Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel im großen Morgenpost-Interview über die Terrorgefahr, Donald Trump und eine Entlastung der Bürger

Syrien-Krise, Terrorgefahr, der Atomstreit mit Nordkorea – und gleichzeitig geht das Super-Wahljahr in seine heiße Phase. Der Alltag von Kanzlerin Angela Merkel ist in diesen Tagen weit von Routine entfernt. Unsere Berliner Redaktion traf die CDU-Vorsitzende – kurz vor dem Anschlag in Dortmund – im Kanzleramt zum Interview.

Stockholm, St. Petersburg, London, auch Berlin – immer mehr Metropolen werden zum Ziel islamistischer Angriffe, und die Terroristen schlagen in immer kürzeren Abständen zu. Müssen sich die Bürger mit dem Terror abfinden?

Angela Merkel: Abfinden werden wir uns mit Terror nie. Wir wissen, dass wir wie viele andere Länder bedroht sind, und tun alles in unserer Macht Stehende, um für die Bürger Sicherheit in Freiheit zu gewährleisten – auch in enger Abstimmung zwischen Bund und Ländern. Wir haben den Sicherheitsbehörden mehr Personal und weitere Sachmittel gegeben und wo nötig passen wir auch die Gesetze an.

Verfügen die Sicherheitsbehörden inzwischen über die notwendigen Instrumente gegen den Terrorismus?

Dafür haben wir in der großen Koalition eine Menge beschlossen. Allerdings haben wir leider noch ein sehr unterschiedliches Niveau von Gesetzen in den einzelnen Bundesländern.

Worauf wollen Sie hinaus?

Die Bundesländer sollten daran arbeiten, ein gleiches Sicherheitsniveau zu erreichen, denn Nordrhein-Westfalen zum Beispiel praktiziert bedauerlicherweise keine Schleierfahndung. Es wäre sehr sinnvoll, diese verdachtsunabhängigen Personenkontrollen in allen Bundesländern durchzuführen. Auch präventivpolizeiliche Überwachungsmaßnahmen, die beispielsweise bei der Beobachtung von Gefährdern wichtig sind, sind zwar in Bayern, nicht aber in Berlin und NRW gestattet.

Die Muster der Anschläge in Berlin und in Stockholm ähneln sich. Sie wurden mit Lastwagen verübt – von Asylbewerbern, die abgeschoben werden sollten. Welche Versäumnisse der Behörden sehen Sie?

Es ist gut, dass sich der Untersuchungsausschuss im nordrhein-westfälischen Landtag ausführlich mit allen Fragen befasst, die Sie ansprechen und die auch den Attentäter von Berlin, Anis Amri, betreffen. Sie berühren auch die drängende Frage, wie der Anschlag von Berlin hätte verhindert werden können. Hierzu hat auch der Generalbundesanwalt im Untersuchungsausschuss Position bezogen.

Viele Menschen sind davon überzeugt, dass der Flüchtlingszustrom unser Land unsicherer gemacht hat. Bestreiten Sie das rundheraus?

Es steht außer Frage, dass unter den so vielen Menschen, die in unserem Land Zuflucht gesucht haben, auch Personen waren, die in den Fokus der Sicherheitsbehörden geraten sind. Deshalb sind wir es den vielen unbescholtenen Flüchtlingen wie uns allen schuldig, mit aller Konsequenz gegen diejenigen vorzugehen, die unsere Bereitschaft, zu helfen, so widerwärtig missbrauchen. Zugleich sollten wir nicht vergessen, dass unser Land schon im Visier des islamistischen Terrorismus war, bevor die vielen Flüchtlinge zu uns gekommen sind.

US-Präsident Trump sagt, er wolle den radikalislamischen Terror „ausradieren“. Was stellen Sie sich darunter vor?

Der Terrorismus ist ein weltweites Phänomen, das wir nur erfolgreich bekämpfen können, wenn wir international zusammenarbeiten, gemeinsam mit allen Partnern, auch den Vereinigten Staaten von Amerika, in der Koalition gegen den IS. Es ist notwendig, in dieser Koalition militärisch gegen den IS vorzugehen, wie es ja im Irak und in Syrien geschieht, aber es ist genauso notwendig zu sehen, dass wir nur mit politischen Lösungen nachhaltigen Frieden für diese Länder erreichen werden.

Reichen die Kapazitäten der Bundeswehr, um sich intensiver am Kampf gegen den Terror zu beteiligen?

Wir leisten an verschiedenen Stellen unseren Beitrag. Eine Ausweitung dieses Beitrags steht nicht zur Debatte.

Teilen Sie den Eindruck mancher Bürger, dass die Welt gefährlicher geworden ist, seit Trump regiert?

Nein.

Das amerikanische Vorgehen in Syrien und die Drohkulisse der USA gegenüber Nordkorea bergen die Gefahr eines globalen Konflikts ...

In Syrien haben wir es mit einem fürchterlichen Bürgerkrieg zu tun. Der Einsatz von Chemiewaffen ist ein weltweit geächtetes Kriegsverbrechen. Syrien war eigentlich einmal der Chemiewaffenkonvention beigetreten. Dessen ungeachtet wurde das syrische Volk in der vergangenen Woche Opfer von Giftgas, und zwar nicht das erste Mal. Nach der nachvollziehbaren Reaktion der USA darauf muss nun alles unternommen werden, um unter dem Dach der Vereinten Nationen und gemeinsam mit Russland eine politische Lösung für Syrien zu finden. Das Regime in Nordkorea verstößt permanent gegen UN-Resolutionen. Die Welt hat ein Interesse daran, zu verhindern, dass Nordkorea sich nuklear bewaffnet.

Wäre ein militärischer Alleingang der USA gegen Nordkorea für Sie ebenfalls nachvollziehbar?

Ich setze nicht auf militärische Mittel, sondern darauf, dass von verschiedenen Seiten starker politischer Druck auf Nordkorea ausgeübt wird. Wenn China und die Vereinigten Staaten das gemeinsam tun, wird das nicht ohne Wirkung bleiben.

Präsident Trump will den syrischen Diktator Assad loswerden. Unterstützen Sie ihn dabei?

Wir sind uns mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern einig, dass ein politischer Übergang organisiert werden muss, an dessen Ende Assad nicht mehr im Amt sein kann.

Sie haben Donald Trump inzwischen persönlich kennengelernt. Welchen Eindruck haben Sie gewonnen?

Ich vertrete in all meinen Gesprächen und so auch mit dem amerikanischen Präsidenten als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland die Interessen unseres Landes. Zu diesen Interessen gehören gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Wir sind Partner in der Nato und wirtschaftlich eng verbunden. Ich hatte in Washington und auch seitdem am Telefon gute Gespräche mit Präsident Trump. Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass wir in einigen Punkten, auch in wichtigen Fragen, unterschiedlicher Meinung sind.

Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl scheint es möglich, dass Sie abgewählt werden. Können Sie den Schulz-Effekt in den Umfragen einfach aussitzen?

Ich werbe, seit ich Bundeskanzlerin bin, bei jeder Wahl um jede Stimme. Dabei habe ich stets alle meine SPD-Herausforderer ernst genommen und so halte ich es auch diesmal.

Die SPD und ihr Kanzlerkandidat setzen auf einen Wahlkampf um Gerechtigkeit. Was sagen Sie den alleinerziehenden Müttern, Leiharbeitern und Hartz-IV-Beziehern, die Deutschland als ungerecht empfinden?

Die entscheidende Frage im Wahlkampf wird sein, wem die Menschen zutrauen, die Zukunft zu gestalten. Wir als CDU sind überzeugte Anhänger der sozialen Marktwirtschaft, bei der es gleichermaßen um wirtschaftliche Stärke wie um soziale Gerechtigkeit geht. Wir haben in dieser Wahlperiode gerade im sozialen Bereich vieles verbessert – etwa die gerechtere Behandlung von Müttern in der Rente, die Bafög-Erhöhung oder Verbesserungen in der Pflege, um nur einige spürbare Fortschritte zu nennen. Im nächsten Regierungsprogramm der CDU wollen wir unter anderem Schwerpunkte für junge Familien und für noch bessere Bildungschancen von Kindern setzen.

Geht das konkreter?

Wir werden die Kosten in den Blick nehmen, die Eltern für Bildung haben. Außerdem sollen es Familien leichter haben, zu Wohneigentum zu kommen. Dabei geht es zum einen um finanzielle Entlastung, zum anderen wollen wir das Planungsrecht beschleunigen, damit Familien schneller Baugenehmigungen bekommen.

Sie könnten auch Steuern und Abgaben spürbar senken.

Die Steuereinnahmen sind gestiegen und haben den Spielraum für Entlastungen erhöht. Wir fassen begrenzte Steuersenkungen für kleinere und mittlere Einkommen in Höhe von 15 Milliarden Euro ins Auge. Davon sollen diejenigen profitieren, die jeden Tag hart arbeiten und vielleicht noch Überstunden machen. Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent wird heute sehr schnell erreicht.

Sie unterstützen demnach die Pläne von Finanzminister Schäuble, die auf breite Kritik gestoßen sind.

Ich stehe zu hundert Prozent hinter dem Steuerkonzept von Wolfgang Schäuble.

Was ist mit dem Solidaritätszuschlag für den Aufbau Ost? Wollen Sie ihn so lange erheben, bis das Bundesverfassungsgericht einschreitet?

Wir werden nach dem Ende des Solidarpakts 2020 den Solidaritätszuschlag stufenweise abbauen, wie wir das schon seit Langem angekündigt haben.

Strukturschwache Regionen gibt es nicht nur in Ostdeutschland. Wie stellen Sie sich eine gerechte Förderung vor?

Der Osten hat nach wie vor strukturelle Nachteile, zum Beispiel ist dort nur ein sehr kleiner Teil der größten deutschen Unternehmen angesiedelt. Nach Ende des Solidarpakts 2020 streben wir ein integriertes Fördersystem an, um strukturschwachen Regionen in ganz Deutschland zu helfen. Finanzminister Schäuble hat ein Sondervermögen des Bundes zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro aufgelegt. Diese Mittel werden Kommunen vor allem in Nordrhein-Westfalen zugutekommen. Ein zweites Programm, das ebenfalls 3,5 Milliarden Euro umfasst, wird folgen. Auch dabei wird NRW ganz besonders berücksichtigt.