In Hamburg wird demnächst eine Volksinitiative zur Unterbringung von Flüchtlingen starten. Der Rissener Ingenieur Klaus Schomacker führt die Bürgerinitiativen an. Ein Porträt

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er Wind weht scharf aus Richtung Osten. Von Hamburg kommend immer die Elbe hinunter. Die fahle Wintersonne wärmt kaum. Klaus Schomacker hat den Kragen seines Wintermantels hochgekrempelt und stapft leicht gebückt durch den Elbsand bei Wittenbergen. „Ich bin gern hier“, sagt der 61-Jährige. Zwei Stunden kann so ein Spaziergang dauern. „Am liebsten, ohne ein Wort zu sagen und nur den eigenen Gedanken nachhängen.“

Wer Klaus Schomacker vor ein paar Monaten vorausgesagt hätte, er würde wenig später zu einer politisch wichtigen Person in dieser Stadt werden, dem hätte er auf seine freundliche, aber bestimmte Art widersprochen. Doch dann beschloss der rot-grüne Senat, in Rissen – dort wohnt der gelernte Ingenieur – einen über Jahre ausgehandelten Bebauungsplan über Bord zu werfen und mehrere Hundert Flüchtlinge an einem Ort unterzubringen.

Schomacker ist weit herumgekommen in der Welt. Er hat für Daimler Aero­space bei Flughafenprojekten mitgearbeitet, mit Kunden und Anbietern aus aller Herren Länder verhandelt. In diesen Jahren lernte er viel über andere Kulturen, vor allem darüber, wie man mit ihnen umgeht.

Ihn treibt um, dass in großen, abgeschotteten Unterkünften Integration von Geflüchteten nicht gelingen kann. Anstatt sich zurückzulehnen und abzuwarten, wurde er aktiv und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Bürgerinitiative Rissen. „Ich bin überzeugt davon, dass man für das, was man als richtig erkannt hat, eintreten muss.“

Inzwischen ist Schomacker Sprecher des Dachverbands von 15 Bürgerinitiativen. Diese eint der Widerstand gegen Pläne des Senats, in unmittelbarer Nachbarschaft größere Flüchtlingsunterkünfte zu errichten. Was anfangs von den politisch Mächtigen als Wutbürger belächelt wurde, hat sich längst zu einer außerparlamentarischen Opposition entwickelt, deren Kraft im Augenblick vor allem darin besteht, dass niemand sie genau einschätzen kann.

Nun plant der Verband eine Volksinitiative für eine gute Integration der Flüchtlinge und gegen deren Unterbringung in Großsiedlungen. Mit diesem ersten Schritt auf dem Weg zu einem Volksentscheid haben die Bürgerinitiativen die Rathausparteien aufgeschreckt. In der vergangenen Woche traf man sich zu einem ersten Gespräch – und Klaus Schomacker war als einer der Wortführer dabei.

Auch wenn der 61-Jährige es im Gespräch von sich weist, wird er in der Öffentlichkeit inzwischen als Anführer wahrgenommen. Als jemand, der das unzufriedene Volk gegen jene im Rathaus vertritt, die noch vor Jahresfrist mit komfortabler Mehrheit in die Regierung gewählt wurden. Die aber, so zumindest sieht es eine wachsende Zahl der Wähler, nicht mehr die Interessen des Volkes vertreten.

Schomacker weiß darum, wie rasch Kritik an der aktuellen Flüchtlingspolitik von Rechtspopulisten missbraucht werden kann. Auch deshalb wiederholt er – bei internen wie öffentlichen Auftritten: Eine Zusammenarbeit mit der Alternative für Deutschland komme für ihn nicht infrage. Und wenn doch mal einer der Mitstreiter sich im Ton vergreifen sollte? „Dann sagen wir klar und deutlich, dass wir Ausländer­feindlichkeit oder auch Fremdenfeindlichkeit strikt ablehnen. Wir sind für Integration. Wir wollen, dass Inte­gration gelingt.“

Schomacker redet nicht um den heißen Brei herum. Abgesehen von seinen Erlebnissen auf seinen Dienstreisen, ist es sein Pragmatismus, der ihn resistent gegen Heilsversprechen aus der rechten oder linken politischen Ecke macht. „Ich bin Ingenieur. Da ist die Realität die Basis des Denkens.“

Für einen Populisten ist Klaus Schomacker zudem viel zu trocken. Wenn er auf der Bühne steht und zu den Mitgliedern der Bürgerinitiativen spricht, ist er weit davon entfernt, wie ein Gerhard Schröder die Massen zu begeistern. Seine Worte sprechen eher den Verstand als die Emotionen an.

Wer mit dem Ingenieur ein paar Stunden verbringt, der erlebt das Sperrige in ihm. Das ist keiner, der offenherzig auf Menschen zugeht, sondern der Zeit braucht für Vertrauen. Der auf Worte seines Gegenübers hört, zugleich weiß, was er will und was nicht.

1954 wurde Klaus Schomacker in Franzenburg, einem kleinen Dorf am Rande von Cuxhaven, geboren. „Mein Vater hatte Maurer gelernt, war aber im Zweiten Weltkrieg schwer verwundet worden.“ Seine Eltern betrieben daher einen kleinen Tante-Emma-Laden mit bis zu 3000 Produkten. „Von Lebensmitteln über Socken bis hin zu Bezugstoff für Hüte gab es hier das, was eine Dorfgemeinschaft nachfragte.“

Es war selbstverständlich, dass der Sohn im Geschäft aushalf. „Unser Laden war die Kommunikationszentrale des Dorfes.“ Seinen Besitzern wurde so manches Geheimnis zugetragen, immer auch im Vertrauen, dass es nicht weitererzählt wird. „Ich habe damals begriffen, wie wichtig Offenheit und Transparenz sind, wenn man ein öffentliches Ziel verfolgt.“

Schomacker interessierte sich bereits als Schüler brennend für Politik. Anfang der 70er-Jahre, Bundeskanzler Willy Brandt regierte in Bonn, war im Nachkriegsdeutschland vieles in Bewegung geraten. Die Jugend rebellierte, und in den Parteien wurden die Jugendorganisationen zur Keimzelle des neuen Denkens. Klaus Schomacker arbeitete im Kreisvorstand der Cuxhavener Jungsozialisten und war Fan von Brandt. „Wer war das damals nicht?“

Seine Affinität zu allem Technischen führte dazu, dass er sich früh mit Atomkraftwerken und ihren Risiken auseinandersetzte. Stade und Brunsbüttel – in der näheren Umgebung wurden Anfang der 70er-Jahre gleich zwei Meiler errichtet. „Es war die Zeit, in der ich mir Gedanken über den Sinn meines Lebens machte“, erzählt Schomacker. Auch wenn ihn moderne Technik faszinierte, so traute er ihr – zumindest bei den Atommeilern – nicht so ohne Weiteres über den Weg.

Den Wunsch seiner Eltern, das Geschäft zu übernehmen, erfüllte der einzige Sohn nicht. Stattdessen studierte er in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre an der Fachhochschule Wilhelmshaven Ingenieurwissenschaften. „Die lagen mir mehr als die Welt eines Kaufmannsladens.“

Auch wenn er der aktiven Politik den Rücken kehrte, blieb Klaus Schomacker zunächst in der Gewerkschaft aktiv. Mehrere Jahre arbeitete er für die IG Metall in einem Wissenschaftsprojekt über Rüstungskonversion mit. Viel später machte er sich als Coach selbstständig und schult unter anderem Betriebsratsmitglieder in Verhandlungsführung.

„Es ist eigenartig, dass ich nach so vielen Jahren in den Mittelpunkt einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung zurückkehre“, sagt er heute. Unglücklich ist er darüber nicht. „Ich mag Widerspruch, weil er mir hilft, den eigenen Standpunkt klarer zu sehen und eigene Argumente zu schärfen.“

Eines seiner wichtigsten Argumente besteht darin, dass die Integration von Tausenden Geflüchteten nicht gelingen werde, wenn man sie in isolierten Siedlungen unterbringe. „Ohne eine hilfsbereite Nachbarschaft wird Integration nicht funktionieren.“

Dazu aber sei unabdingbar, die Menschen vor Ort anzuhören und in die Planung einzubeziehen. „Und zwar nicht, indem man sie auf Bürgerversammlungen darüber informiert, was im Rathaus beschlossen wurde, sondern indem man mit ihnen zusammen nach geeigneten Flächen für Flüchtlingsunterkünfte sucht und sich genau anschaut, wie viele Flüchtlinge ein Ortsteil aufnehmen kann.“

Schomacker verweist auf den Verteilungsschlüssel, den die Rissener Bürgerinitiative in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern erarbeitet hat. Für jeden der 104 Hamburger Stadtteile wurden Daten wie Einwohnerzahl, Fläche, soziale Stärke und Infrastruktur zusammengetragen. „Damit haben wir einen guten Überblick, welcher Stadtteil schon viel Integrationsarbeit leistet und welcher nicht.“

Schomacker weiß um Herausforderungen von Integration. Als Ingenieur hat er gelernt, „dass man bei der Lösung eines Problems vom Ende her denken muss“. Was soll herauskommen? Was ist der beste Weg, um diese Lösung zu erreichen? Was sind die realistischen Bedingungen, unter denen man diesen Weg geht?

Seine Tätigkeit als Coach hilft ihm, Emotionen im Griff zu behalten. „Wenn ich ein Ziel verfolge, muss ich die Rahmenbedingungen beachten und darauf mein Handeln ausrichten.“ Dazu gehöre, „die Landkarten der anderen zu verstehen“, sagt Schomacker. Das bedeutet, dem Gegenüber mit Vorschlägen zu kommen, bei deren Annahme er das Gesicht wahren kann. „Das setzt voraus, dass man sich in die Position des amnderen versetzt und versucht, seine Motive zu ergründen.“

Schomacker erkennt die Herausforderungen der Stadt an. „Wir haben keine Meinungsverschiedenheit über die gesetzliche Verpflichtung, die Flüchtlinge unterzubringen.“ Müsse das aber in Großsiedlungen geschehen?, fragt er. „In Einrichtungen mit mehreren Hundert Containern und mehreren Tausend Flüchtlingen?“

Wie gesagt, Schomacker ist kein Populist, wie Ronald Barnabas Schill einer war. Seine Stärke liegt nicht in seinem Charme – auch wenn dem seine Ehefrau wohl widersprechen würde. Stattdessen sitzt einem da jemand gegenüber, der weiß, wie Konflikt­management funktioniert. Der weiß, dass es in Verhandlungen, zumal, wenn sie öffentlich geführt werden, auch um Macht geht. „Macht ist nötig, um Interessen durchzusetzen.“ Das treffe gerade auf die Politik und die Politiker zu.

Die Bürgerinitiativen seien bereit, sich dem Votum der Bürger zu stellen, sagt er. Ein Volksentscheid sei ja keine Einbahnstraße. „Es ist unsere Chance, eine nachhaltige Hamburger Flüchtlingspolitik einzufordern.“ Dass die Linke inzwischen davor warnt, dieses Thema sei für ein Votum des Volkes ungeeignet, darüber kann Schomacker lediglich lächeln. Und dann sagt er: „Es war doch die Linke, die seinerzeit mit am heftigsten die Einführung der Volksgesetzgebung forderte.“