Unschuldig im Fokus einer übereifrigen Staatsanwältin? Die ehemals erfolgreiche Anwältin und Doggen-Expertin Verena Rottmann kämpft um ihre Rehabilitation. Und der Anklägerin droht jetzt der Prozess

Zwei Stunden an einem Montag im April 2013 genügten. Danach war das Leben von Verena Rottmann zerstört – ihr altvertrautes, behagliches, Freude und Halt gebendes Leben. Wie schlimm es werden würde, wusste sie damals noch nicht. Alles geriet ins Rutschen. Sie verlor ihre Arbeit, sie verlor ihr Haus, sie verlor ihre Familie, sie verlor ihre Gesundheit. Denn bei diesem zweistündigen Einsatz von Polizei und Kieler Staatsanwaltschaft blieb es ja nicht. Im Internet gab es schnell gehässige Kommentare, ein Provinzblatt legte nach. Zurück blieb eine ruinierte Frau. Verena Rottmann, Fachanwältin für Tierrecht, Hundezüchterin, Autorin erfolgreicher Ratgeberbücher, Haus mit großem Garten im ­ostholsteinischen Panker: Das ist Vergangenheit. Verena Rottmann (61), mittellos, bei Freunden untergeschlüpft: Das ist die Gegenwart.

Zur Gegenwart gehört aber auch: Die Staatsanwältin S., die im April 2013 in Rottmanns Leben eindrang, wird vermutlich bald vor Gericht stehen. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe ermittelt gegen sie und will Anklage wegen Rechtsbeugung in sechs Fällen erheben. Deshalb ist S. vom Dienst suspendiert. Staatsanwalt ermittelt gegen Staatsanwalt: Das passiert in Deutschland nur ganz selten. Das Landgericht Kiel muss nun entscheiden, ob das Hauptverfahren eröffnet werden kann. Im November könnte es so weit sein. Zwölf weitere Ermittlungsverfahren gegen die Juristin laufen noch.

Die meisten Vorwürfe gegen Verena Rottmann haben sich mittlerweile als nicht stichhaltig erwiesen. Das Amtsgericht Plön verhängte im November 2014 ein Bußgeld in Höhe von 200 Euro gegen sie – wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit.

Eine Ordnungswidrigkeit. Gewissermaßen: Einmal falsch geparkt. Folge: einmal Leben zerstört.

Rottmann will ihren drei Doggen gerade zu trinken geben, als am 22. April 2013 gegen 10.30 Uhr unangemeldet die Polizei vor der Tür steht und einen Durchsuchungsbeschluss wegen „unhygienischer Tierhaltung“ präsentiert. Mit dabei: die Kieler Staatsanwältin S., eine weitere Staatsanwältin und eine Kreisveterinärin. Mehrere Polizeibeamte begleiten die Frauen. Einer von ihnen ist mit einer Videokamera bewaffnet und filmt den Einsatz. Warum, bleibt unklar. Rottmann hat den Eindruck, als Schwerverbrecherin zu gelten.

Der Tierarzt empfiehlt, die Doggen nicht wegzubringen

Die Beamten betreten das Haus. Die Eigentümerin muss draußen bleiben. „Sie dürfen sich jetzt nicht mehr frei bewegen“, sagt ihr die Staatsanwältin. Sie darf noch nicht einmal telefonieren. Rottmann erreicht zumindest, dass der Tierarzt informiert wird, bei dem ihre drei Doggen in Behandlung sind. Der muss die Sache doch aufklären können, der weiß doch am besten, wie es den Hunden geht, denkt sie. Denn es geht ihnen gerade nicht so gut. Doggen sind sensible Tiere. Sie leiden oft unter Magendrehungen, die tödlich sein können. Rottmann hatte versucht, das zu verhindern, hatte Blut, Urin und Kot in Universitätskliniken untersuchen lassen und in Absprache mit dem Arzt ein teures Spezialfutter eingesetzt.

Der Tierarzt kommt. Er erinnert sich gut an diesen Tag. Er versucht, das Schlimmste zu verhindern: die Tierwegnahme. Denn nach kurzer Inaugenscheinnahme des Hauses stellt die Kreisveterinärin fest: Die Haltung der Hunde im Haus sei nicht artgerecht. Rottmann hatte einen der ständig kränkelnden Hunde im Flur übernachten lassen, einen anderen, gerade operierten Hund nachts im Badezimmer untergebracht. Sie selbst schlief nebenan, ein Babyfon hätte sie alarmiert, falls es Probleme gegeben hätte. Das dritte Tier, ein Rüde, war draußen im Hundehaus.

War das falsch? War das richtig? Der Tierarzt sagt: „Es war reine Fürsorge, die Frau Rottmann bewogen hat, die Tiere ins Haus zu nehmen.“ Er warnt vor den Konsequenzen einer Tierwegnahme: „Sie sind sehr auf Frau Rottmann fixiert, das überleben sie nicht. Wenn sie weg sind, sind sie weg.“ Die Kreisveterinärin findet, dass es zum Wohl der Tiere so nicht weitergehen könne. Eine „Zäsur“ sei notwendig. Dann beendet die Staatsanwältin die Debatte. Die Hunde werden abtransportiert.

Ja, es wird eine Zäsur. Eine Zäsur in Verena Rottmanns Leben. Im Internet kursiert schon im Februar 2014 die Nachricht, dass die Doggenexpertin der Tierquälerei verdächtigt wird. Fotos werden herumgeschickt. Rottmanns Bücher verkaufen sich nicht mehr, ihre Dienste als Tierrechtsanwältin sind nicht mehr gefragt. Sie gerät in finanzielle Not. Sie verliert den Halt und erkrankt. Denn ihre Doggen, die der ledigen Frau so wichtig sind, sind ja verschwunden. Wie mag es ihnen gehen?

Es geht ihnen schlecht. Die Prognose des Tierarztes bewahrheitet sich rasch. Die Hündin Benedetta stirbt sechs Wochen nach der Razzia, die Hündin Blanchette rund anderthalb Jahre danach. Exakt zwei Tage bevor ein Gericht die Beschlagnahmung aufheben wird. Nur der Rüde kehrt zu ihr zurück. Er ist verändert, apathisch: In der Zwischenzeit ist er offenbar chemisch kastriert worden. Rottmann gibt ihn auf Rat ihres Verteidigers ab. Selbst ernannte „Doggenschützer“ hatten im Internet gedroht, den Hund zu „befreien“.

Im September 2014, 18 Monate nach der Razzia, beginnt endlich der Prozess. Vor dem Plöner Amtsgericht spielen sich groteske Szenen ab. Rottmann muss von MEK-Polizisten geschützt werden, weil fanatische Tierfreunde sie im Internet bedroht haben. Die Staatsanwaltschaft Kiel hält das Verfahren für so wichtig, dass sie mit gleich zwei Staatsanwälten vor Ort ist. Sogar ein veritabler Oberstaatsanwalt schaut an einem der fünf Verhandlungstage vorbei. Immer wieder kreist die Verhandlung um absurde Frage. Ob es im Haus der Angeklagten nach Urin gerochen habe, an welchen Tagen das der Fall gewesen sei und ob es sich bei Verschmutzungen an der Wand um Kot oder um Schlamm gehandelt habe. Ein Zeuge erklärt beispielsweise, dass er auf eine Decke getreten sei und dann bemerkt habe, dass seine Sohle feucht gewesen sei. Intensiv wird auch der Frage nachgegangen, ob die Doggen in ihren Pflegestellen ängstlich, nervös oder unruhig gewirkt hätten. Die Amtsrichterin verfasst am Ende ein 19-seitiges Urteil. Und kommt zu dem Schluss, dass Verena Rottmann kein strafbares Verhalten vorzuwerfen sei. Allerdings eine Ordnungswidrigkeit. Denn sie habe am Morgen der Razzia den Rüden im Hundehaus nicht mit Essen versorgt. „Die erkennende Richterin ist seit ihrer Geburt bis zum Auszug aus dem Elternhaus mit Hunden aufgewachsen und weiß zumindest, dass die Hunde regelmäßig mit Futter und frischem Wasser zu versorgen sind“, schreibt die Amtsrichterin in ihrem Urteil. Dass der Hund vielleicht deshalb kein Essen bekommen hat, weil die Razzia die morgendliche Routine im Hause Rottmann recht plötzlich und unerwartet unterbrach, scheint die „erkennende Richterin“ nicht erkannt zu haben.

Immerhin: Bei der Strafzumessung berücksichtigt sie das – wie sie schreibt – „strenge Vorgehen der Ermittlungsbehörden“. Und: „Die Angeklagte vermittelte dem Gericht den Eindruck, dass sie sich von der Sorge um die Hunde leiten ließ und ihr Leben nach ihnen ausrichtete.“

Diesen Eindruck hätte man möglicherweise schon früher gewinnen können – wenn man etwa dem behandelnden Tierarzt Glauben geschenkt hätte. Doch das Gegenteil war der Fall. Nach der Razzia bei Rottmann steht die Polizei im August 2013 auch beim Tierarzt vor der Tür. Die Kieler Staatsanwaltschaft hat gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zur Tierquälerei eingeleitet. Unterlagen werden beschlagnahmt. Das Verfahren ist bis heute nicht beendet, der Tierarzt wartet seit drei Jahren auf die Einstellung oder auf eine Anklage. „Wenn man in diese Mühlen gerät, hat man es sehr schwer, sich zu behaupten“, sagt er heute. Er steht den Behörden sehr kritisch gegenüber. „Diese staatlich verordneten Tierwegnahmen, das kenne ich aus vielen Verfahren, enden oft mit dem Tod der Tiere“, sagt er. „Es ist ein Trauerspiel.“

Die Staatsanwaltschaft Kiel hat sich vor allem wegen ihrer Staatsanwältin S. offensichtlich in ein kaum mehr zu lösendes Gestrüpp von Strafverfahren verheddert. Es wird die ohnehin schon überlasteten Gerichte und Staatsanwaltschaften auf Jahre hinaus beschäftigen und am Ende die Staatskasse möglicherweise hohen Schadenersatz kosten. Eine unvollständige Auflistung zeigt, dass die Staatsanwaltschaft Kiel in den Jahren von 2011 bis 2014 in mindestens 17 Fällen Tiere beschlagnahmt und abtransportiert hat. Die strafrechtlichen Folgen dieses „strengen“ Vorgehens sind überschaubar – äußerst überschaubar. In drei Fällen wurden die Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft wieder eingestellt. Da die meisten Tiere von der Behörde notveräußert wurden, kamen sie nicht mehr zu ihren Besitzern zurück. In einem Fall hat der Beschuldigte einen Strafbefehl akzeptiert.

In 13 der 17 Fälle wurde Anklage erhoben. Sechs Prozesse laufen noch oder haben noch nicht begonnen. Sieben sind beendet. Die Ergebnisse dürften den harschen Einsatz der Staatsanwaltschaft nicht rechtfertigen. Zwei Verfahren wurden eingestellt, in den übrigen fünf wurden Geldbußen wegen fahrlässiger Ordnungswidrigkeiten verhängt. Nicht in einem einzigen Fall reichten die festgestellten Verstöße für eine Verurteilung wegen Tierquälerei.

Auch bei Hans Beil wird es dafür wohl nicht reichen. Dem Pferdezüchter aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde werden im November 2011 ganze Stallungen leer geräumt. 88 Pferde, 66 Schweine und sechs Kaninchen meint die Staatsanwältin S. abführen zu müssen – angeblich zum Schutz der Tiere. Zwei Tage dauert die Aktion, beim äußerst rücksichtslos durchgeführten Verladen stirbt ein Pferd. Alle Tiere werden hinterher von der Staatsanwaltschaft verkauft. Manch Pferdefreund macht da ein Schnäppchen. Einzelne Tiere gehen für 100 Euro weg, eines gar für 10 Euro. Auch die Deckhengste werden veräußert. Beils über Jahrzehnte aufgebaute Pferdezucht ist von einem Tag auf den anderen zerstört.

Schadenersatz in Millionenhöhe gefordert

Fast fünf Jahre nach dem Ereignis wartet er immer noch auf den Prozess. Beil (60) ist gefangen in einem kafkaesken Justiz-Albtraum. Die Anklageschrift stammt vom November 2012. Unter anderem wird ihm vorgeworfen, Pferde mangelhaft ernährt zu haben. Bei den Kaninchen sollen die Saugflaschen nicht in Ordnung gewesen sein.

Das Landgericht Kiel hatte angesichts solcher Vorwürfe offenbar wenig Lust, sich mit der Angelegenheit zu befassen. Es verwies den Fall ans Amtsgericht Rendsburg. Das weigerte sich zunächst – und versuchte, das Verfahren wieder dem Landgericht Kiel zuzuschustern. Jahre vergingen darüber. Mittlerweile ist der Prozess eröffnet worden. Einen Termin für die Hauptverhandlung gibt es allerdings noch nicht.

Wolf Molkentin, der Anwalt des Pferdezüchters, sagt: „Das ganze Vorgehen gegen Herrn Beil war vollkommen überzogen.“ Pferdezüchter Beil wartet seit fünf Jahren auf seine Rehabilitierung. „Meine Existenz und mein Ruf sind zerstört“, sagt er. Penibel hat er den Schaden aufgelistet, den die Staatsanwältin mit ihrem Einsatz ausgelöst hat: 1.137.500 Euro sind es. Schadenersatz kann Beil erst dann einklagen, wenn das Strafverfahren gegen ihn beendet ist.

Auch Verena Rottmanns Albtraum ist noch nicht zu Ende. Zum Jahresbeginn 2015 wurde ihre Anwaltszulassung widerrufen, weil sie zahlungsunfähig war. Ihre Bücher, unter anderem ein Tierrechtsratgeber und das Fachbuch „Die deutsche Dogge“, verkauften sich nicht mehr. Die Frau, die früher in Fernseh- und Radiosendungen auftrat, auch mal in der „NDR Talk Show“ mitwirkte, die gefragte Gesprächspartnerin für Fachzeitschriften war und auch als Anwältin gut verdiente, wurde plötzlich gemieden. Im Internet kursierten Beschimpfungen bösartigster Art.

„Jetzt geht’s der verlogenen Tierquälerin V. Rottmann an den Arsch!“ „In meinen Augen ist das kein Mensch mehr! Es ist ein verabscheuungswürdiges, heruntergekommenes, gewissenloses ,Etwas‘! Mehr nicht!“ Diese und noch weitaus schlimmere Äußerungen stammen von einem Mann, den das Landgericht Dresden am 29. August dieses Jahres dazu verurteilt hat, diese Äußerungen nicht mehr zu wiederholen. Rottmanns Anwalt hat den Mann vor Gericht gebracht. Es ist ein unendlich mühsamer Weg, das Internet von Schmutz zu säubern.

Verena Rottmann lebt jetzt bei Freunden. Sie ist immer noch krankgeschrieben. Natürlich will sie Schadenersatz vom Staat: 1,5 Millionen Euro. Aber es ist nur Geld. „Wer kommt für mein verlorenes Leben auf?“, fragt sie. Sie weiß, dass es auf diese Frage keine Antwort geben wird. Als Anwältin, so glaubt sie, wird sie auch dann nicht mehr Fuß fassen können, wenn sie ihre Schulden beglichen und ihre Zulassung zurückbekommen hat. „Mein guter Name ist ruiniert“, sagt sie.

Wer ihr auf der Straße begegnet, sieht eine elegante, attraktive, Haltung bewahrende Frau, die man für jünger als 61 halten könnte. Vielleicht liegt das an Karla. Sie hat jetzt wieder einen Hund. Denn das Allerschlimmste, das ihr hätte passieren können, ist dann doch nicht eingetreten: Der Staat hat sie ruiniert, aber er hat kein Tierhaltungsverbot ausgesprochen. Verena Rottmann darf Hunde haben. Sie hat ja nichts verbrochen. Es war nur eine Ordnungswidrigkeit.