Das Abendblatt begleitete die Band Tonbandgerät exklusiv bei ihrem Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie – von der Ankunft über den Aufbau bis nach dem Auftritt

Jakob Sudau lenkt den Transporter rückwärts in die große Garage des Liefereingangs. Was für ein Parkplatz! Direkt geradeaus der Hafen. Regengrau. Hamburgschön. Über ihm die Elbphilharmonie. Wahrzeichen. Sehnsuchtsort.

In zwölf Stunden wird Sudau mit seiner Band Tonbandgerät in dem neuen Konzertsaal spielen. Er ist der Schlagzeuger dieses jungen Hamburger Popquartetts, das vor allem im vergangenen Jahr viel erlebt hat. Mit seinem zweiten Album war es auf Tour. Als Vorgruppe von Popstar Andreas Bourani haben die vier die Arenen des Landes bespielt. Auf Einladung des Goethe-Instituts reisten sie nach Israel, China, Tschechien. Und jetzt das. Im Jahr des zehnten Bandjubiläums. Zwei nächtliche Konzerte an dem Ort, in den derzeit alle wollen.

Erst einmal aussteigen. Das Team begrüßen. Sich umarmen. Kunst bedeutet auch Kontakt. Wieder und wieder. „Immer dieses ganze Gedrücke“, ruft Sänger Ole Specht und lacht. Flugs lädt die Band Instrumente und Technik in den Lastenaufzug. Auf der Fahrt nach oben in den Backstage-Bereich im zwölften Stock stimmt der Tour-Gitarrist, den alle nur Cello nennen, ein Ständchen auf der Ukulele an. Die Elbphilharmonie als Spielplatz im doppelten Sinne. Schön.

Für den Saal hat die Band ihre Songs extra neu arrangiert

Oben angekommen, löst Holzfußbodenwärme die feuchte Elbkälte ab. Die Band deponiert ihr Gerät im lichten Flur hinter der Bühne. Das helle Parkett trägt bereits diverse Gebrauchsspuren. Musik macht eben auch Macken. Managerin Anna Hantke nimmt ihre Künstler in Empfang. „Und, schon aufgeregt?“, fragt sie Ole. „Nee, das kommt später. Die Generalprobe lief super gestern“, sagt er – und fügt grinsend hinzu: „Das ist ja eigentlich ein schlechtes Zeichen.“

Etwas unruhig habe sie schon geschlafen, erzählt Bassistin Isa Poppensieker eine halbe Stunde später, nachdem die Band ihre beiden Garderoben bezogen hat. Sie sitzt auf einem grau-weißen Sofa. Vor einem Divenspiegel mit dicken Glühbirnen an den Seiten stehen Brot, Aufschnitt, Obst, Kaffee und Schorle. Der Blick aus bodentiefen Scheiben fällt auf die Stadt, auf die „Cap San Diego“ und die „Rickmer Rickmers“. Dieser Raum, sein Fototapetenpanorama, aber auch das Sterile, Neue, könnten nicht weiter entfernt sein von Ranz und Rock-Patina der Clubs, in denen die Band schon backstage auf Auftritte gewartet hat. Doch wer Profi ist im Unterwegssein, der weiß sich seine Heimat auf Zeit schnell einzurichten. Managerin Anna hockt handytippend auf dem Boden, mit dem Rücken an die Aussicht gelehnt. Isas Schwester Sophia Poppensieker, die viele der Songs schreibt und Gitarre spielt, isst Selbstgekochtes aus einer Tupperschüssel. Ein Bildschirm an schneeweißer Wand listet den Tagesplan auf. Wer übt wann, wer kann um wie viel Uhr auf- und abbauen. Die Elbphilharmonie, eine Koordinationsmaschine.

Noch probt Kent Nagano mit den Philharmonikern im Großen Saal. Jakob nutzt die Zeit, um sein Schlagzeug hinter der Bühne auf einem rollbaren Untersatz aufzubauen, um zu schrauben, zu justieren, zu prüfen. Der Spielort kann noch so teuer sein, noch so glänzend, die Kunst selbst braucht letztlich das Handgemachte, das Be-Greifbare.

„Mir gibt das Sicherheit, wenn ich alles noch selbst anfasse“, sagt Jakob. „Du darfst heute eigentlich gar nicht spielen, das ist viel zu laut“, frotzelt Ole. „Man hört ja alles“, fügt Isa hinzu. Ein Satz, der immer wieder fällt. Jakob hat statt normaler Holzsticks extra Varianten aus Stroh und mit Stoffklöppeln mitgebracht. „Ich bin echt aufgeregt, wie der Soundcheck gleich läuft“, sagt er.

Um dem viel diskutierten, mitunter magisch verklärten Klang des Saals gerecht zu werden, hat die Band ihre Songs neu arrangiert. Mit weniger Wums, mit akustischen Instrumenten und mit Verstärkung von den Multiinstrumentalisten Anne de Wolff und Arne Straube, die zahlreiche neue Klänge von Geige über Cello bis hin zu Piano, Vibrafon und Harmonium einbringen. Das erste Mal spielt Tonbandgerät in dieser besonderen Besetzung.

Auf einmal strömen Dutzende Musiker vorbei, hin zur weiß leuchtenden Cafeteria, zu den Fahrstühlen, zu den Garderoben. Die Symphonikerprobe ist vorbei. Man plaudert, löst die Anspannung. Rasch folgen Arbeiter mit dem Orchestermobiliar. Eine geschäftige Gleichzeitigkeit. „Es ist nicht ganz einfach durchzublicken, wer hier für was zuständig ist“, sagt Ole angesichts des Treibens hinter der Bühne. Dann aber dürfen sie ihr Material in den Großen Saal hineinrollen – durch eine weite Hintertür, die später von einer Wabenwand elegant verdeckt wird. Endlich stehen sie mitten auf der Bühne. In die Höhe gucken. Den Saal ein- und ausatmen. Sich die vollen Ränge vorstellen.

„Das wird bestimmt ungewohnt, das Publikum auch im Rücken zu haben“, sagt Ole. „Ich mag das ja schon nicht, wenn jemand hinter mir steht und in meiner Zeitung mitliest.“ Doch viel Zeit bleibt nicht zum Rätseln und Staunen. Für Aufbau und Soundcheck hat das Team keine zwei Stunden. Danach folgt der Umbau für das NDR Elbphilharmonie Orchester, das am frühen Abend mit dem jungen Stardirigenten Krzysztof Urbanski zunächst ein „Konzert für Hamburg“ gibt, um danach im Rahmen des „NDR Late Night“-Programms vor Tonbandgerät zu spielen (siehe Kasten). Keine ganz schlechte Vorgruppe. Doch dementsprechend eng ist die Taktung in Hamburgs Prestigebau.

„Das Schlagzeug bitte noch anderthalb Meter nach vorne“, ruft Jakob, während Sophia gleichzeitig einen der mitgebrachten Teppiche ausrollt. Das fremde Terrain zum Zuhause machen. Es ist ein einziges flottes Verkabeln und Entrollen und Rücken und Richten. Ole positioniert einen hohen Stuhl vor seinem Mikro, setzt sich, lächelt, spielt einige Akkorde auf seiner akustischen Gitarre und blickt dem Klang bis zur hohen Decke hinterher. Ein kleiner poetischer Moment inmitten des Räumens.

Im Rang sitzt eine Besuchergruppe. Eine weitere läuft oben an der Orgel entlang. Ganz schön was los. Kultur als Hype, Ästhetik als Ausflugsziel. Zum Soundcheck sind die Touristen wieder verschwunden. Jakob und die anderen spielen erst einzeln, dann für wenige Songs zusammen, während die Beleuchtungsprobe läuft. Im kurzen Wechsel fallen Lichtspiele auf die Band: Sternenpunkte und Kreise, Reeperbahnrot und Hafenblau. In Farben getauchte Konzentration.

„Das klingt echt krass anders“, sagt Ole, zurück in der Garderobe, und atmet tief durch. „Das war jetzt wirklich anstrengend.“ Sophia ergänzt: „Echt speziell hier. Du bekommst jeden Ton zurück.“ Das Ganze muss erst mal sacken.

Alle beschließen, bis zum Abend in ihre Wohnungen zu fahren.

Noch nie hatten sie so viele Anfragen für Gästelistenplätze

Vier Stunden später sammelt sich die Band in der Garderobe. Ole hat sich zu Hause hingelegt. Isa und Sophia haben Spaghetti gekocht. Jakob war Pizza essen. Alltag vor dem Außergewöhnlichen.

Der Auftritt rückt näher. Das Adrenalin steigt. Noch nie hätten sie so viele Anfragen für Gästelistenplätze erhalten, erzählt Ole. 20 pro Abend können sie vergeben. Sophia schreibt derweil die Setliste noch einmal größer auf. Jakob bügelt sein Hemd mit einem Reisebügeleisen. Die Band zieht sich um. Lässig-schick in Schwarz lautet der Dresscode.

Im Backstage-Bereich ist die Dichte an Fräcken und Roben plötzlich hoch. Das NDR Elbphilharmonie Orchester steht kurz vor dem Auftritt. Die Band schaut sich auf einem Bildschirm das Konzert mit Krzysztof Urbanski an, der vom wuscheligen Styling her auch einer von ihnen sein könnte. Seine Interpretation von Strawin­skys „Le sacre du printemps“ ist Musik, die den Hörer dramatisch durchfährt. „Da geht’s ganz schön zur Sache“, sagt Ole. Doch so richtig einlassen kann er sich auf die Klassik nicht. Die Nervosität wächst. „Das Warten ist immer das Schlimmste“, sagt er und wippt von einem Fuß auf den anderen. Zur Motivation bildet das Team einen Kreis, fasst sich an den Händen. Kontakt herstellen.

Dann geht alles ganz schnell. Das Publikum ist in der Pause. Der Umbau kann beginnen. Erneut rollen und räumen. „Ich kriege noch kein Signal“, ruft Mischer Klaus Wey von seinem Pult aus. Kurze Hektik. „Check, check, check“, ertönt schließlich Oles Stimme laut und deutlich. Dann müssen alle runter von der Bühne. Der Einlass beginnt. Der Saal füllt sich bis unters Dach mit Schritten und Stimmen und Selfie-Aktivitäten.

Es ist nach 23 Uhr, als die Band im Halbdunkel beginnt. Geigerin Anne und Cellist Arne spielen ein akzentuiertes Intro. „Wir wollen nicht viel, wir wollen nur die Welt“, singt Ole. Und diesem Wunsch dürfte Tonbandgerät an diesem Freitagabend ein Stück näher kommen. Das erste Mal können die Songs spazieren gehen an dem neuen Ort. Erst noch etwas schüchtern, dann immer selbstverständlicher. Endlich ertönt nach all der Organisation die Musik, das Menschliche, das große Gefühl.

Eine Ballade wie „Landebahn“ klingt wunderbar fein mit Vibrafon und Harmonium. Sophias Gesang und Gitarre zu „Jeden Weg“ macht die Atmosphäre wohnzimmerklein und zugleich weit wie ein Himmel überm Lagerfeuer. Und als Ole, Isa, Sophia und Jakob sich bei „Ich komm jetzt heim“ um ein Mikro versammeln und einfach gemeinsam singen, da zeigt sich, dass auch Pop in der Elbphilharmonie funktioniert, wenn er nur anders arrangiert ist. Mit der schnelleren Nummer „Alles geht“ gibt die Band schließlich noch eine Partyzugabe. Die Menge klatscht und singt mit, einige tanzen. Verbeugung. Abgang Tonbandgerät.

Jubel. In der Garderobe dann Erleichterung auf glänzenden Gesichtern, Strahlen, Bier, Anstoßen. „Das hat Spaß gemacht“, sagt Ole nur, noch überwältigt. Eine Viertelstunde später nimmt Isa den Fahrstuhl nach unten, um vor der Tür eine zu rauchen. Der Hafen ist immer noch da. Er leuchtet dunkel und wummert leise. Auch ein guter Klang.