Köln. Sicher ist: Der Mann, derden Germanwings-Airbus nach Erkenntnissender Ermittler absichtlich abstürzen ließ, war am Flugtag krankgeschrieben, verheimlichte das seinem Arbeitgeber aber

Es gibt kein Bekennerschreiben, keinen Abschiedsbrief. Auch existieren keinerlei Hinweise auf politische oder gar religiöse Motive. Dafür fanden die Fahnder mehrere Krankmeldungen, darunter auch für den Absturztag: Klar ist mittlerweile, dass der 27 Jahre alte Copilot Andreas L. auf keinen Fall hätte fliegen dürfen an jenem Dienstag, als er nach gegenwärtiger Einschätzung der Ermittler den Germanwings-Flug 4U9525 abstürzen ließ. Doch Andreas L. hatte seinem Arbeitgeber verschwiegen, dass er fluguntauglich war, er zerriss sogar die Krankmeldung, die für mehrere Tage gegolten haben soll.

Das ist offenbar nicht zum ersten Mal passiert. Die Staatsanwälte haben in der Wohnung, die L. in einer schicken Seitenstraße im Düsseldorfer Norden nahe am Flughafen gemietet hatte, Dutzende von medizinischen Dokumenten und darunter alte Krankschreibungen gefunden, die L. verheimlichte. Ob L. wegen psychischer Probleme in Behandlung war, ließ der Staatsanwalt offen.

In Sicherheitskreisen ist von einer„langfristigen Erkrankung“ die Rede

Aber aus Sicherheitskreisen hieß es, es habe sich um eine „langfristige“ Gesundheitsstörung gehandelt, die nicht von heute auf morgen hätte kuriert werden können. Das würde zu einer psychischen Krankheit passen, aber natürlich auch etwa zu Rückenproblemen. Wie das Abendblatt jedoch aus hochrangigen Polizeikreisen erfuhr, soll der Co-Pilot tatsächlich in psychiatrischer Behandlung gewesen sein, und das sogar noch am Tag vor dem Unglück. Doch dann hat er offenbar entschieden, nach außen hin den Anschein der Normalität zu wahren.

Laut „Rheinischer Post“ soll der 27-Jährige mit einer Vielzahl verschiedener Mediziner zu tun gehabt haben. Das Düsseldorfer Universitätsklinikum hat allerdings Gerüchte dementiert, L. sei in dem Krankenhaus wegen Depressionen behandelt worden. Er war aber sehr wohl Patient in der Klinik: Am 10. März habe es „diagnostische Abklärungen“ gegeben. Alles Weitere ließ eine Sprecherin der Klinik offen. Das unterliege der ärztlichen Schweigepflicht.

Für die Hinterbliebenen, seine Angehörigen, aber auch den Arbeitgeber Germanwings und dessen Mutter-Konzern Lufthansa ist die Nachricht eine weitere Hiobsbotschaft in einem ohnehin schrecklichen Geschehen. Nicht einmal 24 Stunden zuvor hatte Lufthansa-Chef Carsten Spohr eine Aussage gemacht, die sich mittlerweile als falsch herausgestellt hat: „Der Pilot war 100prozentig flugtauglich, ohne jegliche Einschränkung und ohne jegliche Auflage.“

Das war sogar offenbar in mehrfacher Hinsicht nicht richtig. Laut „Bild“-Zeitung soll Andreas L. einen so genannten SIC-Vermerk in seiner Akte des Luftfahrt-Bundesamtes (LBA) gehabt haben. Diese Abkürzung signalisiert, dass „besondere, regelhafte medizinische Untersuchung“ ratsam sind. L. hätte demnach regelmäßig und häufiger als die Kollegen bei einem Arzt zur Kontrolle vorsprechen müssen. Das wäre eine klare Auflage – die nach Angaben von Spohr nicht bestand. Auf Anfrage wollte das LBA allerdings nicht bestätigen, dass ein solcher Vermerk auch im medizinischen Tauglichkeitszeugnis des Co-Piloten gestanden hat.

Eilig hat die Lufthansa nun jede Verantwortung zurückgewiesen. Sprecher Michael Lamberty verwies in der „Rheinischen Post“ auf die Behörden. „Die Beurteilung der flugmedizinischen Tauglichkeit von Piloten liegt nicht bei der jeweiligen Fluggesellschaft, sondern beim Luftfahrtbundesamt.“

Eine EU-Verordnung habe das neu geregelt. Bis April 2013, also wenige Monate vor der Einstellung von Andreas L. bei Germanwings im September 2013, seien die Airlines für die flugmedizinischen Untersuchungszentren zuständig gewesen. Auch Lufthansa betreibe solch ein Zentrum. Doch Brüssel habe diese Aufgabe dann dem LBA übertragen. Das in Braunschweig ansässige Amt hat derweil bei diesem Aeromedical-Center der Lufthansa um Einsicht in die Akten des Co-Piloten gebeten.

Ein „normaler“ Arbeitnehmer darf in der Regel trotz Krankschreibung zur Arbeit kommen. Anders ist das bei gefährlichen oder besonders verantwortungsvollen Berufen, auch Piloten. Sind sie krankgeschrieben, dürfen sie nicht arbeiten, bestätigt ein erfahrener Pilot. Demnach kann sich das Cockpit-Personal bei der Lufthansa und bei Germanwings jederzeit als „unfit to fly“ erklären, wenn es sich dem Fliegen nicht gewachsen fühlt.

Wenn ein Pilot krankgeschrieben ist, hat er das dem Arbeitgeber aber zwingend zu melden und darf erst wieder fliegen, wenn er fit ist. Trotz dieser Auflagen erfährt der Arbeitgeber von der Krankschreibung allerdings nur, wenn der Pilot das kommuniziert. Darauf verweist auch Germanwings. „Das ist wie in allen anderen Betrieben auch“, so eine Sprecherin.

Jetzt stellt sich für die Ermittler aber auch die Frage, ob man die Gefahr, die von Andreas L. ausging, vorher hätte erkennen können. Seine Eltern wurden in Frankreich, wo sie mit anderen Angehörigen an der Absturzstelle waren, nach Marseille gebracht und werden von der Staatsanwaltschaft vernommen. Womöglich hat Andreas L., der schon vor sechs Jahren während seiner Pilotenausbildung eine sechsmonatige Pause wegen Depressionen eingelegt haben soll, aber auch vor den nächsten Angehörigen seine Belastung verheimlich oder heruntergespielt.