Es begann mit einem Aufruf des Abendblatts: Am 20. Juli spendeten mehr als 10.000 Hamburger Kleidung, Koffer und vieles mehr für Flüchtlinge. Aus einer Lieferung in die Messehallen erwuchs später die größte Kleiderkammer der Stadt. Jetzt werden die letzten Spenden der Leser verteilt

Ein paar Kinderfahrräder stehen noch in einer Ecke des riesigen Raumes, daneben drei Gitterwagen mit Koffern, weiter hinten rund ein Dutzend große Paletten mit säuberlich gestapelten Kartons. „Herren-Unterwäsche Größe M“ steht auf einigen, „Bettwäsche“ auf anderen. Knapp zehn Tonnen sind es noch, schätzt Sinja Tiedemann und sieht sich in der achten Etage der Hermes-Versandhalle um. Es sind zehn von fast 60 Tonnen, die im Sommer nach einem Spendenaufruf des Abendblatts von rund 10.000 Hamburgern zum neuen Verlagsgebäude am Großen Burstah gebracht worden waren.

Es war eine riesige Resonanz, mit der niemand gerechnet hatte. Und der Beginn einer enormen Hilfswelle, die dann mehr oder weniger ungeplant und spontan anrollte. Und von der auch die 31 Jahre alte Betriebswirtin und Hermes-Mitarbeiterin erfasst wurde. Sie ist eine Art ehrenamtliche Chef-Organisatorin hier in dem Spenden-Lager geworden, das Hermes angesichts der riesigen Mengen bereitgestellt hatte.

Jacken, Mäntel, Hosen, Hemden aber auch Shampoo, Damenbinden und Zahnpasta hatten die Hamburger abgegeben. Koffer voll mit Schreibpapier und Spielzeug stapelten sich. Kinderwagen und sogar Regenschirme. „Fast alles war völlig in Ordnung“, sagt Sinja Tiedemann. Das Problem: Alles war gemischt abgegeben worden: Shampoo und Unterwäsche in einem Koffer, Jacken und Schuhe in einem anderen.

Etliche Sortieraktionen mit freiwilligen Helfern gab es hier in den vergangenen Wochen. Mitarbeiter von Hermes und seines Mutterkonzerns Otto, Mitarbeiter des Abendblatts und andere Freiwillige sortierten die Spenden, die dann geordnet nach Art und Größe in den vergangenen Wochen an mehrere Flüchtlingsunterkünfte in der Stadt geliefert wurden.

Die letzte Fuhre: zwei Lkw für eine Unterkunft in Langenhorn

Nun steht die letzte Fuhre an: Zwei 7,5-Tonner stehen unten auf dem Gelände der Otto-Gruppe. Ziel ist die Zentrale Erstaufnahme in der früheren Stadtteilschule Grellkamp in Langenhorn.

Es war am 20. Juli, als die Geschichte dieser letzten Fuhre begonnen hatte: Mit 500, höchstens 1000 Lesern hatte man beim Abendblatt gerechnet nach dem Aufruf. Zwei Lkw wurden geordert mit denen die großen Flüchtlingsunterkünfte an der Schnackenburgallee, in Harburg und in Jenfeld beliefert werden sollten. Es kamen im Laufe des Tages aber gut 10.000 Spender. Erschrocken und begeistert zugleich sahen die Abendblatt-Mitarbeiter aus den Fenstern auf eine lange Schlange von Menschen. Immer wieder hielten Autos vor dem Verlagshaus, die Polizei musste dort zeitweise den Verkehr absperren. Wer Zeit hatte – und war es nur für eine kurze Pause –, ging nach draußen, um die Sachen anzunehmen, die zunächst in einem leer stehenden Raum gelagert wurden.

Gegen 15 Uhr schließlich rief Chefredakteur Lars Haider bei Hermes an, die beiden Lkw reichten lange nicht aus. Innerhalb kurzer Zeit stellte das Unternehmen drei zusätzliche Lastwagen bereit. Doch auch in den Unterkünften war man auf diese Wucht der Hilfe nicht vorbereitet. Spontan gab es dann zwei weitere Zwischenlager bei der Stiftung Alsterdorf und in der Schulturnhalle des Gymnasiums Lerchenfeld auf der Uhlenhorst. Bis spätabends packten dort Abendblatt-Mitarbeiter und die Hermes-Leute an. Als auch diese Lager nicht mehr reichten, bot der Unternehmenszweig Hermes Fulfilment schließlich die Halle in Bramfeld an. 1500 Quadratmeter in der leer stehenden achten Etage.

Von dort wurden dann die Flüchtlingsunterkünfte beliefert – was wiederum erstaunliche Entwicklungen angestoßen hat. Simone Herrmann etwa erinnert sich noch an den 14. August. Mit zwei weiteren Freiwilligen half sie Flüchtlingen, die angesichts der immer größeren Zahl nun sogar in den Messehallen untergebracht werden mussten.

Dann rollten plötzlich zwei Lkw mit den Spenden von Abendblatt-Lesern auf den Hof. „Was machen wir jetzt?“ – das sei ihr erster Gedanke gewesen, erzählt sie später. Doch es kamen immer mehr Helfer dazu. Man entwickelte ein computergestütztes Sortiersystem, organisierte spezialisierte Arbeitsgruppen. Zeitweise bis zu 1200 Menschen fanden sich schließlich in der Halle B7, um diese Kleiderkammer am Leben zu erhalten, die bald schon zu der größten ihrer Art in Hamburg wurde.

Mittlerweile leben in den Messehallen keine Flüchtlinge mehr, die Kleiderkammer dort beliefert aber viele andere Einrichtungen und gilt als beispielhaft für ehrenamtliches Engagement in der Stadt, das ganz offensichtlich eine enorme Kraft der Selbstorganisation entwickeln kann. „Höchst professionell“, so der Eindruck vieler Besucher. Und die Kleiderkammer in den Messehallen ist immer noch auch eine Art Drehscheibe, wo Hamburger ihre Spenden zentral abgeben können.

Vielerorts arbeiten inzwischen in der Stadt solche Initiativen. So auch am Grellkamp in Langenhorn. „Freundeskreis Grellkamp“ heißt die Gruppe, die hier ebenfalls eine Kleiderkammer organisiert. Rund 850 Flüchtlinge leben in der Erstunterkunft, die in einer früheren Schule untergebracht ist. Die Aula erinnert an das Warenlager eines Bekleidungsgeschäfts. Hier nun finden die letzten Spenden der Abendblatt-Aktion ihren Platz. „Wir können das gut gebrauchen, der Winter kommt“, sagt Mit-Initiatorin Katrin Baumbach.

Die Flüchtlingskrise in Hamburg ist längst noch nicht zu Ende. Noch immer sind es die vielen Ehrenamtlichen, die wohl das größte Pfund der Stadt sind, um zu helfen. Und auch für Hermes-Mitarbeiterin Sinja Tiedemann ist mit dem Ende der Abendblatt-Aktion nur ein Kapitel dieser Geschichte beendet. Längst engagiert sie sich auch in ihrem Stadtteil Dulsberg für Flüchtlinge: „Es ist mir einfach wichtig, auch dort etwas für die Offenheit und Inte­gration zu tun, wo ich lebe“, sagt sie.