kanne zugunsten von Flüchtlingen oder Sportlern im Ort. Die harten Zeiten wähnen die Liberalen hinter sich. „Wir haben viel Häme erfahren. Aber da galt der Satz: Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen“, sagt Marberth-Kubicki, in Strande die „Königin“ genannt. Irgendwann darf auch ihr Mann, „der Chef“, noch zwölf Minuten reden – dann kommt das fliegende Büfett, das nicht warten darf. „Wer den Anweisungen der Königin nicht folgt, wird aus dem Reich verbannt“, scherzt Ku­bicki. Und er schlägt rasch ein paar inhaltliche Pflöcke ein: Die Kita-Beiträge, so Kubicki, gehörten gedeckelt und abgeschafft, die Grunderwerbssteuer müsse bei Verkaufspreisen bis 500.000 Euro fallen: „Wohnungseigentum zu erwerben ist das beste Mittel gegen Altersarmut“, sagt Kubicki. Und es könne nicht angehen, dass Anlieger Unsummen für die Reparatur der Straßen zahlen müssten, die die Kommunen über Jahrzehnte haben verrotten lassen. Mit Schüttelreimen lässt Kubicki sich feiern. „Gelb ist das Feld, wenn der Raps draufsteht. Grün wird es, wenn das Schaf drüber­geht“. Oder: „Gelb ist die Sonne, wenn sie am Himmel steht, rot wird sie erst, wenn sie untergeht.“

Wolfgang Kubicki träumt von Jamaika an der Förde

Zumindest in Strande will man heute lieber klönen als Wahlkampfreden lauschen. Das Selbstbewusstsein der FDP ist zurück, die Stimmung prächtig. Eine Regierungsbeteiligung ist nicht unwahrscheinlich, die einstmals „großen Volksparteien“ dürften nach der Wahl am 7. Mai einen dritten Partner benötigen. Kubicki sieht die SPD und die CDU mit Spitzenkandidat Daniel Günther gleichauf. Zwar ist Kubicki inhaltlich einer Ampel nicht abgeneigt, ein Bündnis mit Albig gilt aber als unwahrscheinlich. Kürzlich verglich der FDP-Spitzenmann die Politik im Norden mit einem Schachspiel: „König wäre hier Stegner und die Dame wahrscheinlich Robert Habeck“, verriet er den „Kieler Nachrichten“. „Albig wäre nur ein Turm. Wenn der rausfliegt, ist es zu verschmerzen.“ Also doch eher Schwarz-Gelb-Grün? „Jamaika wird realistisch, wenn die FDP vor der Grünen landet. Andersherum ist es kaum denkbar.“. Auch deshalb drängt Kubicki am 7. Mai aufs Treppchen.

Kubicki erzählt später beim Glas Wein, dass ihn die Resonanz überwältige, die er im Wahlkampf erlebe. „Das habe ich in 46 Jahren Parteizugehörigkeit nur ein einziges Mal erlebt – kurz nach der deutschen Einheit. Egal wo ich hinkomme, überall spüre ich eine große Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit.“ Siegesgewissheit auch die Basis. Olaf Rosenbaum, der Schatzmeister der FDP in Strande, sagt: „Die Partei, die aus dem Bundestag geflogen ist, gibt es nicht mehr. Das ist eine neue FDP.“