Rio de Janeiro. Nach dem perfekten Abschluss hat Olympiasieger Fabian Hambüchen seinen Frieden mit seiner internationalen Karriere gefunden. Er kann seinen geschundenen Körper nun schonen – und will das Rio-Reck behalten

Es hat eine ganze Weile gedauert, bis Fabian Hambüchen überhaupt damit anfangen konnte zu verstehen. Zu überwältigend, zu spektakulär und auch ein bisschen zu kitschig war sein Olympiasieg am Reck geraten. Sein letzter großer Auftritt seiner internationalen Karriere war es ja am Dienstagabend in Rio de Janeiro gewesen. Und das, obwohl sein Körper noch im Frühjahr eigentlich signalisiert hatte, dass es wohl nichts werden würde mit der Teilnahme an den Spielen. Nun, mit immerhin ein klein wenig Abstand nach dem Überschwang der Gefühle, gelang erstmals so etwas wie eine Besinnung.

„In solch einem Moment denkst du, du kannst noch 100 Jahre weiterturnen. Doch morgen früh wird das Erwachen bestimmt nicht schmerzfrei sein“, ahnte Hambüchen. Es war auch ein Moment der Rückschau auf all die Leiden, die vor diesem großen Glück gestanden hatten. „Wir haben viel erlebt, es ist ein toller Abschluss“, sagte sein Vater Wolfgang Hambüchen, der seinen Sohn bereits trainierte, als dieser erst fünf Jahre alt war. Und der ihn nun erstmals in einem Olympia-Finale mit einer Sondergenehmigung betreut hatte. Ihm war der Sohn im Moment des Jubels um den Hals gefallen. Das war auch ein Ausdruck von Dankbarkeit, vielleicht sogar für jene Ruhe, die der Vater ihm vor der entscheidenden Reckübung mitgegeben hatte. „Ich habe ihm nur gesagt, er soll einfach spielen“, erzählte der Papa.

Hambüchen hatte seine Übung danach als Erster und mit sehr viel Sicherheit vorgetragen. Nur ganz am Ende und nach einer eigentlich stabil wirkenden Landung leistete er sich einen kleinen Wackler und Ausfallschritt nach hinten. Doch seine 15,766 Punkte reichten vor Danell Leyva aus den USA, der mit 15,500 Punkten Silber gewann, und vor Nile Wilson aus Großbritannien (Bronze/15,466). Vielleicht auch, weil der Niederländer und Turnkumpel Epke Zonderland, der Hambüchen 2012 in London die Goldmedaille weggeschnappt hatte, trotz des Handicaps einer Handverletzung ins Risiko gegangen war, bei seiner Übung aber vom Reck stürzte.

Das Warten danach auf die Noten für die Konkurrenten, erzählte Hambüchen, sei beinahe unerträglich gewesen. Dass es mit Gold klappte, „im allerletzten Event, ist Wahnsinn. Ich habe als Kind davon geträumt, Olympiasieger zu werden. Das ist die Erfüllung dieses Traums.“ Vor ihm war das am Königsgerät nur dem Berliner Andreas Wecker 1996 in Atlanta gelungen. Nun darf sich Hambüchen als zweiter Deutscher Reck-Olympiasieger nennen.

„So kann man definitiv abtreten“, sagte der 28-Jährige aus Wetzlar. Das Siegerreck von Rio will er behalten. „Ich bin nach der Mixed-Zone mit meinem kanadischen Kumpel noch mal in die Halle gegangen, um das Reck zu fotografieren. Da kam mir der Gedanke: Hey Alter, das Ding musst du kaufen“, erläuterte er zu später Stunde bei der Party im Deutschen Haus seine Pläne. Es wird ihn wohl nichts kosten. Hersteller Spieth Gymnastics will Hambüchen das Gerät schenken. Den Transport übernimmt die Lufthansa. „Das freut mich riesig, ich weiß diese nette Geste sehr zu schätzen“, sagte Hambüchen. Er will das Reck signieren und in seiner Wetzlarer Trainingshalle aufstellen, als Motivation für den Nachwuchs. „Und es ist auch ein Dankeschön an meinen Verein.“

Für den erfolgreichsten deutschen Turner war der Dienstag der perfekte Abschluss seiner internationalen Karriere, 13 Jahre nach seiner ersten Weltmeisterschaft und nach 27 internationalen Titeln. National hatte er gar 40 deutsche Meisterschaften angehäuft, die letzte Ende Juni in Hamburg.

Nun, nach dem letzten Abgang auf großer Bühne, erlebte er das Glück des späten Goldes, auch nach vielen Finalniederlagen zuvor. Der olympische Medaillensatz ist komplett. Vor vier Jahren in London war es Silber geworden, 2008 in Peking Bronze. Aufgefallen war er aber schon als 16-Jähriger bei seinen ersten Olympischen Spielen 2004 in Athen. Durch seine beachtliche Qualifikation für das Finale, aber auch durch seine Brille, die er dabei trug. Professor wurde er danach genannt, auch Harry Potter.

„Das war die geilste Zeit in unserem Leben. Da machen wir jetzt einen Haken dran“, sagte er über sich und seinen Vater, der sich bei den Feierlichkeiten im Deutschen Haus in Rio im Hintergrund hielt. Auch Wolfgang Hambüchen hatte noch im Februar arge Zweifel gehabt, ob sein Sohn in Rio überhaupt würde teilnehmen können: „Er konnte ja vor Schmerzen nicht einmal die Kühlschranktür öffnen.“

Bei einem Trainingsunfall war eine Sehne in der Schulter angerissen, Hambüchen fürchtete gar, dies könne das Karriereende bedeuten.

IOC-Präsident Bach vermittelte Kontakt zu Müller-Wohlfahrt

Die Sehne ist immer noch angerissen, sie operativ zu flicken, dafür reichte die Zeit vor Olympia nicht. Aber die Entzündung in den Griff bekommen, das war möglich – und gelang. Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, hatte Hambüchen im März persönlich angerufen und angeboten, den Kontakt zu Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt herzustellen. Dreimal ließ sich Hambüchen bei dem früheren Bayern-Arzt behandeln, dazu unzählige Male von seinem Physiotherapeuten Cyrus Salehi, den Hambüchen nur den „Mann mit den goldenen Händen“ nennt.

Es war die einzige Chance für seinen geschundenen Körper, noch einmal Höchstleistungen vollbringen zu können. Dass es aber so gut klappt, hätte Hambüchen selbst nicht gedacht. „Es hätte andersrum laufen müssen, Gold in Peking, Silber in London, und jetzt noch Bronze hinterherschießen. Das wäre realistisch“, hatte er kurz vor Olympia in einem „Spiegel“-Interview gesagt. Nun wurde es ein spätes und etwas unwirkliches Gold.

Hambüchen will seinen Körper jetzt mehr schonen, aber noch nicht komplett aufhören. „Sicherlich wird man mich nicht von heute auf morgen ganz von den Geräten wegkriegen“, sagte er. In der Bundesliga werde er vielleicht weiterhin antreten – nach einer Pause natürlich, „denn die Turnhalle werde ich erst mal nicht mehr sehen“.

Im Herbst wird Fabian Hambüchen am Koblenzer Asterstein-Gymnasium als Vertretungslehrer anfangen. „Den Job hat mir ein Kumpel vermittelt, und ich werde das als Praktikum nutzen. Ich freue mich darauf, das wird eine ganz neue Erfahrung.“ Ob er später die Trainerlaufbahn einschlägt oder im Sportmanagement arbeitet, hat er noch nicht entschieden. Sein Sportstudium in Köln will er wieder intensivieren. Dort kann man ihn sicherlich gut gebrauchen. Viele Kommilitonen haben am Reck schon mit einem Aufschwung große Probleme.