Eines eint Protestanten und Katholiken: Noch nie war die Summe der Kirchensteuer so hoch wie heute. Doch der Rekord täuscht. Denn der Blick in die finanzielle Zukunft ist keineswegs rosig

Die nächste Sparrunde in der evangelischen Kirche ist jetzt schon genau datiert: auf Anfang 2018. Die Zeitangabe stammt von Klaus Winterhoff, der Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Winterhoff sagte im Herbst auf der EKD-Synode, Anfang 2018 seien die großen Feierlichkeiten zum 500. Reformationsjubiläum des Jahres 2017 vorbei, und dann müssten sich die Protestanten statt mit ihrer reformatorischen Traditionsfreude mit ihren finanziellen Zukunftssorgen auseinandersetzen. Und die sind groß.

Derzeit allerdings noch nicht. Denn im vergangenen Jahr verzeichneten die 20 Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Kirchensteuereinnahmen von insgesamt 5,2 Milliarden Euro brutto, das bedeutet einen Anstieg um 4,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Zwar muss die Kirche von dieser Summe einen Teil an den Staat abtreten, nämlich die Gebühr für den Aufwand, der den Finanzämtern durch den Einzug der Kirchensteuern entsteht. Auf 170 Millionen Euro belief sich diese Gebühr 2014 bei den Protestanten. Aber übrig bleiben immer noch 5,03 Milliarden Euro. Das ist in absoluten Zahlen ein Rekord.

Den verzeichneten 2014 auch die Katholiken: Deren Bistümer in Deutschland nahmen insgesamt 5,6 Milliarden Euro brutto Kirchensteuer ein. Grund für den Geldsegen ist genau wie bei den Protestanten die gute Konjunktur in Deutschland mit einer nach wie vor hohen Erwerbstätigenquote. Die kirchlichen Haushälter verweisen allerdings darauf, dass dieser Rekord nur für die absoluten Zahlen gilt. „Kaufkraftbereinigt“, so der EKD-Finanzchef Thomas Begrich, „haben wir in den letzten 20 Jahren einen Rückgang unserer finanziellen Leistungsfähigkeit um mehr als zehn Prozent.“

Und im Vergleich mit den Steuereinnahmen des Staates seien die der Kirche gering: „Nominal sind die Kirchensteuern seit 1994 um 20 Prozent gewachsen, die staatlichen Steuereinnahmen jedoch um gut 50 Prozent.“ Aber generell, so Begrich, sei es „hoch erfreulich“, dass wegen der aktuell guten Konjunktur die Kirchensteuerquellen so sehr sprudeln. Das ist aber noch lange keine Garantie für einen Wirtschaftsboom in der Zukunft.

Geringe Taufbereitschaft in beiden Kirchen kündigt weniger Mitglieder an

Garantiert ist nur, dass die Kirchen in der Zukunft stark schrumpfen werden. Dieser Prozess ist zunächst demografischer Natur. Jährlich sterben in Deutschland mehr als 300.000 evangelische Kirchenmitglieder, während durch Taufen nur knapp 170.000 Kinder neu in die Kirche kommen. Diese Spaltung wird sich weiter verstärken. Die EKD geht davon aus, dass 2020 mehr als 40 Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder 60 Jahre und älter sein werden. Dadurch wird sich das Verhältnis von Todesfällen und Geburten in der evangelischen Kirche weiter verschlechtern. Und ein weiterer Schrumpfungsfaktor kommt hinzu: die nur mäßige Taufbereitschaft der Eltern. 2012 wurden von 100 Kindern, die mindestens ein evangelisches Elternteil hatten, lediglich 77 evangelisch getauft.

Das bedeutet: Erstens gibt es ohnehin immer weniger Protestanten im gebär- und zeugungsfähigen Alter, zweitens kriegen die wie alle Deutschen im Schnitt weniger Kinder, und drittens lassen längst nicht alle von ihnen diese Kinder auch taufen. Ohne Taufe gehören sie der Kirche aber nicht an. Dieselbe Entwicklung ist bei den Katholiken zu beobachten. Dort ist die Zahl der Taufen sogar noch geringer als bei den Protestanten.

Die Protestanten haben eine höhere Zahl von (Wieder-)Eintritten bei Erwachsenen zu verzeichnen, insgesamt über 50.000. Die Katholiken kommen nur auf rund 10.000 Erwachsenenzugänge pro Jahr. Die Mitgliederzahlen sinken dadurch Jahr für Jahr um etwa eine halbe Million Menschen. Doch in keiner der beiden Konfessionen können diese Aufnahmen von Erwachsenen die Austritte kompensieren. Für 2014 ist in der evangelischen Kirche nach vorläufigen Hochrechnungen mit mehr als 200.000 Austritten zu rechnen, in der katholischen Kirche dürften es an die 170.000 sein. Mithin kommen die Kirchen nach Abzug der Eintrittszahlen auf nichtdemografische Verluste von jeweils mindestens 150.000 im Jahr 2014.

In der Summe führt all dies dazu, dass sich die Mitgliederzahl der beiden großen Kirchen Jahr für Jahr um mindestens 500.000 Menschen verkleinert. Derzeit gibt es in Deutschland knapp 24 Millionen Katholiken und etwas mehr als 23 Millionen Protestanten. Damit sind knapp 60 Prozent der Bevölkerung konfessionell gebunden.

2020 dürften es nur noch 50 Prozent sein. Es gibt Vorhersagen, wonach 2030 die Kirchenmitglieder nur noch ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachen. Diese Mitglieder zahlen dann, so wird gerechnet, nur noch halb so viele Kirchensteuern wie heute. Die Kirchen aber müssen dann noch eine besonders große Last tragen: die Pensionen der Pfarrer. Das Durchschnittsalter der evangelischen Pfarrer, von denen derzeit gut 21.000 im aktiven Dienst stehen, liegt bereits über 50 Jahren, das der katholischen ist noch höher. Mithin werden die Ausgaben der Kirchen für die Pensionen bald stark steigen, und zwar für lange Zeit: Pfarrer haben eine überdurchschnittlich hohe Lebenserwartung.

Zwar haben die beiden Kirchen für die Pensionen Rücklagen gebildet, die in den evangelischen Landeskirchen in Bayern und in Württemberg mehr als 80 Prozent der erwarteten Ausgaben abdecken. Doch in den großen Landeskirchen im Rheinland und in Westfalen beträgt die Deckungsquote jeweils nur 50 Prozent. Somit müssen hier die hohen Kirchensteuereinnahmen sofort in die Rücklagen gesteckt werden.

Bei denen aber werden die derzeit sehr niedrigen Zinsen zum Problem. Daher gehen alle kirchlichen Haushälter davon aus, dass die zum Teil sehr stattlichen Anlagevermögen – das außergewöhnlich reiche Kölner Erzbistum hat Finanzanlagen in Höhe von 2,4 Milliarden Euro – demnächst stark schrumpfen werden. Wollen die Kirchen aber nicht all ihre Anlagen aufzehren, werden sie auch bei den aktuellen Ausgaben kürzen müssen. Dass dies jedoch gefährlich werden kann, zeigt sich in der evangelischen Kirche im Rheinland, die aufgrund vorheriger Ausgabenfreude und schlechter Kon­trolle bereits jetzt akute Finanzsorgen hat.

Die Leitung der Landeskirche möchte bis 2018 bei den kirchlichen Schulen insgesamt 4,5 Millionen Euro sparen. Dies hat zwar insofern etwas für sich, als die Schülerzahlen insgesamt sinken und man deshalb fragen kann, ob es nicht sehr riskant gewesen ist, dass beide Kirchen in den vergangenen Jahren deutschlandweit überproportional viel Geld in kirchliche Kitas und Schulen gesteckt haben. Andererseits zählen solche Kitas und Schulen zu den wenigen Mitteln, mit denen die Kirchen etwas gegen den beschriebenen Mangel an christlichen Kindern tun können. An den Bildungseinrichtungen zu sparen, kann den Mitgliederschwund mithin noch beschleunigen.

Wer bei der Musik kürzt, begünstigt weitere Austritte

Strukturell ähnlich ist es bei den Pfarrstellen. Die kann man zusammenstreichen. Das machen die Katholiken schon jetzt wegen des Priestermangels, und auch den Protestanten steht dies bevor, da bei ihnen ebenfalls der Nachwuchs an Theologen schrumpft – wenn auch in geringerem Maße.

Doch mit einer solchen Maßnahme sparen die Kirchen zwar Geld, sie gefährden aber auch ihre Mitgliederzahlen. Denn alle Untersuchungen zeigen, dass die Kirchenbindung vieler Menschen entscheidend davon abhängt, ob vor Ort eine Pfarrerin oder ein Pfarrer zu finden ist. Wird dies seltener, könnten noch mehr Menschen die Lust verlieren dazuzugehören.

Nicht anders ist es bei den Kirchenmusikern. Chöre sind die mit Abstand größten Gemeindegruppen, nichts bindet so viele Menschen an die Kirchen wie die Musik. Wer da kürzt, zeigt vielen die kalte Schulter – und könnte damit die Austrittszahlen weiter in die Höhe treiben.

So zeigt sich beim Sparen ein Unterschied zwischen Staat und Kirche: Wenn der Staat spart, sorgt er zwar bei vielen für Unmut, muss aber nicht gleich mit riesigen Auswanderungswellen rechnen. Wenn die Kirchen ihre Angebote einschränken, drohen sie noch mehr Menschen zu verlieren als ohnehin schon.