Hamburg. Vor zehn Jahren begannen die Vorbereitungen für die Bauausstellung 2013 in Wilhelmsburg. Doch die Arbeit geht immer noch weiter – der Stadtteil ist ein Experimentierfeld für moderne Stadtplanung geworden. Die ersten Erfolge sind längst sichtbar

Es würde eine Art Experiment werden. Und es würde Widerstände geben. Das war dem Stadtplaner Uli Hellweg wohl klar, als er vor genau zehn Jahren am 1. September mit zunächst nur einer Handvoll Mitarbeiter die ersten Büros der neuen städtischen Gesellschaft mit dem Namen IBA bezog, die im Auftrag des Senats fortan den sogenannten Sprung über die Elbe in der Stadtentwicklung organisieren sollte. IBA – das Kürzel für die in den Folgejahren geplante Internationale Bauausstellung im Süden der Stadt und vor allem in Wilhelmsburg brachte eben auch Kritiker auf den Plan. Die Hafenlobby etwa, die um ihre Areale am Wasser fürchtete, wenn sich neue Wohngebiete dort breit- machen würden. Und Aktivisten, für die das Wort IBA nur ein anderer Begriff für Verdrängung und Mietsteigerung war. Wenn die Stadtplaner von „Aufwertung“ sprachen, erschien das manchen auf der Elbinsel wie ein Alarmsignal. Andere aber begrüßten den Schritt. Wilhelmsburg war 2006 eben schon lange ein gebeutelter Stadtteil. 1962 ertranken hier bei der großen Sturmflut die meisten der Hamburger Opfer, viele Wilhelmsburger zogen später weg, Mi­granten folgten. Industrie und Hafen prägten die Insel, die eigentlich so stadtnah ist und doch zum sozialen Brennpunkt geworden war. „Hilferuf aus der Bronx“, hieß 2000 ein Slogan einer Informationsveranstaltung in Wilhelmsburg, als ein Kampfhund ein Kleinkind totgebissen hatte und die Diskussion um die Zukunft des Stadtteils die Schlagzeilen beherrschte.

Würde die IBA es schaffen, das Image zu drehen? Das war dann sechs Jahre später die große Frage. Am 9. September will der Senat nun den Startschuss für die IBA vor zehn Jahren mit einem großen Festakt feiern. Zeit für eine Bilanz also.

Doch vor einer Rückschau und einer Rundfahrt am gestrigen Donnerstag zu einigen der rund 70 Projekte im Vorfeld der 10-Jahre-Feier gibt die heutige IBA-Geschäftsführerin und Hellweg-Nachfolgerin Karen Pein lieber noch schnell einen Ausblick auf das, was noch kommt. 2013 war zwar das offizielle Präsentationsjahr der IBA. Rund 420.000 Besucher hatten die Ausstellung gesehen: Die außergewöhnlichen Gebäude in der Wilhelmsburger Mitte, wo beispielsweise mittels einer „Algenfassade“ Energie aus Mikroorganismen erzeugt wird. Ungewöhnliche Häuser, die zeigen sollen, was beim Bauen in Zukunft so machbar ist.

Von der „Bauausstellung in der Baustellung“, war seinerzeit die Rede. Die Internationale Gartenschau kam auch nach Wilhelmsburg und damit der gut 70 Hektar große Inselpark, der heute tatsächlich zu einem Ausflugsgebiet für alle Hamburger geworden ist. Ebenso die Inselparkhalle, wohin Jugendliche am Wochenende pilgern, um sich die Basketball-Spiele der „Hamburg Towers“ anschauen.

Bildungsprojekte schob die IBA an, ließ preisgekrönte Architektur für Stadthäuser umsetzen, um wieder junge Familien in den Stadtteil mit dem Schmuddel-Image zu holen. Eine 30er-Jahre-Siedlung mit 750 Wohnungen wurde von der Saga vorbildhaft modernisiert, und ein alter Hochbunker wurde zum „Energiebunker“, der gut 900 Wohnungen versorgt. Eine Milliarde Euro wurden dabei 2007 bis 2013 in Wilhelmsburg, der Veddel und im Harburger Binnenhafen investiert, sagt IBA-Chefin Pein. 700 Millionen davon von privaten Investoren.

Doch mit dem Jahr 2013 ist die IBA eben nicht beerdigt worden, weil sie ihren ursprünglichen Auftrag erledigt hatte. „Wir haben jetzt eine neue Rolle“, sagt Stadtplanerin Pein. Und tatsächlich dürfte das eigentliche IBA-Wirken bis 2013 so etwas wie eine Vorbereitung gewesen sein. Die „IBA Hamburg GmbH“ ist heute eine städtische Gesellschaft, die sich weiter auf die Stadtentwicklung südlich der Elbe konzentriert. Da ist zum Beispiel ihr Mammutprojekt „Verlegung Wilhelmsburger Reichsstraße“. Rechts und links dieser Straße, die die Elbinsel regelrecht zerschneidet, plant die IBA weiter neue Wohngebiete und Grünzüge am Wasser. „Rathausviertel“ und „Nord-Süd-Achse“ heißen die künftigen Quartiere, mit denen die heute sehr zersplitterten Siedlungsgebiete Wilhelmsburgs wieder zusammenwachsen sollen, wie Pein sagt. Und auch in Neugraben hat die heutige IBA große Wohnungsbauflächen in der Entwicklung. Dort vornehmlich mit Reihen- und Einfamilienhäusern. Die Grundstücke verkauft die IBA nur mit Vorgaben an bereits erstellte Architekten-Entwürfe. „So wollen wir Qualität schaffen“, sagt Pein. 21 Haustypen mit 54 Varianten stehen zur Auswahl. Ob es funktioniert? Pein ist zuversichtlich. 50 Prozent der Grundstücke seien verkauft, sagt sie

5000 neue Wohnungen in Neugraben und noch einmal 5000 Wohnungen in Wilhelmsburg wird die neue alte IBA voraussichtlich in den nächsten Jahren so auf den Weg bringen. Von „enormem Potenzial“, spricht Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD). Und davon, dass der „Schwung der IBA“ fortgeführt werden solle.

Das allerdings in einem schwierigen Umfeld: Container-Lager und Industriebetriebe sind mit dem ersten Etappenschritt und der eigentlichen Ausstellung vor drei Jahren ja nicht aus Wilhelmsburg verschwunden. Große Straßen gibt es dort auch nach der Verlegung oder, wie im Harburger Binnenhafenhafen, auch Werften direkt neben neuen Wohnhäusern. Eigentlich eine Mischung, die es nach dem deutschen Baurecht so gar nicht geben darf. Streng wird da unterschieden in Wohngebiet und Industriegebiet.

Diese sogenannte „Trennung der Funktionen“ von Wohnen und Arbeiten ist dabei das Leitbild, an das sich seit den 60er-Jahren die Stadtplaner im Land zu halten hatten. Und dann kam die Hamburger IBA und wollte alles mischen. „Wir haben das von Anfang als Experimentierfeld betrachtet“, sagt Oberbaudirektor Jörn Walter heute in der Rückschau. Manches, was die IBA bis 2013 geplant hatte, sei „eigentlich juristisch gar nicht möglich gewesen“.

Doch offenbar hat es funktioniert. Auch aus dem Druck heraus, der heute auf den großen Städten lastet, wenn sie immer weiter wachsen. Die Zukunft des Wachstums kann aus Sicht Walters aber nicht darin bestehen, dass sich die Stadt immer weiter ins Land ausdehnt. Man müsse vielmehr die „innere Peripherie“ entwickeln, sagt Walter und meint damit jene Gegenden, die es in vielen Städten nicht ganz am Rand, aber auch nicht ganz am Zentrum, gibt. Dort, wo die großen Ausfallstraßen Siedlungen zerschneiden. Wo die Hochhäuser wie hingewürfelt stehen und wo sich auch Gewerbe viel Platz nimmt. Gegenden, die nicht selten, so wie Wilhelmsburg, als soziale Brennpunkte beschrieben werden, weil man dort deshalb wohnt, weil es woanders zu teuer ist.

Um solche Gebiete zu entwickeln und Voraussetzungen zu schaffen, dass sie wieder zu beliebten Stadtteilen werden, brauche man andere Strukturen in der Verwaltung, sagt Walter. Eigenständige Gesellschaften wie die IBA eben. Und die Bilanz fällt aus seiner Sicht, natürlich, positiv aus. Man habe die räumlichen Voraussetzungen geschaffen, dass die Probleme in diesen Arealen gelöst werden könnten, sagt er.

Und tatsächlich dürfte die IBA schon jetzt einen Wandel geschafft haben – nicht nur wegen des Inselparks und der Inselparkhalle. Da sind zum einen mit der „Bauausstellung in der Bauausstellung“ oder innovativen Wohnhäusern wie den „Hamburger Terrassen“ direkt am Inselpark tatsächlich Wohnquartiere entstanden, die auch Familien aus Eimsbüttel oder Eppendorf nach Wilhelmsburg gelockt haben, wie IBA-Chefin Pein sagt. Klar habe es auch Mietsteigerungen auf der Elbinsel gegeben, aber nicht höher als in allen anderen Stadtteilen auch. Hingegen sei die Zahl der Arbeitslosen und Schulabbrecher im Laufe der IBA-Jahre gesunken. Das alles ließe sich natürlich nicht allein auf die IBA zurückführen, sagt IBA-Chefin Pein, ein bisschen aber wohl schon.

Ein von den IBA-Leuten in diesem Zusammenhang gern gezeigtes Beispiel ist auch das sogenannte Weltquartier. 750 Wohnungen in alten Backsteinbauten aus den 30er-Jahren umfasst es, Menschen aus mehr als 30 Nationen wohnten dort. Mit viel Fördergeld – auch von der IBA – baute das städtische Wohnungsunternehmen Saga GWG die Häuser um und quartierte die Bewohner während der Bauzeit um. Die Häuser bekamen einen deutlich besseren Energie-Standard. Und wer heute durch den Innenhof spaziert, sieht eine pittoreske Siedlung mit viel Grün und noch mehr Balkonen, die nichts mehr mit dem alten Muff zu tun haben. Die Mieten aber erhöhte die Saga nur moderat und langsam um einige Cent pro Jahr.

Immerhin rund ein Drittel der ehemaligen Mieter wohnt heute dort wieder, heißt es bei der Saga. Und die meisten der anderen seien zumindest im nahen Umfeld geblieben. IBA-Chefin Pein: „Es gab hier eine Aufwertung, ja – aber alles andere als eine Verdrängung.“