Es soll Endzwanziger geben, die ihrem 30. Lebensjahr mit zunehmendem Entsetzen begegnen. Unsere Autorin gehörte definitiv dazu. Bis sie die bedrohliche Schwelle überschritt.

Was machst du eigentlich zu deinem 30. Geburtstag?", wurde ich zum x-ten Mal gefragt. Und wie immer war meine Antwort: "Gar nichts." Einen Grund zum Feiern gab es nicht. Ganz im Gegenteil. Schon seit einigen Wochen machte sich ein dumpfes Empfinden in der Magengegend breit: Ein Anflug von Angst. Ein immer wiederkehrender Gedanke löste dieses Unbehagen aus: Deine Jugend ist vorbei. Klar, der Ernst des Lebens hatte bereits begonnen. Das Lotterleben als Studentin gehörte seit Jahren der Vergangenheit an, ebenso wie die Abenteuer als Rucksacktouristin in Australien. Beruflich hatte ich meinen Weg geebnet. Keine allzu schlechte Bilanz für mein Alter. Und doch war sie da, die Furcht.

Schleichend und immer dann spürbar, wenn man mal wieder morgens etwas zerknitterter aussah als nötig oder sich die liebe Tante nach der lieben Liebe erkundigte: "Immer noch kein Mann zum Heiraten in Sicht?", und damit zielgenau den wunden Punkt traf. Nicht, dass ich heiraten wollte. Doch würde mir der Mann, mit dem ich gemeinsam alt werden wollte, überhaupt noch begegnen? Von tickenden biologischen Uhren mal ganz zu schweigen. Hatte meine Mutter mit 30 doch schon eine zehn- und eine siebenjährige Tochter. Ich sehe sie noch vor mir, jung und hübsch, wie sie uns Schulbrote schmiert, bevor sie zur Arbeit geht. Meine Kinder werden keine Erinnerungen an eine 30-jährige Mutter haben.

Klar, die Zeiten haben sich geändert. Aber das ist kein Trost. Und Binsenweisheiten à la man ist so alt, wie man sich fühlt, helfen erst recht nicht weiter. Alt werden ja. Alt sein? Nein danke! Alt sein bedeutet Krankheit, Vergesslichkeit, Schmerzen und das unweigerliche Ende, das bedrohlich näher rückt. Je mehr ich auf die 30 zusteu-erte, desto größer das Unbehagen. Vor dem geistigen Auge sah ich ein schrumpliges altes Weiblein, das zusammengekrümmt auf einer Bank sitzt, das Haar schneeweiß, die Haut in Falten gelegt. Aus Unbehagen wurde Panik.

Konnte man als Kind nicht oft genug Geburtstag haben, würde man ihn mit 29 am liebsten ausfallen lassen. Welchen Grund gäbe es, zu feiern? Den körperlichen und geistigen Verfall?

Es heißt, unser Verhalten trägt viel dazu bei, diesen aufzuhalten - oder wenigstens zu verlangsamen. Und so entsagte ich den Freuden des Glimmstängels (durchgehalten), begann einen Laufkurs (nicht durchgehalten) und ließ mir eine teure Augencreme aufschwatzen (wegen Unverträglichkeit wieder abgesetzt). Nichts kann das Alter aufhalten. Es schreitet unaufhörlich voran. Und dabei wird es, anders als ich beim Laufkurs, immer schneller. Ein Jahr ist gar nicht mehr ein Jahr. War ich nicht gestern erst noch 16?

Ticktack, ticktack.

Und plötzlich muss man feststellen, dass man in dem neuen, angesagten Klub den Altersdurchschnitt deutlich hebt. Auch ein letztes Aufbegehren endete in einer Demütigung: Ausweiskontrolle am Einlass. Mich winkt die Türsteherin durch, ohne auch nur aufzuschauen. Stur halte ich ihr meinen Pass unter die Nase. "Nicht nötig", meint sie. So schnell, gebe ich nicht auf. Woran sie denn bitte erkannt haben will, wie alt ich sei? Erst jetzt hebt sie den Blick, sieht mir direkt in die Augen und sagt, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, dass sie gerade ein Leben zerstört: "Augenringe und Hautstruktur!" Eiskalt abserviert. Solch rüder Umgang mit seinen Mitmenschen müsste verboten werden. Wenigstens unter Frauen sollte man ein wenig Solidarität erwarten dürfen.

Seitdem meide ich den Kiez. Brunchen entspricht nun mehr meinem Alter. Ist auch besser für den Rücken. Aber frustrierend ist das schon.

Eigentlich begann das ganze Dilemma schon mit meinem 25. Geburtstag. Ein Viertel meines Lebens sollte bereits hinter mir liegen? Was für eine unglaubliche Ungerechtigkeit. Und wo kam plötzlich dieses Doppelkinn her? Auf jedem zweiten Schnappschuss. Saß vor Kurzem alles noch recht straff im Gesicht, zittern die Wangen heute wie Götterspeise, wenn ich mit meinem Rad über Kopfsteinpflaster fahre. Wie konnte es nur so weit kommen? Und wohin soll das alles noch führen? Ich habe keine Ahnung, wo ich in zehn Jahren stehen werde. Ich hoffe nur, ich werde keine rastlose Carrie Bradshaw, die bis zur letzten Folge auf Mr. Big warten und sich bis dahin mit verwirrenden Beziehungs- und Flirtregeln auseinandersetzen muss.

Ich habe meinen 30. dann doch gefeiert. War das ein lustiger Abend! Auch wenn ich am nächsten Morgen ziemlich alt aussah. Augenringe und ungleichmäßige Hautstruktur eben. Das Beste: Es war mir egal. Sollte ich im Alter die Weisheit und Gelassenheit erlangt haben, mein biologisches Schicksal anzunehmen? Eventuell. Vielleicht war aber auch nur Restalkohol im Blut.