Musiker sind so Typen für sich. Bohemiens, die leben, wie sie wollen, und machen, was sie wollen. Und vor allem wann sie wollen? Sicher nicht. Es gibt den einen wichtigen Moment. Sagt Frank Polter.

Er ist kein Mann der leisen Töne. Das liegt nicht nur an seinem Nachnamen. "Polter". Es musste ja so kommen.

Irgendwann, da war er vielleicht zwei oder drei Jahre alt, entdeckte er die Töpfe seiner Mutter. Damals, in der Küche des alten Bauernhauses in Zetel, Friesland. Heute, knapp 40 Jahre später, lebt er in Hamburg und ist diplomierter Schlagzeuger mit einem festen Platz bei den Hamburger Philharmonikern.

Frank Polter scheint immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Das ist gut, denn Schlagwerker geben oft den Ton an, "die Basis-Struktur", wie er es nennt.

Kein Mann der leisen Töne, aber der klaren, schnellen Worte. Er erzählt gern und spricht am liebsten über die Musik. "Schlagzeuger sind häufig neugierig und offen", sagt er, während er durch den Orchesterprobenraum der Staatsoper läuft, einem großen, freundlichen, lichtdurchfluteten Raum im siebten Stock. Überall stehen Schlaginstrumente. Pauken, Chinese drums, ein Tamtam und auch ein Tom-Tom. Polter greift nach den Becken und gibt eine Kostprobe. Klingt gut. Er kann nicht anders. Das Temperament, Sie verstehen. Passt zum Instrument: Lebhaft, dynamisch, konzentriert. Dann entdeckt er ein Triangel und demonstriert, wie schwer es ist, einen bestimmten Klang zu erzeugen. "Es gibt wohl kaum ein Instrument, gegen das so viele Vorurteile herrschen. Dabei ist es extrem dominant. Jeder Ton darauf muss zu jedem Zeitpunkt exakt sitzen."

Was ist in der Zeit zwischen der Entdeckung der Töpfe und dem Sitz im Graben der Staatsorchester passiert? "Die Begeisterung für die Klänge, die Pauken, Trommeln, Tom-Toms, Vibrafone, Xylofone, Triangeln oder Glockenspiele erzeugten, wurde immer größer", sagt der heute 42-Jährige. Er wirkt fast ein wenig zu zierlich, zu feingliedrig für jemanden, der den ganzen Tag draufhaut. Blond, blauäugig, filigrane Finger und Hände, die oft und gern gestikulieren. Dann erzählt er von der Kreismusikschule, die er mit 14 besuchte, von seiner Zeit bei "Jugend musiziert", von seinem Studium auf der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Und von Dankbarkeit. "Dafür, dass ich überall optimal gefördert worden bin. Von meiner Familie, von meinen Lehrern. Ja sogar von den Nachbarn. Nie haben sie sich über Lärm beschwert." Seine Hände sind ständig im Einsatz.

Da fällt ihm eine Geschichte ein, von dem einen richtigen Zeitpunkt, dem einen Moment, den ein Musiker nicht verpassen darf. Er erzählt von einem Kollegen, der bei Anton Bruckners Siebter Sinfonie 50 Minuten auf den einen einzigen Beckenschlag warten musste und den Augenblick verpasste. Und damit den Höhepunkt des gesamten Stücks verpatzte. Solche Einsätze kennt Polter auch. "Das Schwierigste ist das Nichtspielen. Das Aufrechterhalten der Konzentration, bis der Einsatz kommt und man von jetzt auf sofort von null auf hundert kommen muss. Einfach perfekt sein muss", sagt Polter. "Das ist im Orchestergraben in der Oper manchmal gar nicht so einfach. Schlechte Luft, wenig Bewegungsfreiheit und eine hohe Dezibelzahl bringen uns Musiker manchmal an unsere körperlichen Grenzen." Hand aufs Herz: Hat er selbst einmal diesen Moment verpasst? "Ja", sagt er. "Und auch wenn es nur Bruchteile von Sekunden sind und das Publikum es nicht heraushört, ist es für einen selbst ein furchtbares Gefühl. Ein kurzer Moment, der nicht zu wiederholen ist. Ein Fehler, der nicht korrigierbar ist. Nie wieder." Musik ist einfach immer emotional.

Frank Polter ist vielleicht kein Mann der leisen Töne, aber von verpatzten Einsätzen redet er auch nicht gern. Das tut wohl niemand. Lieber spricht er über Musik. Bei der aktuellen Aufführung von "Death in Venice" von Benjamin Britten, die vergangenen Sonntag Premiere in der Hamburger Staatsoper feierte, muss Polter etwa 30 Minuten auf den ersten Einsatz mit den Tom-Toms warten. Das ist zwar nicht der einzige, wohl aber der herausforderndste. "Meistens verfolge ich die Partitur mit, bis meine Stichnote kommt", sagt er. "Aber auch als Profi verliert man sich gerne in der Schönheit der Musik." Das sei das Reizvolle an Einsätzen, auf die man lange warten müsse: die Musik inmitten ihrer Erschaffung zu genießen. Dann wird ihm wieder klar, warum er seinen Beruf so liebt. Welche Klänge er mag, nämlich die vollen, intensiven, die dynamischen und gleichzeitig warmen. Dann erinnert er sich manchmal an früher, an die Töpfe seiner Mutter und die Klänge (hüte sich, wer dazu Krach sagt!), die er darauf mit einem Holzlöffel erzeugte.

Das sind dann die Momente, die wirklich zählen.