Ortstermin in Altona, wo das Zimmer 680 Euro im Monat kosten soll. Laut Studie müssen Hamburger Erstsemester für Wohnen immer mehr bezahlen

Ein aufwendig renovierter Altbau in Altona, 16 Uhr. Draußen kleben Rosen auf der weißen Stuckfassade, die Balkone haben fein ziselierte Gitter aus Schmiedeeisen. Drinnen stehen fünf junge Frauen auf gewachstem Fischgrätparkett, allesamt Studentinnen, die sich für das WG-Zimmer bewerben, das Nele (Namen von der Red. geändert), Psychologiestudentin im 6. Semester, zum 10. Oktober vermieten will. Das Angebot ist übersichtlich: 14 Quadratmeter mit Flügeltüren, hohen Decken, ebenfalls Stuck und Abendsonne, Bad- und Küchenmitbenutzung inklusive der verchromten Espressomaschine. 680 Euro Monatsmiete verlangt Nele, die zwar einen Kaschmirpullover trägt, aber ansonsten vorgibt, vegan zu leben. Ihr Vater ist Rechtsanwalt, mit eigener Kanzlei, 900 Euro im Monat zahlt er seiner Tochter, dieselbe Summe verdient sie sich in einer Unternehmensberatung dazu. „Einmal pro Woche kommt eine Putzfrau“, sagt sie, die sei aber bereits in der Miete enthalten. Nur für den Parkplatz in der Tiefgarage nebenan seien noch einmal 50 Euro zusätzlich fällig. Wenn man ein Auto hat.

Lisa, deren Vater Zahnarzt ist und die im dritten Semester Jura an der Bucerius Law School studiert und zurzeit in Winterhude wohnt, hat zum „WG-Casting“ einen selbst gebackenen Kuchen mitgebracht. „Der sieht sehr lecker aus“, sagt Nele, „aber da sind ja hoffentlich keine Eier drin?“

„Leider schon. Aber wenn ich das Zimmer bekomme, backe ich ihn ab sofort ohne“, sagt Lisa. Sie möchte „jetzt mal in einer schicken Wohnung leben“. Nele lächelt, sie kann Lisa gut verstehen. Die Mitbewerberinnen sind da schon längst verstummt. Letztlich geht es immer ums Budget, und 680 Euro sind ihnen offensichtlich zu viel.

Zur selben Zeit in der Gemeinde Dollern, im Landkreis Stade: Hier wird ein 16 Quadratmeter großes, teilmö­bliertes Zimmer mit kleinem Balkone in einer Zweizimmerwohnung angeboten, frisch gestrichen, allerdings ohne Stuckrosetten, dafür aber mit neuem Laminatboden aus dem Baumarkt. Die Monatsmiete beträgt 250 Euro warm, die Küche ist mit Geschirrspüler und Waschmaschine ausgestattet, der Mitbewohner scheint unkompliziert und nett zu sein. Ruhe, Beschaulichkeit und die zwei Kilometer entfernte Elbe gibt’s gratis dazu. Die Haken an der Sache: Die S-Bahn fährt 50 Minuten bis zum Hauptbahnhof (mit dem Semesterticket des HVV jedoch kostenlos), und vom Flair der pulsierenden Großstadt spürt man in Dollern garantiert gar nichts.

Und die „goldene Mitte“? Sie liegt in Hamburg in diesem Jahr bei 430 Euro. So viel kostet ein WG-Zimmer im Durchschnitt, 349 Euro sind es im Bundesdurchschnitt.

Die meisten Studierenden, die sich zum Start des neuen Semesters auf Wohnungssuche begeben, dürften allerdings deutlich mehr Probleme haben, eines zu finden, als im Vorjahr. Denn im Vergleich zum Herbst 2015 hat sich die Wohnsituation für Studierende in 52 von 91 Hochschulstandorten noch einmal verschlechtert – und das leider auch in Hamburg. So lautet das Ergebnis einer Untersuchung in allen Universitätsstädten mit mehr als 5000 Studierenden, die das Moses Mendelssohn Institut (MMI) in Kooperation mit dem Immobilienportal WG-Gesucht.de durchgeführt hat. Dabei wurde ein sogenannter „Anspannungs-Index für den studentischen Wohnungsmarkt“ entwickelt, der maximal 100 Punkte betragen kann. Die Hansestadt liegt (nach München, Frankfurt und Köln) mit 74 Punkten auf Platz vier und gehört damit zu den teuersten deutschen Universitätsstädten. „Seit 2013 steigt dieser Anspannungs-Index deutschlandweit kontinuierlich an – in den großen Metropolen sowie in international anerkannten Universitätsstädten sogar deutlich überdurchschnittlich“, sagt Dr. Stefan Brauckmann, Direktor des MMI.

„Erfahrungsgemäß wird in den Unistädten vor dem Semester der Druck auf den Wohnungsmärkten höher“, sagt auch Barbara Schmid, Sprecherin von Immowelt, einer der größten Online-Plattformen für Immobilien. „Insbesondere Wohnungen im günstigen Preissegment sind dann noch begehrter.“ Umso mehr lohne sich deshalb ein WG-Zusammenschluss mit Kommilitonen. „Ziehen Studenten in eine Wohngemeinschaft, sparen sie in einigen Städten bis zu 40 Prozent der Miete.“ Das sei zum Beispiel in Siegen der Fall, aber nicht in der Hansestadt: „Hier beträgt der Preisunterschied zwischen einer Singlewohnung und einem WG-Zimmer nur drei Prozent“, so Barbara Schmid. Eine Singlewohnung in Hamburg mit bis zu 40 Quadratmetern Wohnfläche koste danach im Mittel 12 Euro pro Quadratmeter, für ein WG-Zimmer würden 11,70 Euro pro Quadratmeter verlangt – so das Ergebnis einer Immowelt-Studie von Anfang September dieses Jahres.

Erstaunlich aber ist der Umstand, dass Studenten trotz ihres häufig nur begrenzten Budgets nicht automatisch in günstigen Quartieren auf Wohnungssuche gehen. „Lieber weniger Quadratmeter als eine schlechte Lage – Studierende haben genaue Vorstellungen von ihrem Lebensumfeld“, sagt Stefan Brauckmann vom MMI. Für eine entsprechende Lage mit gutem Angebot an Kneipen, Kultur und weiteren attraktiven Freizeit-Angeboten seien sie häufig bereit, Kompromisse einzugehen, was die Ausstattung, die Größe und die Lage einer Wohnung betreffe. „Da genügen manchmal schon wenige Hundert Meter Luftlinie zwischen den Objekten.“

Ebenfalls begehrt sind die insgesamt 3950 Plätze in den insgesamt 23 Wohnanlagen des Studierendenwerks Hamburg, des größten städtischen Anbieters von möbliertem Wohnraum. Derzeit stehen 1453 Studenten auf den Bewerberlisten um einen Platz in einem Wohnheim, der je nach Ausstattung und Größe zwischen 233 (Standard, mö­bliert) und 355 Euro (Neubau) im Monat kostet. Doch nur rund 8,2 Prozent der Studierenden erhalten in Hamburg einen Platz – damit liegt die Hamburger Unterbringungsquote gut 1,8 Prozentpunkte unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Daher will das Studierendenwerk sein Angebot in den kommenden vier Jahren um 640 Plätze erweitern. „Zum Wintersemester 2017 wird die Wohnanlage Sophie-Schoop-Haus in Neuallermöhe mit 266 Plätzen eröffnet“, sagt der Geschäftsführer des Studierendenwerks Hamburg, Jürgen Alle­meyer. „Darüber hinaus sind am Standort HafenCity und in Wilhelmsburg weitere Wohnanlagen geplant.“

Grundsätzlich bekämen diejenigen, die flexibel sind und sich für mehrere Wohnanlagen des Studierendenwerks bewerben, schneller die Chance, in ein Zimmer einzuziehen, als diejenigen, die sich auf eine ganz bestimmte Wohnanlage fokussierten. „Die Anzahl der Bewerber auf unserer Liste geht dann in den Wochen nach Beginn des Wintersemesters deutlich zurück. Die Studierenden finden im Laufe der Zeit eine Wohnung, häufig aber zu teuer und in ungünstiger Lage. Wir gehen aber davon aus, dass mit unseren Planungen von insgesamt rund 640 weiteren Plätzen ein bedarfsgerechtes Angebot erreicht wird.“

Aus Sicht der CDU-Bürgerschaftsfraktion reicht es jedoch nicht aus. CDU-Wissenschaftsexperte Carsten Ovens verweist dabei auf die kontinuierlich abnehmende „Unterbringungsquote“. Er hat errechnet, dass Hamburg 1791 zusätzliche Wohnheimplätze benötigen würde, um zumindest auf den bundesweiten Durchschnittswert zu kommen. Und um zu einem Spitzenreiter in der Versorgung wie München aufzuschließen, seien sogar 2781 weitere Wohnmöglichkeiten nötig. Am Montagabend hat die CDU-Fraktion daher einen Antrag beschlossen, mit dem der Senat aufgefordert werden soll, bis 2020 mindestens 1800 zusätzliche Wohnheimplätze zu schaffen. Das, so Ovens, könne sowohl durch das Studentenwerk geschehen als auch in öffentlich-privater Partnerschaft (PPP-Projekte).

Besondere Probleme bekommen bei der Wohnungssuche diejenigen Studenten, die ihren Studienplatz über das Nachrückverfahren erhalten und sich bisher noch gar nicht um eine Bleibe kümmern konnten. Für solche „Härtefälle“ bietet das Studierendenwerk sogenannte „Last-minute-Zimmer“ an (siehe Artikel rechts). 2013 wurden sogar „Notbetten“ in einer Turnhalle bereitgehalten, um Studierenden zumindest ein Dach über dem Kopf zu bieten. Doch diese Übernachtungsmöglichkeit wurde nur sehr vereinzelt genutzt und für die folgenden Jahre nicht nachgefragt. Für dieses Jahr sind Notbetten daher nicht geplant – auch nicht in ausrangierten Überseecontainern, mit denen beispielsweise die Berliner das Wohnproblem der Studierenden in der Hauptstadt lindern wollen.

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