Hamburg. Aktionswoche in der Eimsbütteler Kaifu-Lodge startet am Sonnabend. So hilft Bewegung Kopf und Körper, leistungsfähiger zu werden

Die Zahlen klingen alarmierend. Nur jeder dritte Hamburger treibt regelmäßig Sport, bei den über 60-Jährigen, einer immer größer werdenden Gruppe, bloß jeder vierte. Das ist das Ergebnis einer Studie des Krankenhauskonzerns Asklepios. Dabei sollte sich längst herumgesprochen haben, was Ingo Froböse, Professor am Zen­trum für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln, sagt: „Wer sich regelmäßig bewegt, verlängert sein Leben und erhöht seine Lebensqualität.“

Neubeginn oder Wiedereinstieg: Es ist nie zu spät! Der Eimsbütteler Fitnessclub Kaifu-Lodge lädt mit Unterstützung des Abendblatts vom 12. bis 19. November zu einer kostenlosen Aktionswoche in die gerade modernisierte und räumlich erweiterte Anlage in der Bundesstraße 107 ein. In Vorträgen (zuhören und diskutieren), Kursen (mitmachen) und Beratungen (fragen) soll die Faszination der Erlebniswelt Sport, Bewegung und Wellness den Besuchern nähergebracht werden. Provokantes Motto der Veranstaltungsreihe: „Mit 50 fitter als mit 30!“

Das Alter ist nicht zufällig gewählt. Auch wenn Bewegung zu jeder Zeit, in jedem Zustand Effekte zeigt, Körper und Geist fordert und in Schwung bringt/hält, können im fünften und sechsten Lebensjahrzehnt noch ein letztes Mal entscheidende Weichen für den Rest des heute immer länger werdenden Lebens gestellt werden. Wer im mittleren Alter kontinuierlich körperlich aktiv war, dessen Risiko, zum Beispiel an Alzheimer zu erkranken, sinkt um bis zu 60 Prozent. Das belegen wissenschaftliche Untersuchungen. Der Mensch kann dem geistigen Abbau davonlaufen, davonschwimmen oder davonfahren – mit dem Rad natürlich. Kreuzworträtsel raten oder Sudokus lösen genügt nicht.

„Ob wir gesund und leistungsfähig altern, können wir nicht vollständig beeinflussen“, sagt Professor Wildor Hollmann (91), Doyen der deutschen Sportmedizin, „es liegt auch an unseren Genen. Allerdings nur zu etwa 40 Prozent.“ Für die 60 Prozent beeinflussbarer Parameter lohne es sich, folgende fünf Punkte zu beachten: 1. Konstante körperliche Aktivität, 2. Stetige geistige Aktivität, 3. Einhaltung eines konstant normalen Körpergewichts, 4. Eine grundsätzlich positive Haltung und Denkweise, 5. Pflege der sozialen Kontakte. Hollmann weiß, wovon er spricht. Er betreut an der Sporthochschule Köln weiter Doktoranden und steigt, wenn möglich, Treppen – statt in Fahrstühle.

Bewegung macht nicht nur fit, sie macht auch schlau. Den Zusammenhang zwischen kindlicher Motorik und Intelligenz haben Studien hinlänglich belegt. Diese Erkenntnisse, das weiß man inzwischen, sind auf Menschen jeder Altersgruppe übertragbar. Je mehr Reize das Gehirn zu verarbeiten hat, und körperliche Aktivitäten verlangen dem Kopf eine Menge an Koordination ab, desto mehr Verbindungen (Synapsen) muss es schalten. Welches Kind gelernt hat, sich sicher in alle Richtungen zu bewegen, das weiß, wo links, rechts, oben und unten ist, dem fällt Lesen und Schreiben leichter, das verdreht nicht Buchstaben wie b und d. Ein Beispiel dafür lieferte eine Grundschule in Bad Homburg.

Dort wurde in den 1990er-Jahren die tägliche Sportstunde eingeführt. Die Effekte waren verblüffend. Nicht nur gingen auf dem Schulhof Verletzungen bei Unfällen und Raufereien zurück, weil sich die Kinder geschickter verhielten, stabiler auf den Beinen standen, die Lehrer konnten gegenüber den Vergleichsklassen 15 Prozent mehr Schüler fürs Gymnasium empfehlen.

Das Vorurteil, zu viel Sport gehe zulasten von Kernfächern wie Deutsch oder Mathematik, schien widerlegt. Die tägliche Sportstunde verbesserte die Leistungen auch in anderen Fächern, selbst wenn sie weniger unterrichtet wurden. Das deutsche Bildungssystem hat diese Ergebnisse weitgehend ignoriert. Vielerorts – auch in der Sportstadt Hamburg – muss noch um die dritte Sportstunde in der Woche gekämpft werden; bisher meist ohne Erfolg.

Was im Kindesalter gilt, trifft, wie gesagt, ebenso auf Erwachsene zu. Bewegung sorgt auch im fortgeschrittenen Alter dafür, dass im Gehirn neue Verbindungen geschaltet, schädliche Verklebungen, sogenannte Plaques, aufgelöst werden. Das wichtigste Organ des Menschen ist lebenslang erstaunlich anpassungsfähig und reagiert ständig auf neue Herausforderungen. Wer sich bewegt, steigert nicht nur seine körperliche Fitness, sondern nachweislich auch sein Konzentrationsvermögen und seine intellektuelle Leistungsfähigkeit. Dieser Zusammenhang ist offenbar das Erbe der menschlichen Evolution. Der römische Satiriker Juvenal („Brot und Spiele“) hatte schon vor 1900 Jahren recht: In einem gesunden Körper sei ein gesunder Geist.

Dr. Johannes Wimmer ist Arzt am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), bekannt von seinen Online-Sprechstunden und als Fernsehdoktor in der beliebten NDR-Sendereihe „Visite“. Der 33-Jährige ist einer der Referenten der Aktionswoche. Er sagt: „Vorsätze bringen nichts. Einfach machen!“ Und dann lieber drei- bis viermal kurz pro Woche als einmal lang; nicht gleich im Verein oder Fitnessclub in den härtesten Kurs gehen, ein Spaziergang um den Block reiche zum Anfang aus. Die Art der Bewegung sollte Freude machen. „Aus dem riesigen Angebot, das Clubs und Vereine heute bieten, findet sich für jeden etwas. Jede Bewegung hat positive Auswirkungen auf Geist und Körper.“

Das Wichtigste sei, sagt Wimmer, dass man es schaffe, „Sport gekonnt in den Alltag zu integrieren. Haben Sie stets eine Sporttasche dabei, machen Sie mittags mal ein halbe Stunde Pause, fahren Sie abends nach der Arbeit nicht direkt nach Hause, in die Kneipe oder ins Restaurant, gehen Sie vorher lieber schwimmen, laufen, trainieren oder in die Sauna.“ 20 bis 30 Minuten reichen oft aus. Entscheidend ist die Regelmäßigkeit, nicht die Intensität. „Genießen Sie diese Auszeiten. Gönnen Sie sich aber auch mal 90 Minuten beim Sport, schließen Sie das Handy weg, schalten Sie ab, sagen sich: ,Diese Zeit ist nur für mich.‘ Danach dürfen Sie sich belohnen, etwa mit einem schönen Essen.“

Sport baut Stress ab. Auch das ist belegt. „Wohlfühlen ist eines der Schlagworte. Das können 50-Jährige meist besser als 30-Jährige“, sagt der TV-Arzt. Wer sich wohlfühlt, ist fit für vielfältige Herausforderungen im Sport, im Alltag und Beruf, im Privaten. Das Ticken der Körperuhr, das biologische – nicht das chronologische – Alter, lasse sich verlangsamen. Menschen, die sich nicht bewegen, altern schneller. Sie sehen oft älter aus, als sie sind. Wenn es auch eine Binse sei, es stimme nun mal: „Man ist so jung oder alt, wie man sich fühlt. Jeder bestimmt sein Alter selbst. Alter ist eine Frage der Haltung. Der Körper verzeiht zudem vieles, wenn man wieder gut zu ihm ist“, sagt Wimmer. Nur eines vergibt er kaum: rauchen. „Jede Zigarette zählt.“ Dennoch: Mit dem Rauchen aufzuhören lohne sich in jedem Fall.

Sport macht Spaß, ohne Frage. Aber Sport ist nicht nur Spaß, sondern auch Anstrengung. Das gefällt nicht jedem. „Die ersten paar Male kann jeder. Was vielen nach einiger Zeit fehlt, ist die Motivation, sich weiter regelmäßig zu bewegen. Die Sinnfrage wird gestellt, Ausreden gesucht“, weiß Cornelius „Conny“ Hasselbach (66), Geschäftsführer der Kaifu-Lodge und ehemaliger deutscher Squashmeister. Um dem entgegenzuwirken, sei ein individuell abgestimmtes Bewegungsprogramm nötig. Clubs wie die Kaifu-Lodge, aber auch viele andere Fitnesseinrichtungen und Vereine bieten es in Hamburg an.

„Unsere Trainer und Trainerinnen machen mit unseren Mitgliedern zuerst eine Anamnese, fragen nach Zielen, Wünschen, erstellen dann ein persönliches Trainingsprogramm, das alle drei Monate überarbeitet werden kann. Wir wollen die Angebote so speziell wie möglich halten und den persönlichen Lebenssituationen anpassen. 08/15 gibt es bei uns nicht“, sagt Solveig Schlüter, Fitnessmanagerin der Kaifu-Lodge. Glücklich sein und wohlfühlen müssten im Vordergrund stehen, „dauerhaft Leistungsziele zu verfolgen schaffen nur die wenigsten“. Das sei eher motivationshemmend, falls sich der Erfolg nicht schnell genug einstelle.

Ältere Sportler brauchen auch ältere Trainer

Fitnessclubs wirken auf Einsteiger in der Regel abschreckend. Da trainieren Bodybuilder, Leistungssportler, die Schönen und die Reichen, lauten die Vorurteile. Daran sind die Einrichtungen nicht schuldlos, sie betonen in ihren Kampagnen gern makellose Körper, definierte Muskelpakete. Das wirkt abstoßend auf jene, die nach fünf Minuten Fahrradfahren aus der Puste kommen und deren Body-Mass-Index im tiefroten Bereich liegt. „Wir müssen umdenken und werden für diese Zielgruppe mehr niedrigschwellige Angebote entwickeln“, sagt Schlüter, „Kurse für Einsteiger, kleinere Gruppen, kürzere Trainingszeiten, nicht eine Stunde, auch mal 45, 30 oder gar 15 Minuten.“

Andreas Franke-Thiele ist promovierter Sportwissenschaftler und Lehrer an der Ida-Ehre-Schule am Lehmweg. Auch er gehört zu den Referenten der Aktionswoche. „Silver Fitness“, Fitness für Ältere, ist eines seiner Kernthemen. „Fit macht das, was Spaß bringt und zu den persönlichen Motiven passt“, sagt er. Franke-Thiele (57) stellt dabei die soziale Komponente in den Vordergrund. Ältere dürften nicht allein gelassen werden, sie brauchen Anlaufstellen in den Clubs, verlässliche Zeiten, in denen sie sich mit Gleichgesinnten verabreden können, und Offerten, die auch mal Geselligkeit versprechen. „Man trifft sich im Club und kann dann gemeinsam auf der Alster paddeln oder am Isebekkanal joggen gehen.“

Ältere, weiß er, bräuchten oft eine andere Ansprache. „Wenn der Trainer im ähnlichen Alter ist, werden Hemmschwellen abgebaut, weil ein ganz anderes Verständnis aufgebracht wird“, sagt Franke-Thiele. Die Fitnessclubs hätten in diesem Bereich Nachholbedarf. „Fitnesstraining für Ältere ist eben kein abgespecktes Bodybuilding.“ Die Aktionswoche hält er für einen „wichtigen Impuls in einer älter werdenden Gesell-schaft“, von der beide Seiten profitieren können. Der ältere Sportler – wie der Umgang mit ihm – sei für viele Einrichtungen immer noch „das unbekannte Wesen“. Wenn sich das in der nächsten Woche ändere, sei viel erreicht.