Dörte Maack ist blind – und pädagogische Leiterin der Speicherstadt-Ausstellung „Dialog im Dunkeln“. Hier entwickelt sie auch ihre Konzepte, die in 20 Ländern eingesetzt werden

An jedem Wochentag fährt sie von ihrem Wohnort Prisdorf mit der Nordbahn zum Dammtorbahnhof, läuft dann über die Dag-Hammarskjöld-Brücke, steigt meist ein wenig in Eile die Treppen zur U-Bahn-Station Stephansplatz hinunter und nimmt dann die U1, die sie bis zum Bahnhof Messberg bringt. Von dort sind es nur noch wenige Schritte bis zu ihrem Büro am Alten Wandrahm 4. Der Arbeitsweg ist ihr seit 13 Jahren vertraut, gesehen hat sie ihn aber nie. Dörte Maack ist blind. Trotzdem läuft sie sicher durch den morgendlichen Verkehr, denn sie nimmt ihre Umgebung auf andere Weise wahr. Außerdem hat sie Lila bei sich, ihren sechs Jahre alten Blindenhund. „Ich bewege mich wie jeder andere auch, für mich ist der Arbeitsweg völlig normal. Eigentlich ist es, als könnte ich sehen“, sagt sie. Nur wenn etwas Außergewöhnliches passiere, wenn es zum Beispiel Schienenersatzverkehr gebe, „dann merke ich, dass ich ein Handicap habe“. Die 47-Jährige betritt gegen neun Uhr ihr Büro, fährt ihren Computer hoch und holt sich aus der Küche eine Tasse Kaffee.

Der Computer begrüßt sie mit der Ansage, dass die Sprachausgabe aktiv ist. Wenn Dörte Maack nun ihre Mails checkt oder Texte bearbeitet, benutzt sie grundsätzlich die Tastatur, mit der Maus könnte sie nicht arbeiten. Eine synthetische Stimme liest erst einmal die Liste der Mails und auf Anforderung auch deren Inhalt vor. Dann rückt sie die Tastatur zurecht, beantwortet die erste Mail und tippt den Text mit zehn Fingern. Schreibmaschineschreiben hat sie gelernt, als sie noch sehen konnte. Wenn der Text fertig ist, lässt sie ihn über die Sprachausgabe vorlesen, um eventuell noch Korrekturen vorzunehmen. „Am Ende lass ich den Text noch einmal durch die Rechtschreibprüfung laufen, manche Fehler höre ich aber schon vorher, weil die Wörter dann falsch ausgesprochen werden“, sagt sie. Wichtige Texte gibt sie anschließend ihrer Assistentin, damit diese sie noch einmal gegenliest.

In Hamburg konzipiert und aufgebaut, überall in der Welt betrieben

Mit wichtigen Texten hat Dörte Maack täglich zu tun, denn sie arbeitet als Führungskraft, ist pädagogische Leiterin des Social-Franchise-Unternehmens „Dialog im Dunkeln“, das seine Zentrale seit 15 Jahren in der Hamburger Speicherstadt hat. Die Idee, dass blinde Menschen kleine Besuchergruppen durch völlig abgedunkelte Räume führen und mit diesem Rollentausch Sehenden ein völlig neues Erlebnis ermöglichen, ist inzwischen weltweit erfolgreich. „Dialog im Dunkeln“ hat zurzeit Ausstellungen in mehr als 20 Ländern, die von Hamburg aus konzipiert und aufgebaut, vor Ort dann aber auf Franchise-Basis betrieben werden.

„Ich bin für die gesamte Pädagogik zuständig, die sich in zwei Bereiche gliedert: Zum einen ist das die Arbeit mit Lehrern und Schülern, für die wir Angebote und Projekte entwickeln, die den Ausstellungsbereich flankieren. Das andere ist der Business-Bereich, in dem wir Seminare für Führungskräfte aus Unternehmen anbieten“, sagt Frau Maack, die diese Projekte nicht nur konzipiert, sondern oft auch selbst durchführt. Bei diesen ein- bis zweitägigen Seminaren geht es darum, in einem völlig abgedunkelten Raum gemeinsam zu agieren, Aufgaben zu lösen und völlig ungewohnte Formen der Kommunikation zu erproben. Dabei nimmt die gemeinsame Erfahrung in der Dunkelheit nur einen Teil des Trainings ein, darüber hinaus geht es in normalen Seminarräumen um die Auswertung der Erfahrungen, aber auch um die üblichen Themen der Teambildung: Was erwartet das Team vom Leiter? Wie ist es umgekehrt und wo gibt es Klärungs- und Diskussionsbedarf? Ein bisschen stolz darauf, dass dieses Format unter ihrer Leitung in Hamburg entwickelt und damit sozusagen „erfunden“ wurde, ist Dörte Maack schon, zumal die Seminare inzwischen weltweit durchgeführt werden.

Wenn die pädagogische Leiterin solche Angebote konzipiert, muss sie viel recherchieren, was inzwischen zum großen Teil schon „barrierefrei“, also über Sprachausgabe, möglich ist. „Manchmal stoße ich aber auch an Grenzen, einige Websites funktionieren noch nicht auf diese Weise und spätestens mit Fotos oder Grafiken komme ich nicht mehr weiter. Die lasse ich mir im Bedarfsfall von meiner Assistentin erklären“, sagt Dörte Maack, die in ihren Seminaren durchaus mit Bildern, vor allem mit Cartoons, arbeitet. Dass sie das kann, hängt mit ihrer persönlichen Geschichte zusammen, damit, dass sie früher selbst gesehen hat und daher über eine bildliche Vorstellung verfügt. „Mit diesem Bildvorrat arbeite ich viel, gar nicht mit Absicht, sondern eher unwillkürlich. Es klingt vielleicht ein bisschen komisch, aber man könnte sagen: Ich bin ein visueller Typ“, sagt die pädagogische Leiterin lachend.

Sie war 26 Jahre alt und konnte immer schlechter sehen, als sie die Dia­gnose erfuhr. Sie habe Retinitis pigmentosa, eine unheilbare Erkrankung, die zur Zerstörung der Netzhaut und damit zur Erblindung führt, sagte ihr Arzt. Damals studierte Dörte Maack Sport, Englisch und Erziehungswissenschaften, war aber außerdem recht erfolgreich mit ihrer freien Theatergruppe Kirschkern Companie unterwegs.

Zunächst versuchte sie, mit aller Macht gegen die Erblindung zu kämpfen

Erst konnte sie die Diagnose nicht akzeptieren, dachte, die Untersuchungsergebnisse müssten fehlerhaft sein. Es war doch gar nicht möglich, dass sie eine unheilbare Krankheit hatte! Mit aller Macht versuchte sie, dagegenzukämpfen. So ließ sie sich zum Beispiel drei Monate lang in einer Augenklinik in Peking behandeln, aber auch die Traditionelle Chinesische Medizin konnte ihr auf Dauer nicht helfen.

„Der Weg bis zu dem Moment, in dem ich die Krankheit für mich akzeptiert habe, war mit schlimmen Ängsten und schrecklichen Vorstellungen verbunden, das war wirklich kein Spaziergang“, erinnert sich Dörte Maack, fügt dann aber hinzu: „Doch als ich dann so weit war, für mich festzustellen, du bist jetzt blind, ging das merkwürdigerweise auch mit einer Erleichterung einher.“ Nun drohte die neue Situation nicht mehr, sondern war da. Damit gab es aber auch die Chance, sich darauf einzustellen. Sie lernte, mit dem Blindenstock umzugehen und stellte fest, dass das Leben eben nicht zu Ende war. Sie sagt: „Es war natürlich nicht super, aber es war auch nicht die Tragödie, die ich lange befürchtet hatte.“

Theaterspielen konnte sie nun nicht mehr, aber das Studium schloss sie noch ab, obwohl ihr klar war, dass sie kaum als Sportlehrerin würde arbeiten können. Vieles war nicht mehr möglich, aber vieles ging dann eben doch. In Ihrer Theaterzeit hatte sie zum Beispiel Einrad fahren gelernt, und das tut sie noch heute. „Ich bin wahrscheinlich die einzige blinde Einrad-Fahrerin“, sagt sie lachend und erzählt, mit welcher Technik ihr das auch heute noch gelingt. So schnallt sich ihre Tochter Eileen ein iPhone auf den Rücken, stellt Musik ein und fährt direkt vor der Mutter, die sich dadurch akustisch orientieren kann.

Als sie ihren Mann heiratete, war sie schon blind. „Zum Glück habe ich ihn aber vorher noch sehen können“, sagt sie schmunzelnd. „Als ich wusste, dass ich blind sein werde, hatte ich kurioserweise nicht etwa Angst davor, dass mich niemand haben wollte, sondern dass ich bei der Wahl meines Partners vielleicht völlig danebenliege, weil ich ihn ja nicht sehen kann. Wie gesagt, ich bin ein visueller Typ und wenn man Anfang 20 ist, spielt das ja schon eine Rolle“, sagt Dörte Maack, die inzwischen 15 Jahre verheiratet ist und mit Eileen, 11, und Emil, 7, zwei Kinder hat.

Während für fast alle Menschen, denen sie begegnet, ihr Blindsein immer noch eine Rolle spielt, sei das bei ihren Kindern ganz anders, weil sie sie nicht anders kennen und sie einfach die Mama ist. Deshalb würden sie manchmal auch keine Rücksicht nehmen, aber gerade diese Selbstverständlichkeit und Normalität schätzt die Mutter. Dass es nicht immer leicht ist, Familienleben und Berufsalltag zu synchronisieren, liegt auf der Hand, aber auch hier macht sich Dörte Maacks Organisationstalent bezahlt.

Denn manchmal fährt sie morgens eben nicht mit ihrem Blindenhund Lila von Prisdorf nach Hamburg, sondern allein mit dem Flugzeug irgendwo hin, moderiert Konferenzen oder Fachtagungen, gibt Seminare oder organisiert irgendwo den Aufbau einer neuen Filiale von „Dialog im Dunkeln“. Auf die Frage, ob es nicht schwierig sei, als Blinde allein um die Welt zu fliegen, antwortet sie: „Nein, das funktioniert gut. Schwierig wird es nur, wenn niemand Englisch spricht, denn Zeichensprache geht natürlich nicht. Aber das kommt zum Glück nur selten vor.“