Als im August 1969 eine halbe Million Menschen auf ein Maisfeld im Bundesstaat New York strömte, schufen sie den Mythos “Woodstock“.

Drei Tage lang herrschten anarchische Zustände. Schwierig waren auch die Planungen der Massenveranstaltung, die zu einem Organisations- und Finanzdesaster wurde. März 1969. Ein kleines Midtown-Restaurant in New York, John Roberts isst mit seinem Vater zu Mittag. Der Vater ist Chef eines Pharmazieunternehmens, sehr vermögend und ziemlich konservativ. Fünf Monate später, nach "Woodstock", wird er seinem Sohn dabei helfen, von seinen Schulden runterzukommen. Davon weiß Roberts Senior in diesem Moment noch nichts, vielleicht ahnt er es aber: "Verstehe ich dich richtig - ihr wollt ein Konzert veranstalten auf einem Acker, der hundert Meilen von New York entfernt liegt?"

Und John Roberts wollte wirklich, er ließ sich von dem kühnen Plan nicht abhalten, auch nicht von seinem Vater, der ihm prophetisch ein Insolvenzverfahren vorhersagte. Roberts, das solvente Bürgerkind, war fest entschlossen, im Showbusiness Geld zu verdienen.

Mit dem Rauchen hatte Joel Rosenman aufgehört. Aber er war nicht vernünftig genug, um der Versuchung, ein Festival zu veranstalten, zu widerstehen. Er, der gut aussehende Anzugträger mit Uni-Abschluss, war keine 27, als er mit seinem Freund und Geschäftspartner John Roberts auf die Idee kam, in der Provinz, etliche Meilen entfernt von New York, der berühmtesten Stadt der Welt, das Festival zu organisieren, das bekannter werden sollte als jedes andere.

Woodstock, das ist heute eine Art Über-Festival, eines, mit dem sich jede Veranstaltung dieser Art vergleichen lassen muss. Woodstock ist eine Legende, auch wegen Michael Wadleighs berühmtem Konzertfilm.

Als Rosenman und Roberts im Frühjahr eines Jahres, das das letzte der unschuldigen Hippiezeit war, mit den Vorbereitungen begannen, wussten Rosenman und Roberts nicht, dass in den nächsten Monaten ein Drama aus Organisations-Chaos, Schulden, Streitigkeiten, Klagen und Hysterie auf sie zukommen würde. Sie wussten nicht, dass aus einer bescheiden geplanten Veranstaltung ein mythisch verklärtes Massen-Event werden würde. Als am 15. August 1969 um 17.07 Uhr der Folk-Musiker Richie Havens das Festival eröffnete, wussten sie aber, dass sie Geschichte schrieben. Denn vor der in letzter Sekunde fertig gebauten Bühne drängten sich mehr als 400 000 Menschen. Vielleicht waren es 500 000, genau herausfinden wird man das nicht mehr. Das ist aber auch egal, denn an der zeitgeschichtlichen Dimension änderte die numerische Exaktheit nichts. Es waren wahnsinnig viele Leute da, und es wurde Geschichte gemacht. Auf der größten Party der Welt.

"Woodstock" fand eigentlich gar nicht in Woodstock statt, sondern in White Lake bei Bethel, Bundesstaat New York, 76 Kilometer von Woodstock entfernt. Dort lebte Bob Dylan. Entgegen immer noch kursierender Annahmen trat Dylan bei dem Festival selbst nicht auf. Aber es war, so geht die Legende, eine Art Hommage an ihn, dass die mythische Veranstaltung "Woodstock Music & Art Fair" hieß und nicht etwa "Bethel Music & Art Fair".

Was sich am dritten August-Wochenende des Jahres 1969 unter Amerikas Jugend abspielte, war unglaublich. Bis zu zwei Millionen waren damals unterwegs, um dem monatelang beworbenen Festival beizuwohnen. Dass es am Ende "nur" eine halbe Million Fans auf das Maisfeld des Farmers Max Yasgur schaffte, lag daran, dass die Veranstalter die Rockpilger höchstselbst via Radio dazu aufriefen, umzukehren und den Weg nach Woodstock nicht fortzusetzen.

Auf dem Gelände herrschten schon chaotische Zustände, bevor der erste Ton zu hören war. Das bislang größte Ereignis der Popmusik, das auch eine Art Vermächtnis der Hippie-Generation war, wurde zu einer Demonstration der in den 60er-Jahren erkämpften neuen Freiheiten. In Woodstock gab es zu wenig Toiletten und zu wenig Nahrung, aber genug Musik, genug (freie) Liebe und genug Drogen, um aus einer gesitteten Konzertveranstaltung das Erweckungserlebnis einer ganzen Generation werden zu lassen, deren Lebensstil von der Subkultur in den Mainstream gewandert war. Der Rock 'n' Roll stand Ende der 60er-Jahre in seiner Blüte, und die neuen Werte, für die die Bürgerrechtsbewegungen kämpften, wurden in Woodstock praktisch erprobt. Die Generation, die die Welt verändern wollte, konnte den Vietnam-Krieg nicht stoppen. Aber sie konnte drei Tage feiern - mit Musik, in friedlicher Atmosphäre und mit dem beißenden Geruch der 600 mobilen Toiletten in der Nase.

Es waren zwei seriöse Geschäftsmänner in Anzug und Krawatte und zwei kiffende Musikproduzenten, die sich zusammentaten, um Woodstock auf die Beine zu stellen. Rosenman und Roberts, die Sprösse zweier erfolgreicher jüdischer Familien, gegen das gut abgehangene Chaotenduo Michael Lang und Artie Kornfeld: Das war in der Tat ein bisweilen skurriler Kampf, den die ungleichen Partner miteinander ausfochten. Während die Lebemänner Lang und Kornfeld den Rock-'n'-Roll-Lifestyle pflegten und nur auf der Suche nach dem nächsten Spaß waren, stolperten Rosenman und Roberts in eine planerische Katastrophe. Das Festival hatte materielle Hintergründe, mit den Einnahmen sollte ein Aufnahmestudio finanziert werden. Doch wie in so vielen Dingen in dieser Geschichte kam alles ganz anders. Am Ende des Festivals hatten Rosenman und Roberts, die ihr Privatvermögen in die waghalsige Unternehmung steckten, Schulden in Höhe von 1,6 Millionen Dollar. Trotz Tausender verkaufter Tickets verdienten sie nichts, weil Woodstock notgedrungen zur Gratis-Veranstaltung wurde. Als die ersten Hippie-Horden einen Tag vor Festivalbeginn in Bethel einfielen, standen die Begrenzungszäune noch nicht. Es war nicht die erste und erst recht nicht die letzte Panne.

Roberts und Rosenman mussten vor allem im Vorfeld von Woodstock viel Überzeugungsarbeit leisten. Besonders schwierig war die Suche nach dem Veranstaltungsort. In einem selbstironischen Woodstock-Protokoll, das die Macher fünf Jahre nach dem Festival veröffentlichten (und das dieser Tage erstmals auf Deutsch erscheint: "Making Woodstock", Verlag Orange Press), erzählen sie von den bizarren Erlebnissen in Anwaltskanzleien und Bezirksverwaltungen. Das Start-Up-Unternehmen "Woodstock Ventures" sah sich mit den Zweifeln der Landbevölkerung konfrontiert. Die hatte Angst vor den Blumenkindern und deren Vorliebe für bewusstseinserweiternde Trips. Zu Recht. Nachdem ihnen das Örtchen Wallkill, wo Woodstock ursprünglich stattfinden sollte, die Erlaubnis entzogen hatte, mussten die knapp 4000 Bewohner Bethels leiden. Die unter dem Banner "Three Days of Peace and Music" versammelte junge Gemeinde machte es sich in den Ställen der Milchbauern bequem, versuchte sich im Reiten fremder Pferde und verfütterte Acid an bedauernswerte Hühner.

An den drei Tagen traten 32 Interpreten auf - unter anderem Jimi Hendrix. Sie wurden frenetisch gefeiert und spürten selbst die Magie des Augenblicks. Vor so vielen Menschen sollten sie nie wieder spielen. "Was ist das für eine Kultur, die so ein gigantisches Chaos produzieren kann?" fragte sich die New York Times unmittelbar nach dem Festival. Es war ein Chaos, das den Machern für die gesamte Dauer der Veranstaltung kalte Schauer über den Rücken jagte. Es gab zu wenig zu essen (später verkauften die einheimischen Bauern ihre Produkte an die "Eindringlinge"), zu wenig sanitäre Anlagen und eine Unmenge von Drogenopfern, die versorgt werden mussten. "Als ich vor Beginn des Festivals sah, wie viele Menschen kamen, zerbrach meine Zuversicht", erinnerte sich Rosenman unmittelbar nach Woodstock. Zu spät reifte die Einsicht, dass sie viel zu wenig Zeit gehabt hatten für die Organisation. Und zu überrascht waren sie von der erdrückenden Menge. Es gab kurzfristige Streitigkeiten um die Gagen, die beinahe zur Absage mancher Band führte, und es gab den großen Regen. Den Regen, der das Feld in einen Sumpf verwandelte. Den Regen, der Rosenman den schlimmsten Anruf seines Lebens bescherte. Er saß im Veranstaltungsbüro, als ihm der Bühnenelektriker berichtete, was geschehen war: Der Regen hatte die Erde weggespült, die zum Schutz über den Hauptstromleitungen lag. Weil sich riesige Menschenmassen über das Feld wälzten, löste sich die Isolation der Kabel fast ganz ab. Die Leute standen durchnässt beieinander, und ein kollektiver Stromschlag könnte in einer Katastrophe münden.

Das war der Moment, in dem Rosenman wieder mit dem Rauchen anfing. Er steckte sich eine Zigarette an. Und noch eine. Er traute sich nicht, das Konzert zu unterbrechen, weil er nicht wusste, wie er eine halbe Million Menschen unter Kontrolle halten sollte. Also musste die Show weitergehen, während ein neues Kabel verlegt wurde. "An die nächste Stunde erinnerte ich mich kaum. Ich weiß nur noch, dass ich eine Camel nach der anderen rauchte", sagt Rosenman.

Es kam nicht zur Massen-Exekution durch Stromschlag, und es gab auch sonst keine große Katastrophe. Nach drei Tagen, die er im Verkehrschaos der verstopften Zufahrtsstraßen zum Festivalgelände feststeckte, erreicht auch der Truck mit den Festival-Broschüren sein Ziel. Rosenman und Roberts, die völlig entkräfteten Festivalmacher, freuen sich über jeden Fan, der sich am letzten Tag von Woodstock auf den Heimweg und damit die Menschenmenge endlich kleiner macht.

Am nächsten Tag, es ist der 18. August, hatten sie einen Termin bei ihrer Bank.

Roberts war erst zehn Jahre nach Woodstock schuldenfrei. Er führte noch eine Weile mit seinem Partner Rosenman die Geschäfte des gemeinsamen Plattenstudios. Später betreute er Risikokapitalgeschäfte. Rosenman organisierte 1994 und 1999 Neuauflagen des Festivals. An die 100 Gerichtsverfahren und Vergleiche, die Woodstock nach sich zog, konnten ihn nicht davon abhalten.