Hamburg . Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) verweist darauf, dass vor allem Einkommensschwächere Lärm- und Luftbelastung ertragen müssten – und plant nun Tempolimits und Durchfahrverbote.

Der grüne Umweltsenator Jens Kerstan gilt als rauflustig. Wenn es um seine politischen Anliegen geht, lässt der 50-Jährige den Streit in der rot-grünen Koalition auch schon mal öffentlich eskalieren. Im Abendblatt-Sommerinterview am idyllischen Kanal im Biergarten Zum Anleger in Wilhelmsburg erklärt der 50-jährige Bergedorfer, wie er für bessere Luft und weniger Lärm in Hamburg sorgen will, was die Hamburger beim Umbau der Fernwärme erwartet – und spricht über sein Verhältnis zu Olaf Scholz.

Herr Senator, Sie können es jetzt endlich zugeben: Sie haben etwas gegen Autofahrer.

Jens Kerstan: Das ist Quatsch. Ich bin ja selber einer. Bei gutem Wetter zuckel ich mit meinem alten Peugeot 206 gerne mal ohne Verdeck durch die Gegend.

Sie haben gleichwohl Fahrverbote ins Spiel gebracht, wollen mehr Tempo 30 einführen. Damit macht man sich nicht nur Freunde.

Mein Ziel sind ja nicht Fahrverbote. Mein Ziel ist es, Menschen, die an großen Straßen leben, so gut es geht, vor gesundheitsgefährdendem Lärm und Schadstoffen zu schützen. Das ist meine Aufgabe als Umweltsenator. Wenn das ohne Fahrverbote geht, umso besser. Wir erarbeiten gerade einen neuen Luftreinhalteplan, darin prüfen wir alle möglichen Varianten, auch Durchfahrverbote für Dieselfahrzeuge oder eine Verstetigung des Verkehrs durch Tempo 30 auf ihre Wirksamkeit hinsichtlich Lärm- und Schadstoffreduzierung.

Bürgermeister Olaf Scholz hat gesagt, Fahrverbote seien unsozial.

Es ist auch nicht sozial, dass eine Stadt vor allem ihre einkommensschwächeren Bürger, die oft wegen günstigerer Mieten gezwungen sind, an großen Straßen zu wohnen, massiven Gesundheitsrisiken durch Lärm und Schadstoffe aussetzt. 133.000 Hamburger sind nachts schädlichem Lärm ausgesetzt, 200.000 zu hoher Konzentration von Stickoxiden vor allem aus Dieselmotoren. Wir sind auch durch ein Gerichtsurteil gezwungen, alle Möglichkeiten zu prüfen, schnell Abhilfe zu schaffen. Ende November werden die Gutachten vorliegen, in denen steht, was welche Maßnahmen bringen.

Dann also geht der Zoff zwischen Ihnen und dem Bürgermeister in die nächste Runde?

Ich denke, wir werden uns da schon einige. Wir können das ja auch nicht machen, wie wir wollen. Es gibt die Vorgaben der EU, die uns mit einem Vertragsverletzungsverfahren im Nacken sitzt. Und es gibt Gerichtsurteile. Städte wie London, Paris oder Barcelona haben ihren Autoverkehr längst eingeschränkt. Wenn wir die Probleme in Hamburg allein mit der Stärkung des Radverkehrs und dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs lösen – prima. Wenn das nicht möglich ist, sind wir gezwungen, andere Maßnahmen zu ergreifen.

Was bedeutet „Durchfahrverbote“?

Bundesverkehrsminister Dobrindt von der CSU hat ja die Möglichkeit ins Spiel gebracht, in bestimmten, stark durch Stickoxide belasteten Gegenden allen Dieselfahrzeugen grundsätzlich die Durchfahrt zu untersagen. Ich persönlich halte das für unverhältnismäßig. Eine blaue Plakette wäre verhältnismäßiger. Die hätte Dieselfahrzeugen mit Euronorm 6 oder besser das Fahren ermöglicht. Aber Union und SPD in der Bundesregierung haben das auf Eis gelegt.

Tempo 30 wollen Sie aber auch wegen der Lärmbelastung verstärkt einführen. Auch auf Hauptstraßen, wie zu hören ist.

Ja, da geht es um ein nächtliches Tempolimit. Wir haben mit der SPD vereinbart, neben den drei Hauptverkehrsstraßen, bei denen wir Tempo 30 nachts bereits eingeführt haben, das auch bei mindestens zehn weiteren Hauptstraßen noch in diesem Jahr zu tun. Ich persönlich wäre dafür, noch weitere Straßen dazuzunehmen, um die Belastung für möglichst viele Anwohner der 40 von uns identifizierten lautesten Straßen schnell zu senken. Wir haben 21 mögliche Straßenabschnitte identifiziert, auf denen das möglich wäre und über die wir nun reden.

Die Handelskammer hat Bedenken gegen diese Pläne geäußert. Sie könnten die Wirtschaftsmetropole schwächen.

Ich glaube nicht, dass es auf diesen Straßen wegen Tempo 30 nachts zu Staus kommt. Tempo 30 sorgt ja oft sogar dafür, dass der Verkehr besser fließt.

Viele Hamburger fühlen sich im Sommer durch laute Motorräder gestört. Warum darf ein Motorrad eigentlich lauter sein als drei Lkw, wie es scheint?

Es gibt viele Motorräder, die die Grenzwerte überschreiten. Wir sind derzeit im Gespräch mit der Innenbehörde, was man da machen kann. Allerdings hat meine Partei keine guten Erfahrungen damit gemacht, den Menschen vorschreiben zu wollen, was sie zu essen oder womit sie sich fortzubewegen haben. Letztlich ist das etwas, das die Gesellschaft insgesamt diskutieren muss. Wir Grüne haben aber ein anderes Bild von der lebenswerten Stadt des 21. Jahrhunderts als etwa die SPD. Wir glauben auch, dass man Teile der City, auf denen jetzt Autos fahren oder parken, den Bürgern zurückgeben sollte. Denn die Entwicklung der Selbstfahrer-Autos ermöglicht später die gleiche Anzahl von Fahrzeugen auf weniger Fläche.

Studien kommen zu dem Schluss, junge Menschen würde kaum noch Auto fahren. Ihnen seien Smartphones wichtiger. Die Pkw-Anmeldezahlen in Hamburg sprechen eine andere Sprache. Die steigen stetig.

Das hat auch damit zu tun, dass die Stadt wächst. Aber sie steigen tatsächlich auch unabhängig davon. Man sieht aber, dass sehr viele Autos in wohlhabenden Vierteln weiter draußen angemeldet werden – und weniger innerhalb des Rings 2, wo den Menschen der Besitz eines Autos oft nicht wichtig ist. Das ist auch eine soziale Frage. Die SPD sieht das anders. Deswegen gibt es da gelegentlich Konflikte.

Die Sie ja auch gerne ausleben, besonders im Konflikt mit Olaf Scholz. Sie gelten als streitlustiger Mensch.

Ich bin eigentlich ein ganz fröhlicher und verträglicher Kerl. Ich kämpfe als Umweltsenator für Natur, Lebensqualität und Gesundheit. Immer mit offenem Visier. Wenn etwas öffentlich zur Sprache kommt, wissen alle, woran es lag. Ich finde politischen Streit auch nicht per se schlimm. Oft ist er fruchtbar. Beim dringend notwendigen Wohnungsbau vertritt die SPD andere Interessen als wir – nach einem kurzen Streit haben wir uns auf einen guten Kompromiss geeinigt.

Nämlich welchen?

Zwar wird Hamburg durch den Wohnungsbau Grünflächen verlieren. Dafür werden die bestehenden Flächen aufgewertet, etwa durch bessere Pflege.

Ärger gibt es zuletzt wieder mit dem Flughafen. Die Zahl der Anwohnerbeschwerden wegen Lärms hat einen Rekord erreicht.

Um die Anwohner zu entlasten, haben wir mit dem Flughafen eine Pünktlichkeitsoffensive vereinbart. Mit den Ergebnissen bin ich derzeit nicht zufrieden. Da müssen wir besser werden.

Mehr Dreck als Lärm machen viele Schiffe im Hafen. Sie überschlagen sich da nicht gerade mit Gegenmaßnahmen.

Wir arbeiten an der Landstromversorgung, damit die Schiffsdiesel wenigstens während der Liegezeiten nicht laufen. Mit der neuen Technik gibt es da zwar Probleme, das Thema ist uns aber weiter wichtig. Schiffsdiesel ist hochgiftig. An Land müsste der als Sondermüll entsorgt werden. Allerdings hätten wir die Probleme mit Stickoxid in der Stadt auch ohne Hafen. Stickoxide sind so flüchtig, dass sie am Ort des Entstehens Probleme machen. Und da sind die Dieselfahrzeuge die Hauptverursacher.

Sie sind ja quasi auch Müllsenator. Beim Recycling sind die Hamburger noch immer ganz schlecht. Was tun?

Die Stadtreinigung erhöht jetzt den Druck auf die Vermieter, die sich immer noch weigern, Biotonnen aufzustellen, obwohl Platz da wäre und Mieter dies wünschen. Zur Not werden jetzt Tonnen gegen den Willen der Grundeigentümer aufgestellt. Es kann ja nicht sein, dass die Vermieter sich weigern, etwas für die Umwelt zu tun – und die Mieter dafür höhere Gebühren zahlen müssen, weil alles im Restmüll landet.

Auch das Thema Energie fällt in Ihr Ressort. Im Herbst steht die Entscheidung an, wie es mit der Fernwärme in Hamburg weitergeht. Was erwartet uns?

Wir wollen uns möglichst noch im Oktober mit Vattenfall auf ein Konzept einigen. Klar ist, dass wir kein neues großes Kraftwerk in Wedel bauen. Wir wollen die nötige Fernwärme durch viele dezentrale Anlagen gewinnen. Dabei spielt industrielle Abwärme eine Rolle, möglicherweise von Aurubis, außerdem stärkere Nutzung von Biomasse und Müllverbrennung. Zudem werden wir bis zu etwa einem Dutzend mit Gas betriebene dezentrale Block-Heizkraftwerke bauen, die Wärme und Strom liefern sollen.

Die Dinger sind ziemlich laut und etwa so groß wie Turnhallen. Glauben Sie, die Anwohner freuen sich schon darauf?

Als Standorte kommen ja vor allem Gewerbegebiete in Betracht, etwa in Stellingen oder am Haferweg. Leider geben sie auch Stickoxide ab. Und angesichts der unklaren Marktlage ist unsicher, ob sie sich in fünf Jahren noch rentieren. Deswegen wollen wir so wenig Blockheizkraftwerke wie möglich bauen.

Ändern sich die Preise für die Kunden durch den im Volksentscheid beschlossenen Umbau des Fernwärmesystems?

Wir werden uns für keine Lösung entscheiden, die Preiserhöhungsdruck auslöst. Aber wir können grundsätzlich jegliche Preiserhöhung nicht ausschließen.

Was heißt das?

Es wird höchstens solche Erhöhungen geben, wie der Markt sie auch in den vergangenen Jahren schon erzwungen hat.

Sie fliegen oft in den Urlaub nach Mallorca. Darf man das als Umweltsenator?

Meine persönliche Lebens-Umweltbilanz ist gut. Ich fahre sehr wenig Auto und verhalte mich auch sonst umweltfreundlich. Auf Mallorca hat meine Familie seit Jahrzehnten ein Ferienhaus. Ich liebe diese Insel. Und da begehe ich gelegentlich diese Flug-Sünde, für die ich freiwillig eine Klimaabgabe zahle.

Bürgermeister Scholz rudert ja regelmäßig zur Entspannung. Haben Sie es schon einmal mit ihm aufgenommen?

Nee, ich selber bin Läufer. Ich versuche zweimal pro Woche zu Hause in Bergedorf zu joggen. Da bekomme ich den Kopf am besten frei, um ...

... besser mit Scholz in den Clinch gehen zu können?

(lacht) Das ist nicht nötig. Menschlich haben wir ein gutes Verhältnis. Aber ein klarer Kopf hilft in jeder Lebenslage.