Sie haben sich ganz schön verändert, die 30-Jährigen. Früher waren sie die Verlorenen, heute haben sie sich gefunden. Was sie von anderen unterscheidet? Vor allem ihr Optimismus und Solidarität, sagt Forscher Horst Opaschowski.

Journal:

Herr Opaschowski, Sie erforschen seit 30 Jahren die Befindlichkeiten und Zukunftserwartungen der Deutschen aller Altersklassen. Wie geht es denn der "Generation 30" so, und was ist das Besondere an ihr?

Horst Opaschowski:

Eigentlich geht es ihr ganz gut. Sie macht das Beste aus ihrem Leben in diesen unsicheren Zeiten. Nur muss sie damit klarkommen, dass sich in ihrem Erwachsenenleben vieles zeitlich verschoben hat.

Was meinen Sie mit "zeitlich verschoben"?

Früher musste man mit 30 schon alles erreicht haben, was als Basis eines zufriedenen Lebens galt: einen guten Job, eine funktionierende Ehe, natürlich Kinder, ein Haus und manchmal auch einen Hund. So wurden frühzeitig die Grundlagen für das weitere Leben geschaffen. Heute erreichen die meisten das alles - wenn überhaupt, und nur, wenn es in ihr Lebenskonzept passt - erst mit Ende 30. Die wirtschaftliche und soziale Lage ist für diese Generation viel schwieriger geworden. Und andere Dinge werden wichtiger. Die Lebensprioritäten ändern sich.

Gut, Haus und Kinder, ein Hund und ein Auto zu haben, kann warten - aber was könnte denn wichtiger sein als ein guter und gesicherter Job?

Die heutige Generation 30 lebt nach einem "Balancekonzept": Sie will Karriere machen, ohne auf ihr Privatleben zu verzichten. Früher haben die 30-Jährigen erst gearbeitet und sich ihr Leben für später aufgespart. Heute kann die Generation 30 nicht mehr auf später vertrauen - hohe Arbeitslosigkeit auf der einen, steigende Lebenserwartung auf der anderen Seite lassen die Zukunft in einem ganz anderen Licht erscheinen. Die persönliche Lebensqualität muss auch in jungen Jahren und nicht erst im Rentenalter gesichert sein - und zwar nachhaltig. Auch während ihrer langen Ausbildungsphase wollen sie nicht am Leben vorbei leben.

Das klingt ja ganz schön reif für einen Jahrgang, der in den 80er-Jahren noch als "Generation X" verschrien war und nichts auf die Reihe gekriegt hat ...

Die ehemalige Generation X ist in die Jahre gekommen. Sie hat heute ganz klare Vorstellungen darüber, in welcher Gesellschaft sie künftig leben will. Sie wünscht sich ein Leben im Gleichgewicht von materiellem und sozialem Wohlstand. Ihr Blick in die Zukunft beweist Realitätssinn: Aus der "Ich-will-alles"-Generation der Sechziger- bis Neunzigerjahre, die ihr Leben erleben und genießen und von allen Angeboten und Möglichkeiten Gebrauch machen wollte, ist eine pragmatische und ausgeglichene Generation geworden, die mit alten und neuen Werten, mit Konservativem und Progressivem zugleich leben will.

Heißt das, nicht einmal die gegenwärtige Krise bringt eine neue Generation "No Future" hervor?

Die No-Future-Generation der 80er-Jahre hatte schon alles, sie war fast übersättigt. Auf dem Höhepunkt der Wohlstandsentwicklung gab sie sich als Minimalist und Anhänger einer neuen Lebensstil-Taktik: Gelangweilt vom Wohlstandskonsum erklärte sie das Nichtbesitzen von materiellen Gütern zum Statussymbol und zählte sich selbst zum Armut-Jetset als Zeichen von moralischer und intellektueller Überlegenheit: "Neue deutsche Bescheidenheit." Das war Zynismus pur! Die Generation X fühlte sich in Wirklichkeit vom gesellschaftlichen Leben weitgehend "eXcluded", also ausgeschlossen und ausgegrenzt. Die jungen Erwachsenen von heute wollen hingegen mitten im Leben stehen. Sie sind hoch motiviert und leistungsorientiert. Ihnen fehlt noch etwas, wofür sich Arbeit und Anstrengung lohnen. Ihr Leben hat schließlich eine Richtung: nach oben.

Wir würden alle gern wissen, wie wir dahin kommen. Aber hat sich die Generation X überlebt?

Schon lange. Zur Zeit der New Economy war aus der Generation X die Generation @ geworden. Der Bildschirm wurde ihr interaktives Medium und die Welt zum globalen Dorf. Sie wollte nicht länger "nur" in der passiven Rolle des Zuschauers verharren, sondern auch zum Akteur in einer digitalen Welt werden. Rezipieren, Konsumieren, Sich-Berieseln und Unterhalten-Lassen schlossen sich für sie nicht aus. Die Elterngeneration kam mit dieser Art von Lebensstil und Lebenstempo kaum mehr mit. Sie drohte auf der Strecke zu bleiben, während die Generation @ mit Tempo, Technik und Spaß davoneilte. Und dennoch: Bei dem ganzen Spaß verlor diese Generation ihre soziale Verantwortung nicht. Im Gegenteil.

Wie meinen Sie das?

Sie lösen auf ihre Weise den Generationenvertrag heute schon ein, indem sie eine Gesellschaft anstreben, in der Alt und Jung konfliktlos miteinander leben und sich gegenseitig stützen und unterstützen können. Also mehr miteinander als gegeneinander.

Die Verantwortung für die eigenen Eltern - schön und gut. Aber was ist mit dem eigenen Dasein als Eltern? Und wie soll man das alles unter einen Hut bringen?

Die Generation 30 schafft das, weil sie zugleich auch eine Generation V ist: Das steht für Vertrauen, Verantwortung und Verlässlichkeit. In den Achtziger- und Neunzigerjahren wollte die junge Generation immer weniger von Kindern und Familiengründung wissen. Jetzt ist eine Trendwende feststellbar: Nicht mehr Sport, Hobby und Urlaubsreisen stehen im Zentrum des Lebens, sondern Kinder und Familie - mit steigender Tendenz. Beständigkeit ist wieder gefragt. Der Trend zur Individualisierung des Lebens hat seinen Zenit überschritten. Die Mehrheit der jungen Generation entdeckt den Wert von Verlässlichkeit wieder. Dafür spricht auch, dass Ehen wieder stabiler werden und es auch weniger Scheidungen in Deutschland gibt. Für die Generation 30 ist die Familie kein Auslaufmodell und Konsum oder Kind keine wirkliche Alternative mehr.

Hand aufs Herz: Wie war das, als Sie selbst in Ihren 30ern waren?

Wir lebten damals im Jugendwahn. Da hieß es noch: "Trau' keinem über 30!" Ich schrieb mein erstes Buch, das "Der Jugendkult in der Bundesrepublik" hieß. Ich war damals 29.