Serie, 12. Teil: Wer pflegebedürftig wird, möchte möglichst lange daheim bleiben. Möglich machen es mehr als 300.000 Osteuropäer, die in Deutschland oft rund um die Uhr pflegen. Aber ist das überhaupt legal?

Die Angebote aus dem Internet klingen verlockend. Wer „24 Stunden Pflege“ googelt, kann sich vor der Flut von Anzeigen kaum retten. „24 Stunden Pflege ganz legal“, „Liebevolle 24-Stunden-Betreuung durch osteuropäische Pflegekräfte“ – so oder ähnlich trommeln Vermittlungsagenturen für ihre Dienste. Und fast immer ist die Anzeige mit einem Bild einer ausnehmend hübschen Pflegerin versehen, die sich liebevoll um ihre deutsche Klientin kümmert.

Die Anzeigen haben indes einen gewichtigen Schwachpunkt. Sie werben häufig für ein Arbeitsmodell aus der juristischen Grauzone, mitunter sogar aus der Illegalität. Der Beliebtheit tut dies keinen Abbruch. Offizielle Statistiken gibt es nicht. Die Gewerkschaft Ver.di schätzt, dass 330.000 Familien in Deutschland eine Betreuungskraft aus Osteuropa engagiert haben.

Der Werbespruch „24-Stunden-Pflege ganz legal“ suggeriert, dass die beauftragte Osteuropäerin (wir beziehen Betreuungskräfte aus Polen hier ein, obwohl das Land geografisch zu Mitteleuropa gehört) rund um die Uhr eine Person pflegt. Das ist aus zwei Gründen illegal. Zum einen darf die Betreuungskraft gar keine Behandlungspflege verrichten wie etwa Verbände legen, Injektionen setzen oder Blasen­spülungen machen. Es geht hier ausschließlich um pflegerische Alltagshilfe wie Assistenz beim An- und Auskleiden, beim Toilettengang und bei der Körperpflege (Baden, Waschen, Duschen, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren) und Hilfe bei der Hauswirtschaft. Vor allem aber widerspricht ein 24-Stunden-Einsatz dem deutschen Arbeitsrecht mit Maximal-Arbeitszeiten und Urlaubsanspruch. Wer wirklich eine legale Betreuung rund um die Uhr organisieren will, müsste im Schichtsystem drei oder gar vier Pflegekräfte engagieren – eine eher praxisferne Vorstellung.

In der Praxis gibt es drei Modelle für Betreuungskräfte aus Osteuropa. Zudem existiert leider weiterhin die Schwarzarbeit, also ohne Arbeitsvertrag, ohne Steuern, Sozialabgaben. Da diese Form der Beschäftigung aber so offenkundig illegal und damit kriminell ist, klammern wir diese gleich aus.

Selbstständige Haushalts-

und Betreuungskräfte

Hier engagiert die Familie über einen Dienstleistungsvertrag eine Betreuungskraft aus Osteuropa, die sich in ihrem Heimatland über eine Gewerbeanmeldung selbstständig gemacht hat. Die Sozialabgaben führt sie in ihrem Heimatland ab, dort wird auch die Krankenversicherung abgeschlossen.

Die Verbraucherzentrale nennt das Modell dennoch „hochriskant“. Der Hintergrund: Die Betreuungskraft muss über Zeit und Ausführung ihrer Arbeit selbst bestimmen können, was bei einer vereinbarten Dauerbetreuung sowie dem Wohnen beim Pflegebedürftigen kaum vorstellbar ist. Daher besteht der starke Verdacht der Scheinselbstständigkeit. Wenn das auffliegt, sind neben hohen Bußgeldern Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen fällig. Und das Risiko ist real, ganz besonders bei Streitigkeiten mit einem Nachbarn, der sich mit einem schnellen Tipp an den Zoll für seinen Ärger um den ständig kläffenden Hund revanchieren könnte.

Mit welcher Chuzpe manche Vermittler auftreten, zeigt das Beispiel einer Agentur, die genau dieses Modell im Internet als „kostengünstigste legale Variante“ preist und dann darüber klagt, dass in „manchen Gemeinden die Betreuerinnen automatisch als scheinselbstständig eingestuft“ würden. Daher würde man in diesen Gebieten auf dieses Modell verzichten.

Das Entsendemodell

Eine Betreuungskraft aus Osteuropa über eine ausländische Agentur zu engagieren ist das am häufigsten angewandte Modell. Das Geschäftsprinzip ist auch legal: Die EU-Entsenderichtlinie gestattet, dass ein Unternehmen für maximal zwei Jahre eine Betreuungskraft entsenden darf. Danach muss sie mindestens zwei Monate pausieren. In der Regel wechseln die Kräfte alle zwei oder drei Monate. Denn sie haben fast alle selbst Familie in ihrer Heimat.

Ihren Lohn erhält die Mitarbeiterin von der Agentur, Steuern und Sozialversicherungsabgaben werden an das Heimatland abgeführt. Da die Betreuungskraft jedoch in Deutschland arbeitet, gilt sehr wohl das deutsche Arbeitsrecht, was die Arbeitszeiten und vor allem den Mindestlohn angeht. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat bei einer 38,5-Stunden-Woche sowie dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro einen monatlichen Bruttolohn von 1418 Euro errechnet. Dazu kommen noch der im Entsendeland anfallende Arbeit­geberbetrag, Fahrtkosten sowie der Gewinn des Entsendeunternehmens. Daher sollte jedes Angebot eines Unternehmens von unter 2000 Euro im Monat hellhörig machen, denn dann wird wahrscheinlich ein illegaler Dumpinglohn gezahlt. Ganz wichtig: Die Betreuungskraft braucht eine sogenannte A1-Bescheinigung, die nachweist, dass sie in ihrem Heimatland sozialversichert ist.

Es gibt noch ein weiteres Problem bei diesem Modell: Da die Betreuungskraft bei der Agentur angestellt ist, müsste juristisch gesehen alle Absprachen für die Betreuung mit der Agentur getroffen werden. Wer also möchte, dass der pflegebedürftige Papa früher ins Bett gebracht werden soll, wäre rechtlich verpflichtet, die Agentur in Osteuropa zu kontakten, die dann wiederum mit der Mitarbeiterin spricht. Denn wer direkte Anweisungen erteilt, übt das Weisungsrecht aus und würde damit als Arbeitgeber gelten; die Betreuungskraft wäre also scheinselbstständig.

Die deutsche Familie als Arbeitgeber

Rechtlich gesehen die beste Form: Die Familie schließt mit der Pflegekraft aus Osteuropa einen Arbeitsvertrag ab. Darin werden Lohn, Arbeitszeit und die Tätigkeit festgelegt. Agenturen, die sich auf die Entsendung osteuropäischer Pflegekräfte spezialisiert haben, diskreditieren dieses Modell gern als zu kompliziert, zu bürokratisch und zu teuer.

Sehr bewusst wird dabei unterschlagen, dass etwa der Internationale Personalservice der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) unter dem Dach der Agentur Haushaltshilfen vermittelt. Diese Dienstleistung ist kostenlos, zudem kooperiert die ZAV seit Jahren mit europäischen Arbeitsverwaltungen, hat also die entsprechenden Kontakte. Auf einem einfachen zweiseitigen Formular kann die Familie ihre Wünsche (Sprachkenntnisse, Tätigkeiten wie zum Beispiel Hilfe beim An- und Ausziehen) sowie die Konditionen (Bruttogehalt, Stundenzahl, Unterkunftsart) eintragen. Die ZAV schlägt dann geeignete Bewerber vor. Ausdrücklich weist die ZAV darauf hin, dass die Bestimmungen zum deutschen Arbeitsrecht eingehalten werden müssen. Die Arbeitszeit darf 38,5 Stunden, verteilt auf sechs Arbeitstage die Woche, nicht überschreiten, der Urlaubsanspruch beträgt 30 Tage pro Jahr. Mit Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherung liegen die Kosten für die deutsche Familie bei ungefähr 2200 Euro im Monat, dazu kommt noch die Unfallversicherung – alles unter der Voraussetzung, dass Unterkunft und Verpflegung frei sind.

Alle Modelle haben zwei
Gemeinsamkeiten:

Da die Betreuungskräfte keine Behandlungspflege machen dürfen, kann nur das Pflegegeld beantragt werden. Dieses ist abhängig vom Grad der Pflegebedürftigkeit, nach der Pflegereform im kommenden Januar steigt es monatlich auf maximal 901 Euro im höchsten Pflegegrad. Zudem können 20 Prozent der Aufwendungen für eine angestellte Betreuungskraft (maximal 4000 Euro im Jahr) von der Steuer abgesetzt werden.

Die deutschen Arbeitszeiten sind einzuhalten, dies darf auch nicht durch Bereitschaftsdienste umgangen werden. Eine 24-Stunden-Betreuung kann also nur in Kombination mit einem ambulanten Pflegedienst, einer Tagespflegeeinrichtung oder Betreuung durch Angehörige sichergestellt werden.

Allerdings geht es hier um weit mehr als Juristerei. Entscheidend ist die Frage, ob der Pflegebedürftige überhaupt mit einer fremden Person unter einem Dach wohnen möchte. Viele Senioren können sich damit kaum anfreunden. Und auch wenn Werbesprüche wie „Meine Aufgabe sehe ich im Einsatz für alte Menschen“ anderes suggerieren, gilt doch, dass fast alle Betreuungskräfte aus Osteuropa aus wirtschaftlicher Not in Deutschland arbeiten. Eine Agentur warnt auf ihrer Homepage vor der Illusion, dass „Betreuerinnen aufopferungsvolle Wesen wie Mutter Teresa“ seien.

Hinzu kommt das Sprachproblem. Viele Betreuungskräfte sprechen nur rudimentär Deutsch, was gerade pflege­bedürftige Menschen mit großem Redebedürfnis bitter frustrieren kann. Entsprechend groß ist die Konfliktgefahr, in Pflege-Foren gibt es Hunderte von Einträgen, wo über „unfreundliche Betreuerinnen“, „mangelnden Einsatz“ und „versuchten Betrug bei der Haushaltsführung“ geklagt wird.

Die andere Seite der Medaille erleben christliche und gewerkschaftsnahe Beratungsstellen für Betreuungskräfte aus Osteuropa. Dort ist die Rede von Betreuerinnen, die unter fast sklavenähn­lichen Bedingungen in deutschen Haushalten schuften müssten. Hinzu kommt, dass manche Agenturen ihre Mitarbeiter abzocken. Zu den beliebten Tricks zählt, dass nur ein kleiner Teil als Lohn, der überwiegende Teil aber als Tagesspesen ausgezahlt wird. Vorteil für die Agentur: Die Spesen sind sozialversicherungsfrei. Und mitunter stellen Betreuerinnen erst nach Jahren fest, dass in ihre Rentenversicherung ihres Heimatlandes nur Minibeträge eingezahlt wurden. Zudem sind viele Hilfskräfte für den Job in Deutschland oft völlig überqualifiziert, entsprechend groß ist der Frust gerade bei Akademikerinnen. Die Sehnsucht nach der eigenen Familie im Heimatland tut ein Übriges, viele Betreuungskräfte haben selbst kleine Kinder. Mitunter wird dies erst durch den Gedanken an einen möglichen Rollentausch: Wie würden wir es verkraften, wenn der eigene Mann, die eigene Frau, die Mutter, der Vater ständig über Wochen ins Ausland reisen würde, um sich dort um eine hochbetagte, ihm völlig fremde Person zu kümmern? Und das alles nur, damit die eigene Familie wirtschaftlich durchkommt.

Dennoch gibt es ohne Frage auch viele Beispiele eines sehr harmonischen Zusammenlebens, mitunter entstehen Freundschaften. Vor allem dann, wenn der Betreuungskraft selbstverständliche Rechte wie eine echte Rückzugsmöglichkeit ohne Rufbereitschaft sowie das kostenlose Skypen mit den Angehörigen im Heimatland über den Flatrate-Tarif der deutschen Familie eingeräumt wird.

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