Hamburg. Der Hamburger Unternehmer habe den Einsatz von KZ-Häftlingen „moralisch mitverantwortet“, sagt eine Kommission – und schlägt vor, eine nach ihm benannte Chaussee in Bergedorf umzubenennen

Eine Straße umzubenennen, die den Namen eines Hamburger Ehrenbürgers trägt, ist heikel – vorsichtig gesagt. Man darf annehmen, dass es auch deshalb „lange und teilweise recht kontroverse Diskussionen“ in der fünfköpfigen Kommission gab, die ein Jahr lang im Auftrag der Bergedorfer Bezirksversammlung die NS-Vergangenheit von zehn Namensgebern für Straßen untersucht hat – darunter der 1992 verstorbene Unternehmer und große Stifter Kurt A. Körber.

Nun liegt eine Empfehlung auf dem Tisch, die „von der gesamten Kommission getragen“ wird: Eine Umbenennung der Kurt-A.-Körber-Chaussee in Bergedorf sei „angeraten“, wenn auch nicht zwingend erforderlich, schreiben Alyn Beßmann (KZ-Gedenkstätte Neuengamme), Prof. Torkild Hinrichsen (Beirat der Bergedorfer Museumslandschaft), Bernd Reinert (Staatsrat a. D.), Geerd Dahms (Vorsitzender der Geschichtswerkstätten Hamburg) und Christian Römmer (Leiter des Kultur- und Geschichtskontors Bergedorf).

Dass Kurt Körber Mitglied der NSDAP war, ist schon lange bekannt. Die Körber-Stiftung benenne das auf ihrer Website auch explizit, so die Kommission. Allerdings sehe Lothar Dittmer, der Vorstandsvorsitzende der Körber-Stiftung, den Stifter unter Verweis auf bisherige Untersuchungen „definitiv“ nicht als Nazi und weise „damit eine persönliche moralische Verantwortung Körbers zurück“.

Eine solche Verantwortung für den Einsatz von KZ-Häftlingen lasse sich allerdings „durchaus ableiten“, schreibt Kommissionsmitglied Alyn Beßmann. Dabei geht es um Körbers Tätigkeit als Prokurist und Mitglied der Geschäftsführung der Dresdner Firma Universelle, die in ihrem Betrieb nicht nur 3000 Zwangsarbeiter eingesetzt hatte, sondern bei der in der Florastraße in Dresden auch ein Außenlager des KZ Flossenbürg errichtet wurde, in dem mindestens 700 weibliche KZ-Häftlinge eingesetzt wurden. Am Aufbau dieses Werkes war Kurt Körber beteiligt.

Tiefe Verstrickung in die NS-Kriegswirtschaft

Beßmann erschloss für ihre Analyse keine bisher unbekannten Quellen, sondern stützte sich weitgehend auf eine Untersuchung der Historiker Josef Schmid und Frank Bajohr, die 2011 von der Forschungsstelle Zeitgeschichte in Hamburg veröffentlicht worden war. Titel: „Gewöhnlicher unternehmerischer Opportunismus? Zum Werdegang Kurt A. Körbers im Nationalsozialismus“. Die Körber-Stiftung hatte die Arbeit angeregt und Geld für die Recherche bereitgestellt – „natürlich ohne auf die Studie Einfluss zu nehmen“, wie Körber-Sprecher Martin Meister betont.

In der Untersuchung heißt es, ­Körber sei „zeitweise vom NS-Regime fasziniert gewesen“. Zur „tiefen Verstrickung Körbers in die NS-Kriegswirtschaft“ habe „sein starker unternehmerischer Tatendrang“ geführt. An Körbers „verantwortlicher Tätigkeit im Rahmen der Kriegsproduktion“ könne nicht gezweifelt werden – seine „innere Einstellung“ zum Krieg und zum Nationalsozialismus lasse sich aus den vorhandenen Quellen allerdings nicht rekonstruieren, schreiben Schmid und Bajohr. Ein direkter Kontakt Körbers mit Häftlingen in dem KZ-Außenlager bei Universelle sei nicht nachgewiesen. „Zeitzeugen zufolge hielt er sich von Zwangsarbeitern wohl fern. Doch dürften ihm die Lebensbedingungen der Häftlinge kaum entgangen sein.“

Hier setzt Alyn Beßmann an. Unternehmen, bei denen ein KZ-Außenlager angesiedelt war, gehörten ihr zufolge nicht nur zu den Nutznießern des KZ-Systems, „sondern trieben dessen Ausbau oft aktiv mit voran und trugen daher eine Mitverantwortung für dieses System“, wie Beßmann in der Stellungnahme für die Bergedorfer Bezirksversammlung schreibt. In der Arbeit von Schmid und Bajohr werde die Verantwortung der Firma für die Lebensbedingungen der Häftlinge nicht thematisiert.

Auch Körbers Verantwortung werde in dieser Studie und weiteren vorliegenden Arbeiten „ausschließlich im Hinblick auf seine Kenntnisse von den und seinen Einfluss auf die Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter thematisiert“. Auch wenn sich das Ausmaß von Körbers persönlicher Verantwortung für den Einsatz von KZ-Häftlingen aufgrund fehlender Quellen nicht genau definieren lasse, stehe „außer Frage“, dass Körber aufgrund seiner leitenden Position eine „moralische Mitverantwortung“ trage, schreibt Beßmann.

Körber-Stiftung sieht „keine neuen Fakten“

Die Körber-Stiftung weist die Empfehlung zurück, die Kurt-A.-Körber-Chaussee umzubenennen. „Den vorgelegten Bericht werden wir genau lesen und auswerten“, sagt Martin Meister, Sprecher der Körber-Stiftung. „Beim ersten Blick können wir keine neuen Fakten erkennen, die unseren Stifter direkt belasten.“ Stattdessen sei von einer „moralischen Mitverantwortung“ die Rede. Zwar habe sich Körber als unternehmerische Führungskraft in der NS-Zeit „durchaus opportunistisch“ verhalten. „Für eine Täterschaft gibt es aber keinerlei Dokumente oder mündliche Äußerungen. Auch nach dem Krieg sind von keiner Seite Anschuldigungen erhoben worden, die auf eine persönliche Verantwortung von Kurt A. Körber hinweisen“, sagt Meister. „Dagegen gibt es Berichte von Zeitzeugen, die belegen, dass Körber auch bei der Universelle tätige Widerstandskämpfer mit Unabkömmlichkeitserklärungen und Bürgschaften in Schutz genommen hat.“

Die Kurt-A.-Körber-Chaussee hieß bis 1998 Kampchaussee und sei dann auf Initiative der dort ansässigen Körber-Firmen und der Körber-Stiftung umbenannt worden, berichtete die „Bergedorfer Zeitung“. Dies habe für Proteste von Anwohnern und ansässigen Firmen gesorgt. Damals sei die mangelnde historische Forschung zu Körbers Rolle während der NS-Zeit kritisiert worden.

Im Februar 2016 hatte die Hamburger Landeszentrale für politische Bildung unter dem Titel „Die Dabeigewesenen“ eine Datenbank zu Menschen veröffentlicht, die auf unterschiedliche Weise Anteil an NS-Gewaltverbrechen hatten. Zehn Einträge bezogen sich auf Personen, nach denen Straßen im Bezirk Bergedorf benannt sind. Um zu klären, wie Bergedorf mit den „möglicherweise NS-belasteten Namen“ umgehen soll, beschloss der Hauptausschuss der Bezirksversammlung im März 2016, eine Kommission einzusetzen.

Die Ergebnisse der Stellungnahme sollen nun am nächsten Donnerstag im Hauptausschuss debattiert werden und dann zwei Wochen später in der Bezirksversammlung. Würde dort die Umbenennung der Kurt-A.-Körber-Chaussee beschlossen, müssten eine Senatskommission oder der Senat selbst darüber entscheiden. Letzterer tut dies allerdings nur in Fällen von „grundsätzlicher und politischer Bedeutung“.